© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

„Mein Ruf macht mich verrückt“
Ausstellung: „Lawrence von Arabien – Genese eines Mythos“ in Köln
Karlheinz Weissmann

Das Heldenhafte war mir fremd, wie meiner ganzen Generation, und auch das Gedächtnis gab mir keinen Zugang zum Heroischen.“ Dieser Schlüsselsatz aus seinem Hauptwerk „Die Sieben Säulen der Weisheit“ muß jeden irritieren, der allein die Außenseite des Lebens von Thomas Edward Lawrence kennt. Jenes „Lawrence of Arabia“, der nicht nur in seiner Heimat England und in den USA, sondern auch und vor allem in Deutschland eine bekannte, wenn nicht berühmte Figur war, verbunden mit einer unklaren Vorstellung von Führertum, Ritterlichkeit und orientalischer Pracht.

Die Ausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln, die sich mit Lawrence befaßt, erklärt die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Fremdbild schlüssig durch die früh einsetzende propagandistische Verarbeitung, eine Marketingstrategie, die unmittelbar nach den entscheidenden Ereignissen – vor allem durch die Bilderschau des US-Journalisten Lowell Thomas („Mit Allenby in Palästina und Lawrence in Arabien“, 1919) – moderne Medien nutzte und den Stoff dergestalt aufbereitete, daß daraus ein moderner Mythos entstand, den Zeitgenossen mit Homers „Ilias“ verglichen.

Die Bühne für den Auftritt des Helden bildete die Auseinandersetzung zwischen den Mittelmächten, denen sich das osmanische Imperium angeschlossen hatte, und den Alliierten, die entschlossen waren, dem „kranken Mann am Bosporus“ den Todesstoß zu versetzen, indem sie die unterworfenen Völker in eine Aufstandsbewegung hetzten, die im Grunde nur dem Ziel diente, Verluste an eigenem Gut und Blut zu meiden und eine Situation im Nahen Osten zu schaffen, die ihren wirtschafts- und geopolitischen Interessen entgegenkam.

Lawrence war in diesem Konflikt ursprünglich nur eine Randfigur, ein Offizier des militärischen Geheimdienstes der Briten in Kairo, allerdings einer der wenigen, der mit den Verhältnissen vor Ort vertraut war und die Sprache der Beduinen sprach – im direkten wie im übertragenen Sinn.

Trotzdem hat er den eingangs zitierten Satz fortgesetzt mit der Bemerkung „Unter den Arabern war ich der Enttäuschte, der Skeptiker, der sie um ihren ärmlichen Glauben beneidete.“ Tatsächlich muß man diesen jungen Mann, bei Kriegsende gerade dreißig Jahre alt, aus etwas unübersichtlichen Familienverhältnissen stammend, als Intellektuellen vorstellen, fasziniert durch alles, was Leben bedeutete, doch unfähig zu jener bedingungslosen Hingabe, die dazu nötig ist.

Lawrence Wirkung auf die arabischen Stammesführer, die er zum Kampf gegen das Osmanische Reich aufbot, bleibt deshalb rätselhaft. Ein Mann von kleiner, eher schmächtiger Statur, fast linkisch in seinen Bewegungen, zurückhaltend bis zur Schüchternheit, gelang es ihm, Männer zusammenzubringen, die geprägt waren von der Wüste und den Härten des Nomadendaseins, durchdrungen von einem fanatischen Glauben, die sich aber auch haßten, verstrickt in Sippenfehden und Blutrache. Er erfüllte sie mit der Idee eines heiligen Krieges gegen die jahrhundertealte türkische Unterdrückung und eines neuen, geeinten Arabien.

Lawrence kannte den Vorderen Orient schon seit seiner ersten Studienreise von 1909, die ihn zu den Kreuzritterburgen Palästinas geführt hatte. Er nahm Strapazen auf sich und ging immer wieder erhebliche Risiken ein. Trotzdem paßt auf ihn die Bezeichnung „Abenteurer“ so wenig wie die Annahme, er habe einer romantischen Neigung für den Orient nachgegeben. Die Äußerung über den „ärmlichen Glauben“ der Araber steht in den „Sieben Säulen“ nicht isoliert, es gibt mehr als ein scharfes Urteil über den Schmutz, die allgemeine Primitivität, Borniertheit und Verschlagenheit seiner Verbündeten.

Trotzdem blieb eine Faszination, hat Lawrence sich während der Verhandlungen nach dem Krieg dafür eingesetzt, daß die Zusagen an die Araber wenigstens teilweise eingehalten wurden durch die Schaffung einer Reihe selbständiger Staaten. Eine Grundenttäuschung blieb aber. Lawrence wußte, daß nicht nur die Araber benutzt worden waren, auch er war bloß ein Instrument gewesen. Von politischer und militärischer Verantwortung wollte er in der Folgezeit so wenig wissen wie von öffentlichen Ehrungen. Er zog sich in die Provinz zurück, schrieb an den „Sieben Säulen“, einer eher romanhaften Verarbeitung seiner Erlebnisse, die zuerst nur in 200 Exemplaren als luxuriöser Privatdruck erschien, und war im übrigen mit der Konstruktion von Flugzeugen und Schnellbooten befaßt.

1929 äußerte Lawrence in einem Brief: „Einen falschen Ruf zu tragen ist eine so kratzzige Angelegenheit wie ein falscher Bart. Meiner macht mich noch verrückt.“ Er starb wenige Jahre später, 1935, bei einem Motorradunfall. Der frühe und tragische Tod hat wie die Verklärung seiner Gestalt bei Lebzeiten immer wieder die kollektive Phantasie entzündet. Die Ausstellung in Köln legt davon Zeugnis ab, indem sie einleitend auf die populärste und am weitesten vom Tatsächlichen entfernte Präsentation – in Groschenheft und Comic – zurückgreift, die verschiedenen Filmversionen – zuletzt die berühmte Fassung mit Peter O’ Toole in der Hauptrolle – heranzieht und dann die Geschichte dieser Stilisierung seit den 1920er Jahren nachzeichnet.

Wer befürchtet, daß damit ganz und gar auf die Dekonstruktion des „Lawrence of Arabia“ abgezielt werde, sieht sich angenehm enttäuscht durch die Behutsamkeit des Vorgehens, den offensichtlichen Respekt gegenüber der Figur, die in ihrem Facettenreichtum zur Geltung kommt. Ein in dieser Weise vorbildliches Konzept, das es erlaubt, einen Blick auf die historische Gestalt zu werfen und gleichzeitig die Durchdringung von Fakten und Fiktion zu sehen, die eine säuberliche Scheidung im Grunde unmöglich macht.

Die Ausstellung ist bis zum 11. September im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, Cäcilienstraße 29-3, täglich von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 26 Euro. www.museenkoeln.de

Foto: Lawrence von Arabien in Damaskus (3. Oktober 1918): Vertraut mit der Sprache der Beduinen

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