© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Die Selbstenthauptung der Nord-CDU
Facebook-Affäre: Hinter dem Rücktritt des Landesvorsitzenden der schleswig-holsteinischen CDU stecken parteiinterne Kritiker
Hans-Joachim von Leesen

Wie wird eine Partei ihren ungeliebten Vorsitzenden und Spitzenkandidaten für die nächste Landtagswahl los? Die schleswig-holsteinische CDU hat es vorgemacht. Am vergangenen Sonntag trat auf einer von ihm selbst einberufenen Sondersitzung des Landesvorstandes der Rechtsanwalt Christian von Boetticher vom Amt des Landesvorsitzenden zurück. Zugleich verzichtete er auf die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im Mai 2012, einen Tag später folgte der Rücktritt vom Fraktionsvorsitz im Kieler Landtag. Auslöser war die Veröffentlichung in der Bild am Sonntag, von der die Partei vorab informiert worden war. Danach hatte der 40 Jahre alte Politiker Anfang 2010 ein Verhältnis mit einer 16jährigen aus Nordrhein-Westfalen. Als Ministerpräsident und CDU-Landeschef Peter Harry Carstensen ihn im vergangenen Jahr zu seinem Nachfolger kürte, löste von Boetticher die Beziehung zu der jungen Frau, die er über Facebook kennengelernt hatte.

Dennoch war die Aufregung in der Nord-CDU groß, als nun die ersten Meldungen über die ungewöhnliche Beziehung durchsickerten. Da half es auch nicht, daß Boetticher von großer Liebe sprach und daß alles mit Zustimmung der Eltern der jungen Frau und natürlich im gegenseitigen Einvernehmen geschehen sei. Flugs überklebten medienwirksam einige Damen des CDU-Kreisverbandes Neumünster vor einer Kamera des Norddeutschen Rundfunks den Namen ihres bisherigen Landesvorsitzenden auf Plakaten, die zu einem CDU-Sommerfest einluden. So einen Menschen wollten sie nicht in ihren Reihen sehen, lautete der Tenor.

Von Boetticher war von Carstensen gezielt als Nachfolger aufgebaut worden. Bereits in jungen Jahren hatte er seiner Partei zwischen 1999 und 2004 als Mitglied des Europäischen Parlaments gedient. Anschließend berief ihn Carstensen als Minister für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in sein Kabinett. Seit 2009 stand er der CDU-Fraktion vor. Als Carstensen erkennen ließ, er werde zur vorgezogenen Landtagswahl am 6. Mai 2012 nicht mehr antreten und Christian von Boetticher als Nachfolger ins Spiel brachte, wagte niemand zu widersprechen, obwohl alsbald Widerspruchsgemurmel vernommen wurde.

Ohne Studienabschluß ins Europaparlament

Trotzdem wurde Boetticher im vergangenen Jahr mit 90 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Parteichef gewählt. Das Murren breitete sich aber unter der Decke aus. Seine Vorstellungsrede auf dem Landesparteitag geriet hölzern und ließ keinen Vollblutpolitiker erkennen. Von Boetticher kann man unter die aufstrebenden jungen Juristen rechnen, die ohne Lebenserfahrungen über die Jugendorganisation und nach dem Studium eine Politikerlaufbahn anstreben. So zog er schon ins Europäische Parlament ein, bevor er seine juristische Ausbildung überhaupt abgeschlossen hatte. Und sein Eintritt in eine Pinneberger Rechtsanwaltskanzlei erfolgte wohl vor allem, damit der Politiker auch einen zivilen Beruf vorweisen kann. Daß er überhaupt zum Landesvorsitzenden und designierten Spitzenkandidaten avancierte, ist nach Meinung vieler CDU-Anhänger vor allem der äußerst dünnen Personaldecke der Landespartei geschuldet. Damit gehört Boetticher in die Reihe der christdemokratischen Spitzenpolitiker, die stets als kleineres Übel gewählt wurden. Zeiten, in denen Persönlichkeiten wie Friedrich-Wilhelm Lübke, Kai-Uwe von Hassel, Gerhard Stoltenberg oder Uwe Barschel die schleswig-holsteinische Partei prägten, sind längst Vergangenheit. Persönlichkeiten solchen Formats halten sich heute überwiegend von den Parteien fern.

Es gelang Parteifreunden nicht, Boetticher einem der klassischen CDU-Lager zuzuordnen. Damit erging es ihnen ähnlich wie bei Peter Harry Carstensen. Der antwortete, als er zum Beginn seiner Amtszeit gefragt wurde, wo er sich politisch einordnen würde, rechts, links oder in der Mitte: Darüber habe er sich noch keine Gedanken gemacht; er packe das an, was gerade notwendig sei. Nun, da Carstensen seine Hand nicht mehr schützend über von Boetticher halten kann, haben die innerparteilichen Kritiker wohl in Abstimmung mit der Bild-Zeitung zugeschlagen. Ob der als Nachfolger als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat gehandelte Wirtschaftsminister Jost de Jager aus anderem Holz geschnitzt ist, ist eher zweifelhaft. Er wird in der Regel als fachlich guter, aber unauffälliger Landespolitiker charakterisiert. Mit Lebenserfahrungen ist es bei ihm ebenfalls nicht weit her; nach dem Studium der Geschichte, Englisch und Politik volontierte er 1994 beim Evangelischen Pressedienst, um sich dann sogleich in die Politik zu stürzen.

Bisher wurde ein neuerlicher Erfolg der CDU bei der nächsten Landtagswahl selbst bei eingefleischten Christdemokraten angesichts des SPD-Spitzenkandidaten, des Kieler Oberbürgermeisters Torsten Albig, angezweifelt. Mit der Selbstenthauptung der Partei gut neun Monate vor der Wahl dürften die Erfolgschancen weiter gesunken sein.

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