© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Was tun, wenn’s brennt?
Unruhen: Daß Deutschland gegen bürgerkriegsähnliche Zustände gewappnet ist, darf bezweifelt werden
Michael Paulwitz

Wieviel Tottenham steckt in Berlin-Kreuzberg? Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kann „keine Anzeichen“ dafür entdecken, daß auch in deutschen Großstädten Krawalle wie in Großbritannien bevorstehen könnten. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, hält dem entgegen, Politiker seien „geübte Realitätsverweigerer“ – die Bedingungen, unter denen solche Gewaltorgien entstehen, seien in Deutschland „exakt die gleichen“. Wer hat recht?

Beide und keiner. Beide, weil zwar einerseits etliche der Faktoren, die bei den Gewaltausbrüchen in London und weiteren englischen Städten zusammengetrafen – desintegrierte Parallelgesellschaften, randalebereiter autochthoner Krawallpöbel, eine mit Personalnot und politisch-korrekten Deeskalationsvorgaben geschlagene Polizei – auch hierzulande anzutreffen sind, weil aber andererseits die Verhältnisse in Großbritannien und Deutschland hinsichtlich Arbeitsmarkt, Sozialsystem, Bevölkerungsstruktur tatsächlich nicht eins zu eins vergleichbar sind. Und keiner, weil weder der Innenminister noch der Polizeigewerkschafter es wagen, den unübersehbar im Raum stehenden Elefanten beim Namen zu nennen: „Diese Krawalle waren Rassenkrawalle. Warum ignorieren wir diese Tatsache?“ – so brachte es die konservative Journalistin Katharine Birbalsingh auf den Punkt.

Die Diagnoseverweigerung, die die ethnische Dimension „sozialer“ und „gesellschaftlicher“ Gewaltausbrüche konsequent leugnet, aus gegen die Mehrheitsgesellschaft kämpfenden Jung-Einwanderern „Jugendliche“ und aus einem von der Polizei erschossenen bewaffneten schwarzen Drogendealer einen harmlosen „Familienvater“ macht, hat in der politisch-medialen Klasse beider Länder Tradition.

Das Eingeständnis, daß Arbeitslosigkeit und prekäre Verhältnisse in Einwandererghettos schneller in Gewalt münden, weil Haß auf die autochthone Gesellschaft hinzutritt, fällt Politikern und Medien schwer, da es das Einsehen eigener Irrtümer voraussetzt. Daß die Unruhen von Tottenham auf weitere Städte mit hohem Einwandereranteil wie Birmingham übergriffen, macht den Zusammenhang aber unübersehbar. In Berlin sei die explosive Grundstimmung bei weitem nicht so stark, hält Neuköllns Bezirksbürgermeister Buschkowsky entgegen; solche Aufstände seien in der deutschen Hauptstadt „möglich ja, wahrscheinlich nein“.

Tatsächlich ist die Gesamtheit der Einwanderer in Deutschland heterogener und weniger stark von außereuropäischen Großgruppen dominiert als in England. Auch fehlt die explosive Konfrontation zweier solcher Gruppen, von afrikanisch-karibischen und pakistanisch-südostasiatischen Einwanderern, die in englischen Städten periodisch zu zwischenethnischer Gewalt führt, etwa während der „Birmingham race riots“ von 2005. In Deutschland fehle die „kritische Masse“, wiegelt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer ab. Noch, vielleicht – das Potential ist zumindest in den rasch wachsenden Türkenkolonien deutscher Großstädte durchaus vorhanden. Nicht zufällig malte noch vor den Tottenham-Krawallen der ehemalige Leiter des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, ethnische Unruhen in Deutschland und Aufstände junger arbeitsloser Türken gegen Manifestationen eines angeblichen „neuen Rassismus“ an die Wand.

Von den Medien penetrant in den Vordergrund geschoben, aber fraglos gegeben, war die Beteiligung weißer Unterschichten an den Krawallen und vor allem den Plünderungen in England. Hierzulande ist der einheimische Randalepöbel, der jederzeit bereit ist, bei multikulturellen Unruhen mitzumischen, linksextremistisch politisiert. In einschlägigen Internetportalen freute man sich offen über Brandstiftung und Plünderungen in England und beschwor die „kämpferische Solidarität“ gegen „Kapitalismus und rassistische Ausbeutung“. Die blieb in diesem Fall freilich aus; doch „der 1. Mai in Berlin und Hamburg zeigt, was bei uns möglich ist“, muß auch ein Beschwichtiger wie der SPD-Innenexperte Dieter Wiefels-pütz zugeben. Dem von Innenminister Friedrich beschworenen gesellschaftlichen „Konsens, daß Gewalt gegen unbeteiligte Menschen kein Mittel sei, um politische oder sonstige Ansichten durchzusetzen“, verweigern sich militante Linksextremisten und deutschenfeindliche Einwanderer gleichermaßen.Ob die Polizei in Deutschland für bürgerkriegsähnliche Zustände tatsächlich „besser gerüstet“ und „gut aufgestellt“ ist, wie Berlins Innensenator Körting und GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut frohgemut verkünden, darf man durchaus bezweifeln. Witthaut hatte kurz vor den englischen Krawallen drastisch über dramatische Personalengpässe und „No go areas“ in Migrantenvierteln geklagt, in denen Straftaten gar nicht mehr angezeigt würden – nahezu gleichlautend hatten englische Polizeisprecher die Gewalteskalation erklärt.

