© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

„Typisch deutsch – viel zu korrekt“
Belgien: Deutschbelgier als Garant des Fortbestandes des Landes / Im Fall einer Teilung geht der Blick gen Luxemburg
Mina Buts

Die andauernde Regierungskrise in Belgien führt zu immer aberwitzigeren Lösungsvorschlägen. Seit über einem Jahr hat das Land keine Regierung. Die vom König angeordnete dreiwöchige Verhandlungspause geht diese Woche zu Ende. Und der Sozialist Elio di Rupo, wallonischer Ministerpräsident und seit langem designierter Ministerpräsident für ganz Belgien, ist so gut aufgestellt wie lange nicht mehr. Bereits Ende Juli haben die flämischen Christdemokraten (CD&V) und die Liberalen (Open Vld) ihre Zusammenarbeit mit der stärksten flämischen Partei, der national-konservativen N-VA, aufgekündigt.

Die einzigen überzeugten Belgier

Für die Wallonen war das der „Abschuß des Hauptpreises, gratis und für kein einziges Zugeständnis“, wie der N-VA-Parteivorsitzende Bart de Wever bitter feststellt. Doch nicht nur durch das unerwartete Einknicken der beiden Parteien vor den wallonischen Forderungen, sondern auch aus den Reihen der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien kommt Unterstützung für den Fortbestand Belgiens.

Der deutschbelgische Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz von den Sozialisten fordert seit langem, daß es neben den Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel künftig auch eine der deutschsprachigen Belgier geben sollte. Zwar würden Wallonien und Flandern immer die beiden Protagonisten bleiben, aber dieser Zweikampf bedeute eben auch oft Polarisierung. Und in diesem Fall könne es „entschärfend wirken, noch zwei weitere Parteien hinzuzuziehen“.

Ein Belgien zu viert sei zwar kein „Wundermittel, aber es macht die Sachen einfacher, klarer und leichter begreiflich“, so Lambertz. Sich vorzustellen, daß die 74.000 Deutschbelgier auf ihren 854 Quadratkilometern gleichberechtigt neben den sechs Millionen Flamen stehen sollen, fällt auf den ersten Blick schwer. Aber sowohl für Wallonien als auch für Belgien als Ganzes hätte eine solche Lösung ihren Reiz, während gleichzeitig eine Teilung Belgiens, wie sie teilweise aus dem flämischen Landesteil gefordert wird, deutlich erschwert werden würde.

Die Deutschbelgier haben schon heute ein eigenes Sprachgebiet, ein eigenes Parlament, eine eigene Regierung und sogar einen garantierten Sitz im Europaparlament. Und während sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Belgien noch als Störenfriede und Kollaborateure mit ihrer deutschen Heimat galten – immerhin war bei der ersten Nachkriegswahl 1946 mehr als der Hälfte der dort lebenden Deutschen das Wahlrecht aus politischen Gründen abgesprochen worden –, werden sie heute als die einzigen überzeugten Belgier berschrieben. Der ihnen zuerkannte Minderheitenstatus macht sie selbstbewußt.

Auch für den Fall einer Teilung des Landes ist eine Wiederangliederung an Deutschland nicht einmal angedacht. Im Gegenteil, es ist ein offenes Geheimnis, daß Lambertz bereits mehrfach mit Luxemburg über ein solches Szenario verhandelt hat.

„Gesandwicht“ zwischen Deutschland und Wallonien

Zwar gibt es auch noch etwa 10.000 Deutsche, die in Deutschbelgien ihren Wohnsitz haben, aber in Deutschland arbeiten, doch diese gelten, laut dem Experten für die Deutschbelgier, Werner Miessen, als „reicher, arrogant und – typisch deutsch – viel zu korrekt.“ Die Deutschbelgier hingegen seien „gesandwicht“ zwischen Deutschland und Wallonien, im Gegensatz zu den Wallonen jedoch fließend zweisprachig und im Gegensatz zu den Deutschen von einer „burgundisch-belgischen Mentalität“. Sie ins Boot zu holen als eine vierte Macht im Staat, wäre für die Wallonen sinnvoll, um die eigene Position zu stärken. Ebenso wie die Wallonen wählen die Deutschbelgier eher links-sozialistisch, ihr Ministerpräsident, der dieses Amt seit 1999 innehat – eine für Belgien erstaunliche Kontinuität – steht als Vorstandsmitglied der Parti Socialiste (PS) seit 1986 dafür.

Bei einer Podiumsdiskussion, die Mitte Juli in Eupen stattfand, vertrat aber auch der flämische Vermittler Johan Vande Lanotte, ebenfalls Sozialdemokrat, die Auffassung, es solle ein Belgien mit vier Teilstaaten geben. Zwar müßten diese nicht alle dieselben Befugnisse erhalten, aber zu den jetzt schon gewährten Autonomierechten müßten sich für die Deutschbelgier Wirtschaft, Beschäftigung, Justiz und eine autonome Steuerpolitik hinzu gesellen. Und Lambertz bekräftigte, sein Landesteil sei sowohl gewillt als auch in der Lage, all diese Zuständigkeiten zu übernehmen, wenn es nur ausreichend Finanzmittel gäbe. Deutlich benennt Lambertz die Wirkung einer solchen vierten Macht: Wenn die bipolare Dynamik der vergangenen Jahrzehnte endlich überwunden würde, dann sei das „ein entscheidender Stabilitätsfaktor für das föderale Belgien“.

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