© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Eine Legende verabschiedet sich
Letzte Konzertauftritte: Die Heavy-Metal-Band Judas Priest prägte wie kaum eine andere das Genre
Henning Hoffgaard

Gespenstische Stille. Langsam klingt das hymnische Intro aus. Dann endlich erlöst ein markerschütterndes Gitarrenriff die mehr als 4.000 wartenden Fans in der Berliner Konzertarena. Der Vorhang fällt und gibt den Blick auf die Bühne frei. Dort stehen die Heavy-Metal-Veteranen von Judas Priest und machen das, was Metal-Bands eben so machen. Für die einen ist es „Krach“, für die anderen schlicht „die beste Musik der Welt“.

Von letzterem muß an diesem Abend allerdings niemand mehr überzeugt werden. Es wäre ohnehin die letzte Chance: Nach mehr als 42 Jahren, über 60 Millionen verkauften Alben und Hunderten von Auftritten verabschiedet sich die Band auf ihrer letzten Welt-Tournee von ihrem deutschen Publikum. Ein paar Konzerte noch in Südamerika und den Vereinigten Staaten, dann ist endgültig Schluß. Viele Fans wissen das und ringen am Ende des Konzerts sichtlich um Fassung. Für die meisten war die Band seit ihrem ersten Deutschlandauftritt 1979, damals noch als Vorgruppe von AC/DC, fester Bestandteil ihrer schwermetallischen Lebenswelt. Natürlich gibt es zahlreiche weitere Gruppen, die ganz ähnliche Musik machen, doch irgendwie waren Judas Priest schon immer da. Eines der letzten großen Originale.

Und tatsächlich hat die bereits 1969 in Birmingham gegründete Combo den Hardrock und Heavy Metal so nachhaltig beeinflußt wie kaum eine andere Gruppe. Besonders Sänger Rob Halford hat mit seinen legendären Auftritten das Bild der gesamten Musikrichtung geprägt.

Langsam schreitet er auch an diesem Abend majestätisch, jede hektische Bewegung vermeidend, über die Bühne. Obwohl sich die beiden Gitarristen Glenn Tipton und Richie Faulkner mächtig ins Zeug legen, ist es doch der 59 Jahre alte, stark tätowierte Sänger, der in seinem langen, mit Nieten übersäten Ledermantel die Bühne dominiert. Ausgestattet mit einer markanten Viereinhalb-Oktaven-Stimme gilt er als die Personifizierung des traditionellen Metal schlechthin.

Wer den charismatischen Glatzkopf Anfang der siebziger Jahre gesehen hat, dürfte diese Entwicklung nicht zwangsläufig erwartet haben. Statt Leder tragen Halford und seine Bandkollegen damals noch lange, wallende, an LSD-Fieberträume erinnernde Hippie-Kleidung und spielen eine nicht sonderlich aufregende Mischung aus Rock und Bluesmusik. Die Seidengewänder verschwinden schließlich und mit ihnen auch die langen Haare.

Vorliebe für schwarzes Leder, Nieten und Ketten

An ihre Stelle rückt das, was den Heavy Metal seitdem ausmacht und auch auf jedem homosexuellen Fetischtreffen zu sehen ist: schwarzes Leder, Nietenbänder, Ketten und Handschellen. Auch der obligatorische Auftritt mit Harley Davidson, Peitsche und Sonnenbrille wird schnell ins Bühnenprogramm aufgenommen. Bei derartig offensichtlicher Symbolik verwundert es, daß der Sänger sich erst 1998 in einem Fernsehinterview zu seiner Homosexualität bekennt.

Die Vorliebe für extrovertierte lederreiche Bühnenkleidung hat sich der heute in Arizona lebende Engländer erhalten und zu einem wahren Kult ausgebaut. Mit nicht weniger als acht verschiedenen Outfits während eines Konzertes dürfte er so manches Popsternchen mühelos in den Schatten stellen. Daß der von seinen Fans als „Metal God“ verehrte Sänger mit so viel Metall am Körper zuweilen eher wie eine laufende Discokugel oder ein exzessiv behangener Weihnachtsbaum aussieht, stört niemanden. Es gehört einfach dazu.

