© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Der Steuerzahler bleibt in Geiselhaft
Finanzaufsicht: 28 Banken sind so groß, daß ihr Konkurs das globale Finanzsystem ins Wanken bringen könnte
Marco Meng

Als der Automobilhersteller Opel und der Kaufhauskonzern Arcandor vor zwei Jahren vor der Pleite standen, warnten Politiker, Ökonomen und Wirtschaftsvertreter vor der unkontrollierten Ausweitung staatlicher Hilfen. Monatelang wurde heiß und kontrovers diskutiert. Letztlich verzichtete der Opel-Mutterkonzern General Motors auf alle deutschen Staatshilfen, Arcandor beantragte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Aussichtsreiche Unternehmensteile wie Neckermann oder Karstadt wurden an Investoren verkauft, das Versandhaus Quelle hingegen liquidiert – ein ganz normaler Vorgang in einer Marktwirtschaft.

Als im Zuge der Weltfinanzkrise 2008 die Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) und die Commerzbank am Abgrund standen, zögerte die Bundesregierung hingegen nicht, in einer regelrechten Nacht-und-Nebel-Aktion den Steuerzahler in Milliardenhaftung zu nehmen. Politiker und Finanzmarktakteure sahen das „Weltfinanzsystem am Abgrund“, eine Pleite der Banken stelle ein „systemisches Risiko“ dar. Eine staatliche Rettung sei „alternativlos“. In der anglo-amerikanischen Ökonomensprache heißt das „too big to fail“ – bestimmte Bankhäuser seien zu groß zum Scheitern.

Weltweit sind derzeit 28 Banken nach Ansicht der Aufseher so groß, daß ihr Zusammenbruch das globale Finanzsystem ins Wanken bringen könnte. Sie sollen daher mit einem Eigenkapitalaufschlag daran gehindert werden, zu große Risiken einzugehen und noch mächtiger zu werden, erklärten der Baseler Ausschuß und der Finanzstabilitätsrat (FSB) unter Führung von Mario Draghi, dem künftigen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Die G-20-Staaten wollen nun im November auf einem Gipfel in Cannes über die höheren Eigenkapitalvorschriften für diese systemrelevanten Banken entscheiden. Europas Banken sind aus der Finanzkrise größer hervorgegangen als je zuvor. Seit 2007 sind bei über 350 europäischen Kreditinstituten die Bilanzsummen gestiegen. 15 Banken haben sogar eine Bilanzsumme, die größer ist als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ihrer Heimatländer.

Die Bankenaufseher wollen mit den verschärften Regeln die Konsequenz aus der Finanzkrise ziehen, in der die Pleite von Lehman Brothers die Branche erschüttert hatte. Die erhöhten Eigenkapitalanforderungen sollten das Finanzsystem sicherer machen – allerdings wird die Umsetzung noch ganze neun Jahre dauern, viel Zeit also, darauf zu reagieren. Obwohl die Namen der 28 Institute nicht veröffentlicht wurden, sollen die Deutsche Bank und die Commerzbank dazugehören.

Die Deutsche Bank müßte dann ihre Bilanzrisiken spätestens Ende 2018 mit 9,5 Prozent reinem Eigenkapital in Form von Aktien und Gewinnrücklagen unterlegen. Die beiden Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse haben wegen ihrer Bedeutung für die Wirtschaft der Eidgenossenschaft ohnehin bereits höhere Eigenkapitalquoten auferlegt bekommen. Wie hoch die Aufschläge für die Banken sind, richtet sich nach einem Punktesystem, das ihre Größe, ihre Verflechtung im System, den Grad ihrer Internationalität und die Frage bewertet, inwieweit sie bei einem Ausfall ersetzbar wären. Alle Banken weltweit sollen von 2013 an über sechs Jahre ohnehin ein Kernkapital-Polster von sieben Prozent aufbauen. Ob das wirklich reicht, ist aber die große Frage. Warum werden statt dessen nicht die Kartellbehörden aktiv, wenn große Banken sich gegenseitig aufkaufen? Fragwürdige Übernahmen, wie sie noch während der Finanzkrise (Commerzbank übernimmt Dresdner, Deutsche Bank übernimmt Postbank) vonstatten gingen, könnten die Wettbewerbshüter schlicht untersagen.

Mit den Vorschriften werden zudem weder hochriskante Spekulationen noch Bilanzierungstricks noch die eigentliche Ursache der letzten Finanzkrise vermieden – das waren vor allem Kreditverbriefungen und Kreditverkäufe gewesen. Das unregulierte Schattenbankensystem aus Hedgefonds und Zweckgesellschaften ist nach wie vor existent. Das Reformwerk „Basel III“ des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) wird nämlich Kredite verteuern. Das hat negative Auswirkungen auf die gesamte „Realwirtschaft“. Spekulationen mit Finanzinstrumenten wie Derivaten werden hingegen umso attraktiver für die Banken.

Vor allem die deutschen Sparkassen und die Genossenschaftsbanken beklagen daher, daß ihr Kerngeschäft, die Vergabe von Krediten, künftig teurer werde, während die Investmentbanken noch immer hohe Risiken eingehen dürften. Die Privatbanken wiederum beschweren sich darüber, daß die EU „Basel III“ im Alleingang einführt, ohne zu wissen, wann Asien und Amerika nachziehen. Darüber hinaus ist es ebenfalls fragwürdig, daß die Regelungen nur für Banken, nicht aber für andere Finanzmarktakteure wie Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften gelten.

Die internationale Regulierung der Großbanken droht darum in den USA nach hinten loszugehen, denn die neuen Regeln gelten ausgerechnet nicht für die beiden größten ungelösten Problemfälle am US-Finanzmarkt, die im staatlichen Auftrag handelnden Immobilienfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae, sind sie doch nach US-Recht keine Banken. Experten zufolge dürften sie nun noch schneller wachsen und damit langfristig eine noch größere Bedrohung für die Stabilität des Finanzsystems der weltgrößten Volkswirtschaft darstellen, weil andere Großbanken sich nun im Hypothekengeschäft noch mehr zurückhalten werden.

Auch nach „Basel III“ behalten die Banken jedenfalls ihr „too big to fail“-Erpressungspotential. Eine neue Ordnung für die Finanzmärkte würde bedeuten, daß kein Land, keine Institution und kein Produkt unreguliert wäre. Doch nach wie vor gibt es Oasen, die sich der Regulierung entziehen, hochspekulative Finanzprodukte werden außerhalb des geregelten Handels durchgeführt. Die marktwirtschaftliche Ideallösung, daß Megabanken aufgeteilt und so wieder „small enough to fail“ werden, erscheint völlig unrealistisch – der Steuerzahler bleibt weiter in Geiselhaft der Finanzkonzerne.

Zahlreiche Ökonomen üben massive Kritik an den moderaten Regulierungsbemühungen der „Basel III“-Reformen. „Die Finanzindustrie hat argumentiert, daß Basel III negative Auswirkungen auf Bankprofite und Wachstum haben wird“, heißt es in einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) und des Genfer Graduate Instituts. „Unsere Analyse zeigt, daß für mehrere Länder engere Regulierungen tatsächlich wünschenswert wären.“ Und der Vorsitzende der britischen Bankenaufsicht FSA, Lord Adair Turner, bringt es so auf den Punkt: „Viele Aktivitäten der Banken sind gesellschaftlich nutzlos.“ Doch angesichts der impliziten Staatshaftung um so lukrativer, ist hinzuzufügen.

Foto: Türme der Deutschen Bank in Frankfurt: Die Kartellbehörden müssen wettbewerbsfeindliche Übernahmen und Fusionen untersagen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen