© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Mit Fürsprache der Madonna
Das Medium ist die Massage: Zum hundertsten Geburtstag Marshall McLuhans
Harald Harzheim

Die Behauptung, man könne nur verstehen, was man liebt („Man sieht nur mit dem Herzen gut“), dürfte durch Marshall McLuhan endgültig widerlegt sein: Als eigensinniger Verächter  moderner Kommunikationstechnik schuf er Theorien und Vokabular, mit denen Medienwissenschaftler heute die Digitalwelt interpretieren. Sätze wie „Das Medium ist die Botschaft“ oder der „Global village“-Begriff (Das globale Dorf), inzwischen längst Allgemeingut geworden, entflossen seiner Feder. Ein Philosoph, dessen Theorien erst post mortem, in den Neunzigern verstanden und wirksam wurden. Als das Internet, dessen Einführung er selbst nicht mehr erlebte, endgültig die Treffsicherheit seiner Prognosen bewies. Eine Bestätigung, auf die er selbst wohl gerne verzichtet hätte.

Der am 21. Juli 1911 im kanadischen Edmonton geborene Herbert Marshall McLuhan war schon als Kind ein Sonderling, ein Schulverächter, aber mit frühzeitigem Interesse am Kommunikationssystem „Sprache“, vor allem der englischen. Das betraf nicht nur die Schriftsprache, die er durch unzählige Buchlektüren einsog, sondern auch eine frühe Beherrschung der Rhetorik.

Die endgültige intellektuelle Prägung des jedoch erhielt Marshall McLuhan erst während seines Studiums in Cambridge, wobei der stärkste Einfluß nicht von akademischen Schriften, sondern von Gilbert K. Chestertons Essays ausging. Dessen rabiater Katholizismus entflammte den religiös passionierten McLuhan restlos, so daß er 1937 zur katholischen Kirche konvertierte.

Diese Entscheidung bot ihm auch die persönliche Lösung für ein Problem, das alle Geisteswissenschaftler quält: Wie findet man ein Kriterium für die Richtigkeit seines Denkens, jenseits von naturwissenschaftlichen Beweisen? McLuhan, der nach Aussage von Freunden mit der Jungfrau Maria spirituell kommunizierte, akzeptierte eine These als gesichert, wenn die Madonna ihm seine Kenntnis des Gegenstandes „bestätigt hatte“. Wie eine antike Göttin dem Philosophen Parmenides die letzten Geheimnisse des Seins verriet, so verdankt McLuhan seine intellektuelle Orientierung der katholischen Himmelskönigin. Einer kraftvollen Anima-Projektion, die dem Denker radikale Unabhängigkeit ermöglichte: Denn was konnten nörgelnde Kritiker und Kollegen noch ausrichten, bei einer solchen Fürsprache?

Ein weiterer erkenntnistheoretischer Kraftakt des spirituell-antimodernen McLuhan bestand darin, die verhaßte Medienwelt nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich ihr gegenüber zu maximaler Neutralität zu zwingen. Derart konsequent, daß er oft als Medien-Guru (also Symphatisant) mißverstanden wurde.

 Nach Dozentenstellen an den Universitäten in St. Louis und Windsor (Ontario) gelang ihm in den Fünzigern an der Universität Toronto die Gründung eines Kultur- und Kommunikationsseminars, aus dem später das „Centre for Culture and Technology“ hervorging. 1962 landete er mit „The Gutenberg Galaxy“ (Die Gutenberg-Galaxis) seinen ersten publizistischen Großerfolg: Die gesamte Kultur wird aus der Perspektive technischer Medien analysiert, als Kultur-Technik beschrieben. Die Unterscheidung zwischen E- und U-, Trivial- und Hochkultur entfällt, in dem Punkt womöglich durch Chestertons Vorbild enthemmt und zugleich die Pop-art antizipierend. So interessierte ihn an der Werbung, dieser „Höhlenmalerei des 20. Jahrhunderts“, die Verschmelzung von Bild und Sprache.

Die (Sprach-)Kultur war laut McLuhan zunächst eine rein akkustische, die vor allem emotionale, intuitive Inhalte vermittelt hat. Mit der Alphabetisierung, die durch Gutenbergs Erfindungen radikale Verbreitung erlangte, wurde die Sprache ihrer emotionalen Kollektivierungskraft entleert, der Individualismus begann.

