© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Mehr Kitaplätze, weniger Kinder
Demographie: Nach einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes ist Deutschland das kinderärmste Land Europas, doch die Politik zeigt sich weiter unbeeindruckt
Lion Edler

Wenn in den vergangenen Jahren über Deutschlands drohende demographische Katastrophe diskutiert wurde, waren sich die Politiker aller Parteien meist schnell einig: Um Abhilfe zu schaffen, müssen mehr Kindertagesstätten und Ganztagsschulen her. Doch durch die nun vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden veröffentlichten Daten des Mikrozensus 2010 dürften sich Kritiker bestätigt fühlen, daß dies bei weitem kein Allheilmittel ist (Kommentar Seite 2).

Danach ist Deutschland mit einem Anteil von 16,5 Prozent der unter 18jährigen an der Bevölkerung das kinderärmste Land Europas. Frankreich rangiert mit 22 Prozent ebenso vor Deutschland wie Großbritannien, die Niederlande und die skandinavischen Länder (jeweils über 20 Prozent), Spitzenreiter ist die Türkei (31,2 Prozent). Seit 2000 sank die Zahl der Kinder von 15,2 Millionen auf 13,1 Millionen im Jahr 2010. Dieser Rückgang werde sich in den nächsten Jahren fortsetzen, vermuten die Statistiker. Dabei ist in den westlichen Bundesländern seit dem Jahr 2000 mit zehn Prozent ein geringerer Rückgang zu verzeichnen als in den östlichen (29 Prozent). Nach Ansicht des Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler, liegen die Gründe hierfür in der Ost-West-Wanderung und der zeitweise deutlich geringeren Geburtenrate in Mitteldeutschland.

Besonders bemerkenswert: Der stärkere Rückgang in den östlichen Bundesländern vollzieht sich trotz der im Vergleich zum Westen besseren Betreuungsmöglichkeiten. Auch deutschlandweit steht der Geburtenrückgang einem dichter werdenden Betreuungsnetz gegenüber. Während 2006 die Betreuungsquote von unter Dreijährigen noch 14 Prozent betrug, stieg sie bis März 2010 auf 23 Prozent. Bis 2013 will die Bundesregierung für diese Altersgruppe noch 280.000 zusätzliche Betreuungsplätze schaffen, bislang sind etwa 470.000 vorhanden.

Owohl es trotzdem immer weniger Kinder gibt, scheint die Politik keinen Grund zum Umdenken zu sehen. Die Familienpolitik der Bundesregierung sei „auf dem richtigen Weg“, sagte der Staatssekretär im Bundesfamilienministerium Josef Hecken (CDU). Insbesondere „eine familienfreundliche Unternehmenskultur und der Ausbau der Kinderbetreuung“ spielten „eine zentrale Rolle“, um Familiengründungen zu ermöglichen. Der Rückgang der Kinderzahl, so Hecken, zeige, „wie wichtig eine nachhaltige Familienpolitik ist.“ Daher halte man an einem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab 2013 fest. Nötig seien zudem flexiblere Arbeitszeiten, auch in Führungspositionen.

Hecken verweist darauf, daß sich die Geburtenrate mit 1,36 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter auf „stabilem Niveau“ bewege. In Mitteldeutschland erreiche die Geburtenrate mit 1,40 „sogar den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung.“ Allerdings liegt sie damit noch immer deutlich unter dem Niveau, welches ein Schrumpfen der Bevölkerung verhindern würde (in Industrieländern etwa bei 2,1).

Doch etwas anderes könnte größere Hoffnung auf Licht am Ende des demographischen Tunnels bedeuten: 52 Prozent der Kinderlosen im gebärfähigen Alter wollten 2010 „bestimmt“ einmal Kinder haben, 26 Prozent „vielleicht“. 2008 noch hatten nur 43 Prozent der Kinderlosen einen „bestimmten“ Kinderwunsch. Auch nach Meinung des Pressesprechers des Deutschen Kinderhilfswerks, Michael Kruse, sei vor allem eine verbesserte staatliche Kinderbetreuung nötig, wie sie in der DDR „sicher mal gut angefangen“ worden sei. Darüber hinaus sei eine „besondere Qualifizierung und Weiterbildungsmöglichkeit“ für Erzieher erforderlich.

Neben der Anzahl der Kinder haben die Statistiker auch Daten zu deren Lebenssituation veröffentlicht. Während in den alten Bundesländern 79 Prozent der Kinder bei verheirateten Eltern leben, sind es in der ehemaligen DDR nur 58 Prozent. Bei 92 Prozent der Kinder in Paarfamilien ist das Einkommen von einem oder beiden Elternteilen die überwiegende Quelle des Lebensunterhalts, bei den Alleinerziehenden sind es hingegen in 33 Prozent der Fälle Transferleistungen.

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