© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Sommerliche Profilsuche
Richtungsstreit in der CDU: Die neuerliche Debatte um das konservative Profil der Union dreht sich im Kreis
Michael Paulwitz

Die sommerliche Suche nach dem verlorengegangenen Profil der CDU kommt offenbar so sicher wie das Amen in der Kirche. Baden-Württembergs Alt-Ministerpräsident Erwin Teufel hat mit der Veröffentlichung seiner Anfang Juli vor der Senioren-Union (JF 29/11) gehaltenen Brandrede in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hitziger Debatten ausgelöst. Man muß kein Prophet sein, um vorherzusagen, daß auch diese Auseinandersetzung, wie alle vor ihr geführten, folgenlos im Sande verlaufen wird. Der Streit um das Profil der Partei dreht sich seit Monaten im Kreis.

Das Umfragetief, das im vergangenen Jahr noch Unruhe ausgelöst hatte, haben die Unions-Matadoren dabei diesmal erstaunlich gelassen aufgenommen. Dabei ist die CDU noch tiefer abgestürzt als im Sommer 2010: Kanzlerinnenbonus nicht existent, die Partei an der Dreißig-Prozent-Schwelle festgenagelt, die FDP draußen, Mehrheit für Rot-Grün, jeder der beiden potentiellen SPD-Kanzlerkandidaten könnte Angela Merkel im direkten Duell schlagen. Dennoch lag Grabesruhe über dem Merkelwahlverein – bis der 71 Jahre alte Erwin Teufel mit seiner treffenden Analyse kam.

Stammwähler wiederzugewinnen, sei leichter, als neue Wählerschichten zu erschließen, argumentiert Teufel vor dem Hintergrund von über einer Million Wählern, die 2009 von der Union zur FDP und von dort zu den Nichtwählern abgewandert seien. Teufels Abwandlung einer kaufmännischen Binsenweisheit über die Gesetze der Kundenbindung zielt unausgesprochen, aber eindeutig auf die „Großstadtpartei“-Ambitionen.

Die CDU liege unter ihren Möglichkeiten und müsse ihre Stammwähler wieder zu Anhängern machen, die eindeutig sagen könnten, wo die „Alleinstellungsmerkmale“, die „Kernkompetenzen“, das „Profil“ der CDU lägen; das Rezept dazu ist für Teufel die Orientierung am „C“, an christlichen Werten in Erziehung, Familie, Beruf, Politik. Politiker, meint Teufel, müßten „vertrauenswürdig“ handeln. Vertrauen gehe verloren, wenn „Staats- und Regierungschefs“ – also auch Merkel – beim Euro-Retten über Nacht Stabilitätskriterien, die geltendes Recht seien, einfach „wegputzen“.

Teufels Angebot an christdemokratischen „Alleinstellungsmerkmalen“ ist eine Mischung aus konkreten Gegenpositionen zur aktuellen CDU-Linie und Allgemeinplätzen. Die Union solle sich für eine Steuervereinfachung à la Kirchhof einsetzen und die Werte der sozialen Marktwirtschaft – Freiheitsrechte und Chancengerechtigkeit – hochhalten; sie solle elterliche Erziehungsarbeit gerecht entlohnen, Kindeswohl vor Wirtschaftsinteressen stellen und das differenzierte dreigliedrige Schulsystem verteidigen; und sie soll – da wird es wieder vage – „Europapartei“ und „Partei der ein-fachen Leute“ sein.

Die direkt oder indirekt Angegriffenen schlugen, erwartbar, zurück. Allen voran die von ihm einst protegierte Linkskatholikin Annette Schavan, deren schulpolitisches Thesenpapier für den Bundesparteitag Teufel ohne Namensnennung scharf attackiert hatte; „die Schlagzeile ‘Bundes-CDU schafft Hauptschule ab’ ist eine Katastrophe“, findet auch Teufels Nach-Nachfolger als CDU-Vorsitzender im Südwesten, Thomas Strobl. Veränderungen seien doch „normal“, hielt Schavan im Merkel-Sprech dagegen. Von „Rezepten der Vergangenheit“ sprach, im Einklang mit seiner Landeschefin und Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, auch der Thüringer JU-Landesvorsitzende Stefan Gruhner, der den Stammwählerverlust ans Nichtwählerlager schlicht leugnete: Im „konservativen Bereich“ werde das „CDU-Potential“, beispielsweise bei den Katholiken, doch voll ausgeschöpft. EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der Teufel einst als Ministerpräsident gestürzt hatte, warnte seine Partei vor einer „Abkehr vom Modernisierungskurs“.

Das Manöver der Merkel-Getreuen – Fraktionschef Volker Kauder und Generalsekretär Hermann Gröhe –, die Debatte mit dem Hinweis abzuwürgen, sie gehöre doch „in die Gremien“ und nicht in die Medien, zog nicht. Vor dem Gremium Senioren-Union hatte Teufels Rede ja gerade keine Diskussion ausgelöst; dazu brauchte er die Unterstützung der FAS, die sie überarbeitet veröffentlichte und damit das Thema setzte.

Selbst Merkel-Mann Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, bekannte sich zum öffentlichen Streit, wohl weil er keine Folgen in Form von „Kurskorrekturen“ erwartet. CSU-Chef Horst Seehofer und sein Generalsekretär Alexander Dobrindt nutzten den Streit zu rituellen Profilierungs-Seitenhieben gegen die Kanzlerin. Merkel selbst äußerte sich aus dem Sommerurlaub nicht. Sie und ihr Generalsekretär Gröhe setzen auf das erprobte Mittel, den Unmut in Regionalkonferenzen vor dem Parteitag im November dezentral zu neutralisieren.

Die Forderung des hessischen Fraktionschefs Christean Wagner und mehrerer junger CDU-Politiker, den Parteitag vorzuziehen und zum Grundsatzparteitag zu machen, wird daher nicht durchdringen. Gleichwohl ist die Riege der Teufel-Unterstützer beeindruckend. Zu ihr zählen auch die Ex-Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Kurt Biedenkopf und Werner Münch. Viel „Frustration“ an der Basis machte JU-Chef Philipp Mißfelder aus, Teufel habe vielen „aus dem Herzen gesprochen“, meinte der baden-württembergische Landesgruppen-Vize Thomas Dörflinger.

Im ungefähren bleiben Teufels Unterstützer, wenn es um konkrete Positionen geht. Man müsse die CDU-Politik „besser erklären“, verlautet der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier im Gleichklang mit Teufel-Kritiker Elmar Brok. Das christliche Wertefundament nimmt Kauder ebenso in Anspruch wie Teufel. Für Heiner Geißler, der in der Koalition mit der FDP das eigentliche Problem der Union sieht, läuft das christliche Menschenbild auf Schwarz-Grün hinaus. Weder Teufel noch Geißler sehen die CDU als „konservative“ Partei. Allzu weit sind die Lager gar nicht auseinander.

Foto: Der CDU-Debattenkreisel nimmt wieder Fahrt auf:  Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel ist davon überzeugt, daß es leichter ist, Stammwähler wiederzugewinnen, als neue Wählerschichten zu erschließen

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