© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

„Die ‘Ndrangheta hat den Norden kolonisiert“
Italien: Während Rom Erfolge im Kampf gegen die kalabresische Mafia feiert, weicht diese in andere Regionen und Nachbarländer aus
Paola Bernardi

Es war eine dieser warmen Sommernächte in Turin, als die Polizei losschlug: Tausend schwerbewaffnete Carabinieri waren aufgeboten worden für diese Aktion. Fünf Jahre lang war dieser Einsatz unter der Leitung des Turiner Staatsanwaltes Roberto Sparagna minutiös geplant worden. Tausende von Telefonaten waren abgehört und ausgewertet worden, hunderte von Fotos von beschatteten Verdächtigen ausgewertet und deren Geldüberweisungen überprüft worden, bis dann endlich der Einsatzbefehl kam. In jener Juni-Nacht in Turin und Umgebung wurden mit der Operation „Minotauro“ 150 kleine und große „Bosse der ‘Ndrangheta“ verhaftet. Mord und Erpressung, Geldwäsche, Prostitution, Rauschgift- und Waffenhandel  wird ihnen vorgeworfen.

Eine ähnliche Polizeiaktion lief  vorher in Mailand, wo 500 „Bosse“ verhaftet wurden. Der stellvertretende Anti-Mafia-Staatsanwalt Vincenzo Maeri bezeichnete Mailand sogar als die „wahre italienische Hauptstadt der ‘Ndrangheta“.

Daß sich hier, im reichen Norden Italiens, die Mafia aus Kalabrien eingenistet hat, sei nur logisch, denn Mailand und Norditalien seien nun mal die wichtigsten Umschlagplätze für den Handel mit Kokain und anderen Drogen, so der Staatsanwalt in seiner Pressekonferenz. Außerdem würden sich Mailand und dessen Peripherie hervorragend eignen, um auch über das Baugewerbe Gelder aus illegalen Aktivitäten rein zu waschen. Und da hier im Jahre 2015 die Welt-Expo stattfinden soll und somit Milliarden – die Stadt Mailand verplant allein 15 Milliarden Euro – für Infrastrukturen ausgegeben werden, läge es auf der Hand, daß die Mafia das große Geschäft wittere und profitieren will. Längst hätten sich die großen Clans ins wirtschaftliche Gefüge dieser Stadt eingeklinkt. „Die ‘Ndrangheta hat den Norden kolonisiert“, so die Staatsanwaltschaft und ist zur konkreten Bedrohung für das Land geworden.

Die finanziellen Schwierigkeiten vieler krisengeschüttelter Bauunternehmer haben das organisierte Verbrechen nicht nur angezogen, sondern auch den Weg dafür geebnet, wichtige Anteile des lombardischen Baugewerbes an sich zu reißen.

Rein äußerlich scheint alles wie immer, die Fassade bleibt gewahrt, die Namen der Bauträger unverändert. Doch die Unternehmen sind längst zu Strohfirmen umfunktioniert worden, um an den öffentlichen Ausschreibung für die großen Bauprojekte der Expo teilzunehmen.

„Keine Region in Italien ist immun gegen den Virus Mafia“ so stellte kühl der Gouverneur der Banca della D`Italia, der künftige neue EZB-Chef Mario Draghi, in einem Vortrag an der Mailänder Universität fest. Er referierte über das Thema „Die Mafia in Mailand und im Norden“ und welche Möglichkeiten die Banken hätten, gegen die Geldwäsche vorzugehen. Gerade in der reichen Lombardei, wo das wirtschaftliche Herz Italiens schlägt, hätte die Geldwäsche der Mafia längst internationale Ausmaße angenommen. Und auch er widerlegte damit die landläufige Auffassung, daß die Mafia (Sizilien), die Camorra (Neapel, Kampanien), die Sacra Corona Unita (Apulien) und die ‘Ndrangheta (Kalabrien) vor allem im Süden Italiens herrsche.

Doch das engmaschige Netz der Mafia überzieht längst nicht nur Italien, sondern hat die Grenzen von Ländern und Staaten schon seit langem überschritten. Forciert durch das harte Vorgehen der italienischen Polizei weicht die ‘Ndrangheta in die Nachbarstaaten aus. Entsprechend warnt das Schweizer Bundesamt für Polizei (fedpol) in einem aktuellen Bericht vor dem zunehmenden Einfluß der Mafia im Finanz- und Bankwesen.

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