© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Depressiver Offenbarungseid
Finanzmarktregulierung: Die Verbote von Leerverkäufen bestätigen den Konjunkturpessimismus
Bernd-Thomas Ramb

Vier Staaten der Europäischen Währungsunion (EWU) haben als Reaktion auf den rasanten Verfall der Aktienwerte ihrer Länder ein Leerverkaufsverbot erlassen. Frankreich, Italien, Spanien und Belgien wollen damit den Spekulanten in die Parade fahren, die sich an diesem Börsensturz bereichern. Schon werden in Deutschland wieder Stimmen laut, die gleiches für die deutschen Börsen (JF 23/10) und europaweit fordern. Sie sehen dabei die Moral auf ihrer Seite. Spekulanten sind unsympathisch, geldgierig und gewissenlos. Ihnen das Handwerk zu legen, verspricht edles Handeln zugunsten der Armen, die nicht spekulieren können. Diese Auffassung ist jedoch ebenso falsch wie allgemeinschädlich.

Passend dazu, wird selten klar gesagt, was Leerverkäufe eigentlich bedeuten. Die öffentlich-rechtliche Aufklärung durch die halbstaatlichen Medienanstalten beschreibt diese Transaktion verächtlich als Verkauf von etwas, was man nicht besitzt. Die pure Polemik dieser Darstellung wird schon aus dem Faktum deutlich, daß Kauf und Verkauf nur rechtmäßig ist, wenn der Besitz eindeutig geklärt ist. Leerverkäufer besitzen die Aktien, die sie verkaufen. Sie besitzen sie zwar nur leihweise, aber sie haben dafür Sicherheiten hinterlegen müssen, wie sie auch für die Zeit bis zur Rückgabe der Aktien an den Verleiher Gebühren zahlen müssen. In einem unbedeutenden Umfang und nur für kürzeste Zeit können die Leerverkäufer auch mit dem Versprechen der Nachlieferung operieren. Dann treten die Käufer der Aktien gewissermaßen in Vorkasse.

Einseitige Verhinderung der Aktienspekulation

Leerverkäufe sind folglich keine leeren Verkäufe, sondern der Verkauf geliehener Aktien oder das Versprechen einer späteren Nachlieferung. Der Reiz einer solchen Transaktion besteht natürlich in der Hoffnung des Verkäufers, die später dem Verleiher zurückzugebenden Aktien zu einem günstigeren Preis beschaffen zu können. Dieser Vorgang ist im Alltagshandel anderer Waren häufig vorzufinden. Ein Heizölhändler beispielsweise, der mit dem Kunden eine Lieferung in vier Wochen zu einem heute ausgehandelten Preis vereinbart, muß die Ware nicht heute einkaufen. Er kann auch darauf hoffen, das Öl in drei Wochen zu einem günstigeren Einkaufspreis zu erwerben. Das Leerverkaufsverbot bei Aktien diskriminiert damit den Aktienhandel gegenüber anderen Handelsgeschäften.

Ein Leerverkaufsverbot bedeutet zudem eine einseitige Verhinderung der Aktienspekulation. Die Leerverkäufer rechnen mit fallenden Aktienkursen und versuchen beim Verkauf der Aktien, aus der zeitlichen Differenz zwischen Gelderhalt und Warenlieferung einen Gewinn zu erzielen. Ihre Spekulation müssen sie in jedem Fall finanziell absichern. Gleiches gilt auch für den umgekehrten Fall, in dem mit einem steigenden Aktienkurs gerechnet wird. Da wird sich der Spekulant möglicherweise Geld leihen, um den augenblicklich niedrigen Aktienkurs auszunutzen. Bei einem späteren Verkauf der Aktien kann er nach Rückzahlung des Zwischenkredits samt Zinskosten den Profit aus dem Kursanstieg einstreichen. Wenn der Staat Leerverkäufe verbietet, warum dann nicht auch kreditfinanzierte Aktienkäufe?

