© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Grüße aus Bozen
Auf Bismarcks Spuren
Hans Gernheim

Südlich des Brenners ist die Hochsaison ausgebrochen und Tausende Touristen zieht es nach Südtirol. Die Gäste aus dem Norden schätzen dabei die südlich anmutende Sonne, jene aus dem Süden suchen gerade das Gegenteil, die Berge und das angenehm-kühle Klima.

Bozen ist im Hochsommer beinahe ausgestorben und wird nur bei Regenwetter von den Touristen heimgesucht. Das hat Tradition: Der heute altmodisch anmutende Begriff der „Sommerfrische“ wird bereits im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm (1854) als jener Ort beschrieben, „wo“ einst „die statt Bozen ire refrigeria oder frischen“ hielten.

Die traditionelle Bozner Sommerfrische findet seit dem 17. Jahrhundert zwischen Juli und September statt und die von der Hitze geplagten Städter suchen ihre Sommerfrischhäuser am Ritten, auf Kohlern oder im Schlerngebiet auf. Die Bozner schufen dabei eine ganz eigene Tradition, die in Oberbozen am Ritten, dem Bozner Hausberg, ihren Ausgang nahm. Auch heute sieht man die in weißen Mänteln mit rot verbrämten Kragen gewandeten Sommerfrischler bei den feierlichen Kirchenprozessionen zu Maria Himmelfahrt am 15. August hinter dem Allerheiligsten schreiten.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Prominente, die sich diesem Bozner Brauch anschlossen: So ist in Klobenstein am Ritten Sigmund Freud als wohl bekanntester Sommerfrischler bezeugt, während die Keimzelle der Sommerfrische, das beschauliche Maria Himmelfahrt bei Oberbozen, mit dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger und Bronislaw Malinowski, dem Begründer des soziologischen Funktionalismus, aufwarten kann.

Aber auch in der Gegenwart zieht es gar einige Politiker in die Sommerfrische. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier etwa verbringt seit Jahren seinen Urlaub in Oberbozen. Dabei könnte dem Oppositionschef die politische Mitbewerberin begegnen: Sollte es die Eurokrise erlauben, so wird auch Kanzlerin Merkel in Südtirol erwartet. Die Kanzlerin bevorzugt allerdings die Berge des Pustertales oder das kleine Bergdorf Sulden zu Füßen des Ortlermassivs. Vielleicht sollte sie es einmal im Ultental versuchen. Dort verbrachte einst Otto von Bismarck seinen Urlaub und erholte sich vom aufreibenden Staatsgeschäft. Ob die Südtiroler Bergluft die dringend benötigte Erleuchtung für die Lösung der Eurokrise bringen wird, wird sich im September zeigen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen