© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Eine Arche in der Mark
Brandenburg: Wiederaufbau der Marienkirche in Beeskow / Festwoche im August
Sebastian Hennig

Anders als der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, auf dem als unsichtbare Last eine babylonische Zikkurat an Absichten und Kundgebungen drückte, verläuft die Rekonstruktion einer anderen Großkirche, die zehn Wochen nach der Dresdner zusammenstürzte, wesentlich unspektakulärer. Auch beim Betreten jener der Gottesmutter geweihten Marienkirche im brandenburgischen Beeskow durchfährt einen ein Schauer aufgrund einer schwer zu beschreibenden Aura, welche sich zwischen den roten Backsteinsäulen in der Halle unter dem erst 1999 wieder eingedeckten Dach ausbreitet.

Unverkennbar handelt es sich noch um eine Baustelle. Denn was von 1373 bis 1511 erbaut wurde, konnte wohl auf einen Schlag zerstört werden, aber nur langsam wieder aufgerichtet werden. Schon 1512 und 1513 beschädigten Stadtbrände das Kirchendach. Später waren es Blitzschläge, plündernde Kroaten, fahrlässig zündelnde Schweden, welche das Bauwerk beeinträchtigten. Der russischen und österreichischen Artillerie der friderizianischen Zeit widerstanden die Mauern.

Dann folgten fast zwei Jahrhunderte ohne Anfechtungen. Erst 1933 konnte eine umfassende Instandsetzung abgeschlossen werden. Auch der perfide Krieg aus der Luft verschonte die Stadt und ihre Kirche lange Zeit. Die Beeskower waren erst nur Zeugen des Anfluges der amerikanischen Bomberverbände auf Berlin. Am 23. April 1945 bombardierten dann russische Flugzeuge die Kreisstadt. Drei Tage darauf fiel die mächtige gotische Backsteinkirche, eine der größten in der Mark Brandenburg, dem feindlichen Artilleriefeuer zum Opfer. Der Turm, der als potentieller Spähposten besonders ins Visier geraten war, stürzte ein. Bald stand das Dach in Flammen und brach in das Innere, wo aus der Preußischen Staatsbibliothek ausgelagerte Bücher das Feuer verstärkten.

Dem völligen Zusammenbruch des Reiches folgte erst 1949 der Einsturz der sieben gewaltigen Chorpfeiler der Marienkirche. Die Ruine wurde vorerst notdürftig gesichert, und bereits 1952 konnte das Südschiff als Notkirche eingeweiht werden. Ab 1965 war mit dem Einbau einer zweimanualigen Schuke-Orgel wieder ein vollwertiger Sakralraum in Sankt Marien nutzbar. 1976 begannen umfassende Sicherungsarbeiten an Mauerkronen und Dächern.

Erst ab dem Jahr 1991 ermöglicht eine Förderung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz einen planvoll geordneten Wiederaufbau. Nun wurde die Westfassade erneuert und eine Turmuhr mit Schlagwerk eingebaut, daraufhin von 1992 bis 1998 die Pfeiler und Arkaden des Chores wieder aufgemauert und die schmalhohen gotischen Fenster verglast. 1999 wurden nach fünfzig Jahren Langschiff und Chorumgang wieder unter ein Dach gebracht. Auch die Stadt war beteiligt an der Finanzierung und Durchführung des Aufbauwerkes. Fotos dokumentieren den Transport der Segmente der Dachkonstruktion mit landwirtschaftlichen Zugmaschinen durch die engen Straßen von Beeskow.

Besonders imposant wirkt seither der Chorraum. An dieser Stelle verbindet sich das Gefühl der aus dem Mittelalter überlieferten Geistigkeit mit dem Lebenswillen unserer heutigen Zeit. Das Licht ist auf den Chorumgang und Altarraum gebündelt, während das Hauptschiff im Dämmer bleibt. Die unverputzten Ziegelreihen der Pfeiler machen den kontinuierlichen Fleiß der jungen Maurer anschaulich, die hier Stein auf Stein zwanzig Meter hoch den heiligen Raum wieder filigran umschlossen haben. Gerade im Kontrast zum provisorischen Charakter der Baustelle und der schmucklosen Sprödigkeit der umgebenden Landschaft wirkt diese anonymisierte Leistung um so berührender. Verstrebungen wachsen aus den Pfeilern heraus und die Kapitellstümpfe deuten den Übergang in die angemessene Einwölbung des gewaltigen Raumes an. Daß diese jemals vollendet wird, bleibt vorerst unwahrscheinlich.

In der Sakristei haben sich mittelalterliche Darstellungen von den Kirchenvätern erhalten. Eine erste Orgel wurde bereits 1448 erwähnt. Seit 1992 sammelt der Förderverein Marienorgel für ein angemessenes Instrument im großen Kirchenschiff. Gerade diese kontinuierliche und mühevolle Form der Pflege und Wiederherstellung eines zentralen Ortes, nicht nur der Stadt, sondern der gesamten Mark, beweist eine Würde, die dem Gegenstand angemessen ist, aber in letzter Zeit auf den Baustellen um die alten Wunden des Krieges und des Nachkriegsvandalismus oft vermißt wird.

Dieser Wiederaufbau inmitten einer an kulturellen Sensationen nicht eben reichen Gegend stellt eine kostbare Leistung dar. Seit 2002 ragt wieder eine Turmspitze in den Himmel über Beeskow. Die niedrigen Häuschen der Kleinstadt und das flache Umland lassen das mächtige Gotteshaus besonders gewaltig wirken, das wie eine Arche ein ehrwürdiges Weltbild auf unsere Tage überliefert.

Am 20. August wird mit dem Psalm 150 „Lobet Gott in seinem Heiligtum“ in der Vertonung von Cesar Franck die Festwoche zum 500. Jubiläum der ersten Fertigstellung der Kirche eröffnet. Seit Jahresbeginn probt der Beeskower Kantor Matthias Alward mit seinen Sängern das anspruchsvolle Stück. Zum Jubelfest wird eine Festschrift erscheinen.

Foto: Blick ins Innere der Marienkirche in Beeskow: Die Rekonstruktion stellt eine kostbare Leistung dar

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