Wirkt überhaupt ein Leerverkaufsverbot? Wenig! Erstens läßt sich ein solches Verbot unterlaufen, da Leerverkäufe schwer kontrollierbar sind. Aktien an andere zu verleihen, bedarf nur der privatrechtlichen Vereinbarung, aber keiner staatlichen Genehmigung. Das Risiko, seine Aktien nicht wieder zurückzubekommen, trägt der Verleiher, nicht der Staat. Wie auch ein Gläubiger damit rechnen muß, seine Kredite nicht zurückzuerhalten, die er einem Geschäftspartner gewährt, der auf steigende Aktienkurse spekuliert und Aktien mit geliehenem Geld kaufen will. Zweitens verstärkt ein Verbot des Leerverkaufs nur die Erwartung fallender Aktienkurse. Der Vorwurf, Leerverkäufe würden den Trend des Kursverfalls verstärken und müßten deshalb verboten werden, ist daher unsinnig. Es ist genau umgekehrt: Das Verbot der Leerverkäufe verstärkt den angeblich ungewünschten Trend.

Leerverkäufe beruhen auf der Erwartung der Marktteilnehmer, daß die Aktienkurse künftig schnell sinken. Diese Erwartungen kommen nicht von ungefähr. Spekulanten sind keine Lottospieler, sondern strikt rational handelnde Rechner. Bei massiven Leerverkäufen ist die Marschrichtung klar. Der Niedergang der Aktienkurse wird erwartet, weil rational nachvollziehbare Gründe dafür sprechen: Die wirtschaftlichen Aktivitäten erlahmen, die Unternehmensgewinne gehen zurück.

Keine Hoffnung auf einen Wirtschaftsaufschwung

Das Wissen der Leerverkäufer um die künftige Kursentwicklung mag vereinzelt auf Insider-Wissen beruhen, das kann aber nur auf bestimmte Aktien zutreffen. Werden die Leerverkäufe breit gestreut, dann liegt ein ebenso breites Wissen der Marktteilnehmer um die kommende gesamtwirtschaftliche Entwicklung vor. Da aber stehen mit dem Phänomen des aktuellen Börsensturzes eindeutig die Signale auf Rot.

Wenn die Bundesregierung jetzt auch ein Leerverkaufsverbot erteilen würde, bestätigte sie damit nur die Einschätzung einer beginnenden wirtschaftlichen Depression. Für die bereits erteilten Verbote in Spanien, Italien, Frankreich und Belgien liegt praktisch ein Offenbarungseid bereits vor. Diese Länder glauben nicht mehr an einen kommenden Wirtschaftsaufschwung. Sie haben die Depression jetzt schon einkalkuliert und wollen die entsprechenden Reaktionen der Aktienmärkte verhindern. Ein vergebliches Unterfangen.

 

Leerverkaufsverbote

Leerverkäufe wurden in den Jahren nach dem Börsenkrach von 1929 in vielen Ländern verboten bzw. stark eingeschränkt. In den USA wurde die unter Präsident Roosevelt eingeführte Regulierung sogar erst 2007 wieder aufgehoben. Im Zuge der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite 2008 wurde dann auch in Deutschland ein vorübergehendes Leerverkaufsverbot von Bank- und Versicherungsaktien erlassen. Nach Ausbruch der Euro-Krise im Mai 2010 verhängte die Finanzaufsichtsbehörde BaFin ein Leerverkaufsverbot für deutsche Aktien von Finanzkonzernen, Staatsanleihen sowie Kreditversicherungen (CDS). Dieses Verbot wurde im Gesetz zur Vorbeugung gegen mißbräuchliche Wertpapier- und Derivatgeschäfte (BGBl. 2010, Teil 1 Nr. 38, S. 945) verankert. Dieses aktuelle Verbot bezieht sich jedoch nur auf ungedeckte Leerverkäufe. Laut BaFin sind das solche Leerverkäufe, bei denen der Verkäufer des Wertpapiers weder das Eigentum noch einen Anspruch auf einen Eigentumsübertrag hat. Im Markt für Bundesanleihen gibt es aber auch hier für bestimmte Großbanken Ausnahmen.

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