© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

CD: Patrick Wolf
Gut gelaunt
Georg Ginster

Eine Gesellschaft, deren Alterspyramide auf dem Kopf steht, betrachtet Jugendliche in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Nutzens, der sich langfristig aus ihnen ziehen läßt. Es gilt, biologische Rohwaren in Humankapital zu verwandeln und dieses dann zu größtmöglicher Amortisation anzutreiben. Die Maximen dieser Investitionen in den Humankapitalstock lauten Bildung und Integration in die Arbeitswelt.

Beide Begriffe suggerieren, daß man die Betroffenen bloß an die Hand zu nehmen brauche, damit sie zu sich selbst fänden. Dabei können die Aufsichtspersonen über diesen Sozialisationsprozeß, sofern sie keine Migranten sind, im Unterschied zu ihren Vorgängern nicht mehr von sich behaupten, es in jungen Jahren schwer gehabt zu haben. Sie sind daher auch nicht mehr von dem Wunsch beseelt, daß es ihren Kindern besser ergehen möge als ihnen selbst. Sie müssen vielmehr dafür Sorge tragen, daß ein auf das Gegenteil zielendes Programm umgesetzt wird.

Die Freiräume, in denen Jugendliche Atem holen können und sich der Drangsalierung einer fordernden Gesellschaft entzogen fühlen dürfen, sind seit der Kohl-Zeit auf Inseln zusammengeschrumpft. Um so drängender ist ihr Bedürfnis, sich auf diesen in Illusionen zu flüchten, die sie wenigstens für einen Augenblick in eine Gegenwelt entführen. Eine solche hält Patrick Wolf für sie bereit.

Der smarte 27jährige Beau, der in einem Londoner Vorort residieren soll, hat auf seiner aktuellen CD „Lupercalia“ (Universal) von der Schwermut vergangener Tage gelassen und sich zu hymnischem Pop durchgerungen, der ohne einschränkende Nebentöne dem Ziel einer Gemütsaufhellung verschrieben zu sein scheint. Das Leben ist eigentlich leicht, läßt dieses musikalische Johanniskraut den Hörer halluzinieren, und man kann es unbeschwert genießen.

So penetrant diese Botschaft daherkommt, so unaufdringlich ist sie in Szene gesetzt. Patrick Wolf zeigt sich zwar inspiriert vom Elektropop, wie man ihn schon vor drei Jahrzehnten kannte. Er vergreift sich allerdings nicht im Ton. Die Wohlfühlatmosphäre wird nicht bis zur Treibhaustemperatur gesteigert, Kitschattitüden bleiben durch Coolness erträglich. Unbeschwerte junge Lachleute und Nettmenschen am Strand: In diese unbedarften Bilder übersetzt Patrick Wolf sein Lied „The City“ im dazugehörigen Video. Sie stehen dem Hörer des Albums aber auch ohne die freundliche Interpretationshilfe vor Augen.

Sehr viele Menschen bringen jedoch nicht die Kraft auf oder trauen sich schlicht nicht, ihr eigentliches Leben auch bloß für einen Augenblick ganz auszuklammern. Sie begnügen sich damit, bewußt neben sich zu treten. Was der Begriff des Businesspunk als Kuriosität zuspitzt, ist in Wahrheit ein Massenphänomen in zahlreichen Abstufungen, das die Unerträglichkeit des zeitgenössischen Lebensstils manifestiert und zugleich für dessen Stabilität sorgt. Wer sich als dissidenter Individualist empfindet, kann sich im Alltagsvollzug um so konformistischer bewähren.

Die US-Band Maritime liefert auf ihrer CD „Human Hearts“ (Grand Hotel van Cleef) mit rückwärtsgewandtem Indie-Rock das geeignete Klangmaterial zur Bewältigung dieser Mission. Sie führt den Hörer in seiner müden Melancholie auf die lichten Höhen der trotzigen guten Laune.

Patrick Wolf, Lupercalia Mercury (Universal), 2011  www.universal-music.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen