© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Kluges Rindvieh
Sommerloch: Die Jagd auf Yvonne, eine entlaufene Milchkuh, nimmt immer bizarrere Züge an
Richard Stoltz

Das Sommerloch schließt sich schon wieder, aber der Star dieses Lochs, nämlich Yvonne, die im oberbayerischen Landkreis Mühldorf einem Bauern bereits Ende Mai vor ihrer Schlachtung entlaufene Milchkuh, ist immer noch nicht wieder eingefangen – beziehungsweise erschossen. Man hat sie bisher lediglich behördlicherseits „wegen Gefährdung des Straßenverkehrs zum Abschuß freigegeben“, also  zum Tode verurteilt. Indes, Yvonne ist schlau. Noch bei Redaktionsschluß der JF am Dienstag war sie in Freiheit und offenbar quicklebendig, zur Freude aller Naturfreunde.

Diese hatten die Kuh, um sie vor den Schüssen der Jäger zu retten, „auf sanfte Art“ in ihren Stall zurücklocken wollen. Man trieb ihre Stallgefährtin Waltraud und ihr jüngstes Kälbchen Waldi an den Rand des Waldes, in dem Yvonne unterwegs ist, und ließ sie sehnsüchtig-werbend hineinmuhen. Doch Yvonne wartete, bis es tiefste Nacht war und alle Einfänger längst zu Bett gegangen waren, dann schlich sie an den Waldrand, leckte Waldi liebevoll ab – und verschwand wieder.

„Diese Kuh ist klüger als drei Abiturientinnen zusammengenommen“, konstatierte bewundernd Erich Kozel, Fachbereichsleiter für öffentliche Sicherheit im Mühldorfer Landratsamt. Und ein Leserbriefschreiber in  der Lokalpresse empfahl, man solle Yvonne doch nach eventuellem Wiedereinfang dem Freiherrn und Berliner Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg zum Kauf anbieten; sie wäre bestimmt eine gute Mitarbeiterin beim Verfassen einer neuen, akzeptablen Doktorarbeit.

Feinde hat Yvonne eigentlich nur unter den Autofahrern. Auch Sachbearbeiter Kozel gehört leider zu ihnen. „Ein Reh wiegt 30 oder 40 Kilogramm, aber Yvonne wiegt etwa 700 Kilogramm“, führte er auf einer Pressekonferenz aus, „deshalb können wir nicht länger zuschauen, daß sie auf der Straße herumläuft.“

Dazu läßt sich zweierlei sagen: Erstens, Yvonne läuft nicht auf Straßen herum, sondern überquert sie nur gelegentlich. Und zweitens, die Autobenutzer sollen gefälligst vorsichtiger fahren – einerlei, ob sie nun auf zierliche Rehe oder etwas korpulentere, aber abiturreife Kühe treffen.

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