Daß der „Haß auf die Polizei“ – seitens der nicht explizit erwähnten Einwanderer natürlich – in Deutschland „bei weitem nicht so ausgeprägt“ sei, wie Soziologe Heitmeyer beruhigt, ist bestenfalls eine jederzeit veränderliche Momentaufnahme; Polizeibeamte, die sich in den Türken- und Arabervierteln deutscher Großstädte immer öfter mit aggressiven Zusammenrottungen jugendlicher Einwanderer konfrontiert sehen und als Vertreter des deutschen Staates beleidigt und angegriffen werden, sehen das zweifellos schon heute anders.

Der politisch-mediale Optimismus, daß es in Deutschland nicht zu „Londoner (oder Pariser) Verhältnissen“ kommen werde, speist sich aus der „besseren Absicherung für sozial Schwache“ (Wiefelspütz) und der „Schar von Sozialarbeitern“ (Spiegel), die verhinderten, daß Problemquartiere zu „Elendsvierteln“ würden. Das ist brüchiges Eis. Das Sozialhilfeniveau ist auch in Großbritannien hoch; wer sich mit „Blackberry“ zum Plündern verabredet, ist landläufig kein „Armer“.

Das Anspruchsdenken, sich das mit Gewalt zu nehmen, was anders nicht erreichbar ist, gedeiht am gröbsten in von Bandenkriminalität geprägten Immigranten-Parallelgesellschaften, wie sie auch in Deutschland zu beobachten sind. Schon 2004 hat der aus Syrien stammende Politikwissenschaftler Bassam Tibi prognostiziert: Bis 2014 würden in Deutschland die Sozialleistungen deutlich reduziert – die muslimischen „‘No Future’-Kids können dann nicht mehr gehalten werden. Es wird zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen.“ Tottenham liegt wohl näher an Berlin-Kreuzberg, als mancher Schönredner meint.

 

Notstand und Notwehr

Die Bekämpfung innerer Unruhen ist in Deutschland Sache der Polizei des betroffenen Landes. Ist diese dazu allein nicht in der Lage, können laut Artikel 91 des Grundgesetzes Kräfte der Bundespolizei oder Polizeieinheiten anderer Länder angefordert werden. Sind mehrere Bundesländer betroffen, darf die Bundesregierung den Landesregierungen Weisung erteilen.

Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren außerhalb des Verteidigungsfalles ist (abgesehen vom Katastrophenschutz) rechtlich nur in engen Grenzen möglich (Artikel 87a), etwa wenn im Notstandsfall die Kräfte von Länder- und Bundespolizei nicht ausreichen und die Aufständischen „organisiert und militärisch bewaffnet“ sind.

In einigen britischen Städten haben sich Einwohner zum Schutz vor Randalierern und Plünderern zusammengeschlossen. Rechtlich einwandfrei ist dies in Deutschland auch, wenn es im Rahmen der Notwehr bleibt: „Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht widerrechtlich“, sagt das Gesetz (§ 32 StGB). Jeder darf sich oder andere verteidigen. Die Notwehr richtet sich gegen den Angreifer. Der Angriff muß gegenwärtig, also noch nicht abgeschlossen, und rechtswidrig sein. Sind diese Voraussetzungen gegeben, findet keine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern statt. Vielmehr gilt der Grundsatz: „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.“

Zu beachten ist das „Irrtumsprivileg des Staates“: Gegen die Polizei, Vollstreckungsbeamte oder Feuerwehrleute im Dienst gibt es, auch wenn sie rechtswidrig handeln sollten, keine Notwehr. Nicht notwehrfähig sind außerdem Angriffe auf Rechtsgüter der Allgemeinheit.

Daneben gibt es die Selbsthilfe (§ 229 BGB). Sie erlaubt es dem Berechtigten, etwa einen Dieb oder Sachbeschädiger bis zum Eintreffen der Polizei festzunehmen. Schließlich kann nach § 127 der Strafprozeßordnung jeder jeden festnehmen, den er auf frischer Tat ertappt oder verfolgt, wenn dieser der Flucht verdächtig ist und seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Georg Pfeiffer / JF

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