© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Lockerungsübungen
Deutscher Sonderweg
Karl Heinzen

Die Jury für die Vergabe des Quadriga-Preises hat ihre Entscheidung, in diesem Jahr Wladimir Putin auszuzeichnen, widerrufen. In ihrer Stellungnahme zeigte sie sich „betroffen von der massiven Kritik in den Medien und von Teilen der Politik“, die an der Nominierung des russischen Ministerpräsidenten geübt worden ist. Diese stellte zwar nicht in Frage, daß Putin in besonderer Weise für den Begriff „Leadership“ stehe, der in diesem Jahr das Kriterium für die Preisvergabe sein sollte. Allerdings werde der Regierungschef nicht dem Anspruch gerecht, der sich mit der Auszeichnung verbindet, nämlich ein „Vorbild“ zu sein, das „Aufklärung, Engagement und Gemeinwohl“ verpflichtet ist. Unter seiner Ägide sei die unter seinem Vorgänger Jelzin erblühte junge russische Demokratie vielmehr zu einer bloßen Fassade verkommen, mit der sich ein autoritäres Regime bemäntele.

Wladimir Putin dürfte den medialen Barbarossa-Feldzug, der gegen ihn und seinen Staat geführt worden ist, richtig einzuordnen wissen. Anders als zu Hitlers Zeiten sind die Deutschen nicht mehr von einer barbarischen Ideologie deformiert, sondern einzig von dem Wunsch besessen, dem Guten zu dienen. Haßgefühle hegen sie gegen Rußland nur insoweit, als sie dieses als immer noch nicht vom sowjetischen Bösen geheilt betrachten. Die Gefahr, daß deutsche Divisionen unter der Fahne von Demokratie und Menschenrechten bis in die Vororte Moskaus vorstoßen, kann Putin jedenfalls mit Sicherheit ausschließen.

Mit Sorge muß es ihn jedoch erfüllen, daß die Bundesrepublik ein unberechenbarer Nachbar geworden ist, dessen Öffentlichkeit eine Außenpolitik im Dienste weltanschaulicher Utopien wünscht und eine solche, die rationale Interessen vertritt, als unmoralisch ablehnt. Nach den in ihrem Namen begangenen Verbrechen waren die Deutschen bestrebt, bescheiden, leise und pragmatisch ihren Platz in der Völkergemeinschaft zu finden. Heute jedoch sind sie so sehr davon überzeugt, höchsten ethischen Ansprüchen zu genügen, daß sie sich mit ihrem Sendungsbewußtsein zunehmend in der Welt isolieren. Es gibt kaum noch einen Staat, der von ihrer Kritik ausgenommen ist, sogar Israel muß Belehrungen über sich ergehen lassen. Auch diesen Sonderweg der Deutschen, ihren Versuch eines Griffs nach der moralischen Weltmacht wird sich die Menschheit nicht gefallen lassen.

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