Doch nicht nur äußerlich kommt den Briten eine Vorreiterrolle zu. Der musikalische Einfluß, den die Band in mehr als vier Jahrzehnten auf so gut wie jedes Genre im Metal und Rock genommen hat, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: doppelläufige Gitarrenriffs, schneidender Gesang und eine Lyrik, die kein Klischee ausläßt.

Nach einem eher unscheinbaren Debütalbum mit dem schrägen Titel „Rocka Rolla“ gelingt der Band mit dem „Sin After Sin“-Album 1977 der Durchbruch in Großbritannien. Aus kleinen Sälen werden Konzerthallen, und schließlich findet man nach zahlreichen Wechseln mit Dave Holland auch einen festen Schlagzeuger. 1980, dem „besten Jahr für Heavy Metal überhaupt“, wie Halford bekundet, legt das Quintett mit dem umfeierten Album „British Steel“ den Grundstein für den „New Wave of British Heavy Metal“, einem Genre, aus dem Bands wie Saxon, Def Leppard oder Iron Maiden hervorgegangen sind.

Songs wie „Metal Gods“, „Breaking the Law“ oder „Living after Midnight“ gehören mit ihren eingängigen Riffs bis heute zum Standardrepertoire aller Gitarristen. Priest unterschieden sich mit ihren schnellen Stakkato-Riffs dabei von Gruppen wie Motörhead, die noch wesentlich stärker vom klassischen Rock’n Roll und dem Punk beeinflußt sind.

Nachdem es der Band gelingt, mit dem Radiohit „You‘ve Got Another Thing Comin’“ auch in den Vereinigten Staaten Fuß zu fassen, gerät sie zunehmend in den Fokus ultrakonservativer Gruppierungen, die ihr vermeintlich satanistisches Gedankengut andichten.

Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne im Sommer 1990, als sich die Gruppe in einem Schadensersatzprozeß vor einem amerikanischen Zivilgericht wegen des Selbstmords zweier Jugendlicher verantworten muß, die sich 1985 nach dem Hören von Judas-Priest-Alben mit einer Schrotflinte in den Kopf geschossen hatten. Der zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alte James Vance überlebte schrecklich entstellt. Seine Eltern werfen der Gruppe vor, über versteckte Botschaften, die erst beim Rückwärts-Abspielen hörbar würden, eine Mitschuld am Suizidversuch ihres Sohnes zu tragen.

Halford muß im Zeugenstand singen

In einem Gerichtsverfahren, in dem Halford im Zeugenstand die beanstandeten Lieder singen muß, werden die Bandmitglieder schließlich freigesprochen. Dennoch hinterläßt das Spektakel seine Spuren. Obwohl Priest nach einer musikalisch eher durchwachsenen Zeit Ende der achtziger Jahre mit „Painkiller“ 1990 ein fulminantes, musikalisch stark vom Thrash Metal beeinflußtes Album vorlegen, bleiben die Zuschauerzahlen hinter den Erwartungen zurück. Halford selbst zieht es zu diesem Zeitpunkt längst in andere musikalische Gefilde. Obwohl Judas Priest ihren Stil beständig verändern und auch vor Pop-Syntheseizern nicht halt machen, sucht der Sänger sein Glück in einer wenig erfolgreichen Solokarriere. Zur Erleichterung der Fans endet diese als unnatürlich empfundene Trennung 2003.

Nach zwei erfolgreichen Alben und der aktuellen „Epitaph“-Tour also soll endgültig Schluß sein. Was bleibt nach 42 Jahren? Am ehesten wohl die Erkenntnis des aus der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ bekannten Schulbusfahrers Otto. Der bemerkte einmal beiläufig: „Neue Musik? All diese Bands kopieren doch nur Judas Priest!“

Judas Priest: Rob Halford (2.v.l.) gilt neben Bruce Dickinson von Iron Maiden und dem verstorbenen Ronnie James Dio als einer der besten Metalsänger

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