Zudem löste das Auge das Ohr als wichtigstes Sinnesorgan ab: Die sprechende und hörende Kommunikationsgemeinschaft verlor an Bedeutung, die individuell-optischen Lektüren zur Informationsgewinnung nahmen zu. Industrialisierung, Nationalismus, Bürgertum und Kapitalismus schienen McLuhan die Folge der frühen Medienrevolution. Jedoch sei die Kultur des Mechanischen mit der Erfindung des Telegraphen und des Fernsehens ans Ende gelangt. Warum? Weil McLuhan die neuen Medien als Ausweitungen des menschlichen Nervensystems interpretiert. Außerdem führe das Fernsehen wieder zurück in die orale Sprachkultur, zur Priorität des Akkustischen.

Leider sorge die globale Vernetzung jedoch für weltweite Standardisierung. Die Funktion der Technik ziehe eine umfassende Angleichung von Sprachgebrauch, Denk- und Verhaltensweisen, eine radikale Nivellierung nach sich. Für den Exzentriker McLuhan ein Alptraum, dem er mit dem Satz „The Medium is the Message“ (Das Medium ist die Botschaft) unvergeßlichen Ausdruck verlieh: Egal, was die Medien zeigen, senden, transportieren – ihre pure Präsenz verändert bereits die Kultur. So wie die Glühbirne die einstige Lebensform komplett revolutionierte. Jetzt wandelt sich die Welt zum nivellierten „globalen Dorf“ („elektrisch zusammengezogen ist die Welt nur noch ein Dorf“), später gar zum „globalen Theater“: Durch die Erfindung des Satelliten sei die Erde gänzlich zur künstlichen Sphäre mutiert, die Priorität der Natur beendet und der Globus zum programmierten Repertoiretheater geworden. „Wikileaks“-Gründer Julian Assange bestätigte vorletzte Woche diese Prognose: „Es gibt Fernsehnachrichten, die eine Million Menschen sehen, und es gibt das eine Titelblatt, das eine Million Menschen lesen. So werden eine Million Menschen behandelt, als wären sie identisch.“ Schlimmer noch: Sie würden auf diese Weise identisch gemacht.

Wie sehr dem Kommunikationswissenschaftler McLuhan die Sprache ein lebendig-ästhetisches Spiel war, dessen Standardisierung automatisch Liquidierung bedeutet, zeigt seine Vorliebe für den modernekritischen Lyriker Ezra Pound und James Joyces 500seitiges Wortspiel „Finnegans Wake“ (1939). Auch er selbst verwendete gern kryptische Formulierungen mit doppelter Bedeutung: Als sein Buch „The Medium is the Message. An Inventory of Effects“ (1967) in den Druck ging, vertauschte der Drucksetzer versehentlich das „e“ bei „Message“ mit einem „a“. Jetzt stand auf dem Buchdeckel: „The Medium is the Massage“ (Das Medium ist die Massage)! Als McLuhan das las, rief er begeistert aus: „Laßt es so! Es ist großartig und genau richtig.“ Schließlich massierten die Medien den Konsumenten ja auch gnadenlos durch. So blieb der Titel bis heute erhalten. Diese Mischung aus Erleuchtung und wildester Assoziation, gemischt mit expressiver Rhetorik machte seine Vorlesungen zu Spoken-word-Performances und ihn zum intellektuellen Popstar. Was ihm einerseits kultische Bewunderung und Neid, anderseits wütende Ablehnung irritierter Schablonendenker einbrachte.

In den Siebzigern glaubte McLuhan, die Entkörperung (Angelismus) des Menschen stünde bevor. Eine Existenzform, die über elektrische Organe (Telefon, Fernsehen) ihre Informationen und Erfahrungen erhalte und herausgebe. Das Niveau der Bedürfnisbefriedigung sinke, die Identität verschwinde und die Überwachung steige. Wieder ein Ansatz, der erst im Handy- und Internetzeitalter voll verständlich wurde.

Zahlreiche Schlaganfälle machten McLuhan schließlich sprachunfähig; er starb am 31. Dezember 1980.

Douglas Coupland: Marshall McLuhan. Eine Biographie. Klett-Cotta, Stuttgart 2011, gebunden, 221 Seiten, 18,95 Euro

Foto: Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan, 1967: „Der eigentliche, totale Krieg ist zu einem Informationskrieg geworden“

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