© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Die Macht der Regierung einschränken
USA: In der Schuldendebatte demonstrieren die Tea-Party-Aktivisten der Republikaner ihre Macht / Radikale Steuersenkungen als Allheilmittel
Elliot Neaman

Die Versuche der Republikaner, eine Erhöhung der Schuldengrenze zu verhindern, die vor dem 2. August in trockenen Tüchern sein muß, um die USA vor der Zahlungsunfähigkeit zu retten, wirken einigermaßen bizarr. Eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet einen „Ausgleich“ zwischen Steuersenkungen und der Konsolidierung der Staatseinkünfte. Und immerhin haben republikanische Präsidenten von Dwight D. Eisenhower bis George W. Bush regelmäßig und ganz selbstverständlich die Obergrenze für die Staatsschulden erhöht, ohne daß es darum große Streitereien gegeben hätte. Doch wer die Entwicklung der Republikanischen Partei seit Reagans Zeiten verfolgt hat, dürfte die derzeitigen Ereignisse ohne allzuviel Verwunderung zur Kenntnis nehmen.

Ursprünglich gestand die Verfassung dem Kongreß nur sehr eingeschränkte Steuerkompetenzen zu. Erst mit der Annahme des 16. Zusatzartikels im Jahr 1913 erhielt der Kongreß das Recht, eine einheitliche staatliche Einkommensteuer zu erheben und einzuziehen. Die Festlegung einer Schuldengrenze erfolgte wenige Jahre später, nämlich 1917, um den Kriegseinsatz der USA zu finanzieren.

Nach Auffassung von Fiskalkonservativen markieren diese beiden Ereignisse zusammen die Geburtsstunde eines illegitimen und unersättlichen Staatsapparats, der seine Bürger gängelt und ausbeutet. Seitdem Franklin D. Roosevelt eine staatliche Rentenversicherung und Gesundheitsfürsorge im Alter einführt und damit die Befugnisse des Staates, in das Leben seiner Bürger einzugreifen, auf nie dagewesene Weise ausweitete, sehen US-Konservative ihre Daseinsberechtigung vornehmlich darin, die Entstehung eines allmächtigen Wohlfahrtsstaats zu bekämpfen.

Die heutige Tea Party hat hier ihre Wurzeln. Dorn im Auge der republikanischen Nachwuchspolitiker sind hohe Steuersätze, die Überregulierung sowie die Größe des Washingtoner Regierungsapparats. Grover Norquist, einer der ideologischen Vorreiter der Bewegung, formulierte es 1982 so: „Ich verfolge das Ziel, den Staatsapparat innerhalb von 25 Jahren zu halbieren und auf eine Größe zu reduzieren, wo wir ihn in der Badewanne ertränken können.“ Norquist hat enormen Einfluß in Washington. Auf seine Veranlassung hin haben republikanische Kongreßabgeordnete Versprechen unterzeichnet, niemals irgendwelche Steuern zu erhöhen. Wer dagegen verstößt, muß damit rechnen, daß reiche Spender – auf Norquists Veranlassung – ihre Wahlkampfunterstützung einstellen.

Einem Politiker wie Ronald Reagan, der während seiner achtjährigen Amtszeit insgesamt dreizehn Steuererhöhungen vornahm, hätte solch Denken äußerst befremdlich angemutet. Die Tea Party mag Reagan als ihren Schutzheiligen betrachten – als Präsident war er ein Pragmatiker. Sein Motto: „Siegen heißt, 80 Prozent von dem zu bekommen, was man will.“ Die 87 republikanischen Neuankömmlinge bringen hingegen einen kompromißlosen Eifer mit, der eher an Norquist als an Reagan erinnert.

Präsident Barack Obama handelte vor kurzem mit dem Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, eine Einigung aus, die zu jedem anderen Zeitpunkt der US-Geschichte ultrakonservativ erschienen wäre: Steuersenkungen, Änderungen an der staatlichen Renten- und Gesundheitsfürsorge sowie Ausgabenkürzungen an anderen Stellen. Der Mehrheitsführer Eric Cantor, der selbst Ambitionen auf das Amt des Sprechers hat, sabotierte den Plan. Bei dem Konflikt geht es im Kern nicht um zwei unterschiedliche Ansätze, den staatlichen Schuldenberg von 14 Billionen Dollar abzubauen, sondern um zwei weit auseinandergehende Vorstellungen von den Aufgaben und Befugnissen einer Regierung.

Die Aktivisten der Tea Party glauben, daß radikale Steuersenkungen langfristig nicht nur Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum beflügeln, sondern auch die Macht der Regierung einschränken, sozialpolitische Maßnahmen auszuweiten und der Wirtschaft Beschränkungen aufzuerlegen. Daß ein Festhalten an der Weigerung, die Schuldengrenze zu erhöhen, den Aktienmarkt in seinen Grundfesten erschüttert, Zinssätze in die Höhe treiben und eine Vertrauenskrise mit verheerenden Auswirkungen auslösen würde, wissen die Kongreßneulinge zweifelsohne.

Aber sie sind bereit, dieses Risiko einzugehen, weil sie sich davon die Auferlegung einer eisernen Haushaltsdisziplin versprechen, die ihren langfristigen Zielen entgegenkommen würde.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen