© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Das Bauernsterben geht weiter
Agrarbericht: Der Strukturwandel in der deutschen Landwirtschaft hält unvermindert an / Existenzgefahr für kleine Höfe
Harald Ströhlein

Mit einem Blick auf manche Branchen der Landwirtschaft könnte man meinen, Deutschland sei eher ein Agrar- denn ein Industriestaat: Demnach sind wir innerhalb der EU der größte und global nach China und den USA der drittgrößte Schweinefleischproduzent. Bei Rindfleisch sind wir nach Frankreich der zweitgrößte Erzeuger innerhalb der EU. Mit fast 30 Millionen Tonnen Milch ist Deutschland der größte EU-Milchproduzent und nach den USA, Indien, China und Rußland immerhin der fünftgrößte weltweit. Des weiteren rangieren wir auch bei der Rapserzeugung mit einer geernteten Jahresmenge von über sechs Millionen Tonnen auf Platz eins der EU-Rangliste.

Doch diese Superlative gaukeln ein trügerisches Bild vor. Die Landwirtschaft in Deutschland befindet sich unaufhörlich auf dem Rückzug, wie kürzlich amtlich bestätigt wurde: Nach vierjähriger Pause untermauert der von der Bundesregierung initiierte „Agrarpolitische Bericht 2011“ einmal mehr den seit Jahrzehnten anhaltenden Schwund von Bauernhöfen anhand von detailliertem statistischen Zahlenmaterial.

Demnach gab es im vergangenen Jahr in Deutschland rund 300.700 landwirtschaftliche Betriebe und damit gut 20.900 Höfe weniger als 2007, was einer jährlichen Abnahmerate von 2,2 Prozent (6,5 Prozent insgesamt) entspricht. Dabei reduzierte sich in dem dreijährigen Berichtszeitraum die Anzahl der Haupterwerbsbetriebe um fast elf Prozent und die Anzahl der Nebenerwerbsbetriebe um knapp fünf Prozent, so daß sich die beiden Unternehmenstypen mit jeweils rund 137.000 Betrieben die Waage halten. Dagegen erhöhte sich die Zahl der Personengesellschaften um nahezu 15 Prozent auf 21.000 Betriebe.

Analysiert man vor diesem Hintergrund die Betriebsgrößenklassen, fällt auf, daß nur solche Betriebstypen ihre Hoftore schließen mußten, die weniger als hundert Hektar Boden bewirtschafteten. Bedenklich dabei ist, daß immer noch 72 Prozent der Betriebe über weniger als 50 Hektar landwirtschaftlich nutzbare Fläche verfügen.

Die Zahl der Beschäftigten in dieser Branche sank seit 2007 um fünf Prozent auf nun 1,1 Millionen Arbeitskräfte. Damit setzt sich der besonders bei diesem Kriterium deutlich abzeichnende Strukturwandel unaufhaltsam fort, was mit einem Blick auf die jüngste Historie eindrucksvoll untermauert werden kann: So waren beispielsweise im Jahre 1950 im früheren Bundesgebiet noch etwa 6,8 Millionen Menschen in über 1,6 Millionen Betrieben beschäftigt. Während auf den Agrargütern in der ehemaligen DDR im Jahre 1989 noch rund 850.000 Beschäftige gezählt werden konnten, waren es gut zehn Jahre später noch etwa 160.000.

Einen überproportional starken Rückgang weist der Agrarbericht insbesondere bei den tierhaltenden Betrieben aus. Demnach wurden voriges Jahr noch 217.000 Höfe gezählt, auf denen Rinder, Schweine und/oder Hühner gehalten wurden. Im Jahre 2007 waren es im Rahmen der letzten Agrarstrukturerhebung noch 21.000 mehr. Dabei nahm die Zahl der rinderhaltenden Betriebe um neun und die der schweinehaltenden Betriebe um ganze 18 Prozent ab.

Die gleiche Tendenz – nämlich nach unten – spiegelt das Einkommen wider. Wichtigstes Kriterium, welches den Erfolg oder Mißerfolg der landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit offenlegt, ist – wie in jeder anderen Branche auch – der Gewinn. Dieser ist im Wirtschaftsjahr 2009/10 im bundesweiten Durchschnitt um 8,5 Prozent auf 35.216 Euro gefallen. Dabei gibt es regionale Unterschiede: Während im Durchschnitt der Jahre 2005/06 bis 2009/10 in Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit mehr als 73.000 Euro die höchsten Gewinne erzielt wurden, belegten Betriebe in Bayern mit durchschnittlich 33.000 Euro das untere Ende der Gewinnskala. Das verwundert nicht, sind doch bayerische Höfe mit durchschnittlich 45 Hektar bewirtschafteter Fläche bis zu sechsmal kleiner als jene im Norden.

Aufgrund stark gesunkener Getreidepreise mußten reine Ackerbaubetriebe nach einkommensstärkeren Jahren einen fast 25prozentigen Gewinneinbruch hinnehmen, so daß sie im Schnitt rund 40.000 Euro verbuchen konnten. Bei Milchviehbetrieben führten steigende Milcherlöse auf der einen und niedrigere Aufwendungen für Futtermittel auf der anderen Seite mit 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresergebnis zu moderat höheren Betriebserlösen von durchschnittlich gut 31.000 Euro.

Dabei muß man sich vor Augen halten, daß aus diesem Gewinn die Privatentnahmen des Landwirtes – und darunter zählen die Lebenshaltung, Krankenversicherung, die Alterssicherung, die private Vermögensbildung sowie die Eigenkapitalbildung des Unternehmens für Nettoinvestitionen oder die Tilgung von Fremdkapital – bestritten werden müssen.

Erwähnenswert ist auch, daß EU-Direktzahlungen wie die sogenannte Betriebsprämie und Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt (Agrardieselvergütung, Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete oder für Agrarumweltmaßnahmen) in die Buchführungsergebnisse mit einfließen und somit einen nennenswerten Anteil der betrieblichen Einnahmen ausmachen. Daß der Anteil der Zahlungen am Einkommen durchschnittlich 69 Prozent betrug, offenbart in frappierender Weise die Abhängigkeit der Bauern von der öffentlichen Hand.

Eine angedachte Reduzierung der Zahlungen in der nächsten Agrarhaushaltsperiode ab 2013 zöge existentielle Konsequenzen nach sich. Um ein Bild darüber zu erhalten, wie es denn weitergeht mit der Landwirtschaft in Deutschland, wurden Betriebsinhaber mit einem Alter über 45 Jahre – genau 187.000 an der Zahl – zur Hofnachfolgeregelung befragt. Demnach steht der Hoferbe nur bei etwa 30 Prozent der Befragten fest. Und jeder fünfte Betriebsinhaber ohne Nachfolger ist bereits über 60 Jahre alt. Ein untrügliches Indiz dafür, daß sich der bäuerliche Strukturwandel eher noch beschleunigen wird.

Der „Agrarpolitische Bericht 2011“:  www.bmelv-statistik.de

Foto: Schartauer Schaupflügen: Großbetriebe haben im internationalen Wettbewerb die besseren Karten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen