© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Papier ist geduldiger
Entschlafene Kunst: Matthias Weischers Malerei und Grafik in Leipzig
Sebastian Hennig

Peintre-graveur, zu deutsch Malerstecher, wird ein Künstler genannt, dessen Erfindungskraft als Maler ihn zu maßgeblichen Leistungen auch in der Druckgrafik beflügelt. Rembrandt, Goya und Dürer waren solche Gewaltigen, deren Genius die klafternde Leinwand wie den handtellergroßen Stich schrankenlos beherrschte.

Unter den neueren kommt vor allem dem Bologneser Giorgio Morandi solcher Doppelruhm zu. Die Radierungen von Matthias Weischer erinnern unverkennbar an dessen sorgfältige und lockere Strichätzungen. Und die gemeinsamen Wurzeln dieser hell-dunklen Gewebe gründen unzweifelhaft in Rembrandts später Grafik. Das Gefieder der Flamingos auf Weischers Blatt weht in einem belebenden Licht. In der Tiefe der Druckerschwärze ballt sich geheimnisvoll schraffiert das Dunkel eines Strauchwerks.

Viele Landschaftsradierungen wirken etwas unfrei, manche Baumgruppe erscheint eng und verklemmt. Auf anderen wieder vollzieht sich eine passable Raumentfaltung. Wenn aber die banalen Gefäße auf Morandis Bildern an mystischer Kraft durchaus an die biblischen Szenerien des großen Holländers aufschließen, vermitteln Weischers Etüden die schmerzliche Erfahrung der Abwesenheit eines Gehaltes, der tiefer noch ruht, als wohin rein formale Artistik vorzudringen vermag.

Auf dem Radierzyklus „homeland 1-17“ sind neben Parklandschaften auch die Säle des Leipziger Bildermuseums zu sehen. Die schweren profilierten Rahmen der Gemälde prägen sich in die Wände: Bilder als feierliche Blickfenster in eine Wahrheit, die in der Äußerlichkeit der Dinge eingeschlossen ist.

Im Untergeschoß des Museums der bildenden Künste in Leipzig dagegen kommt diese Sogwirkung nicht auf. Gnadenlos weiß bleiben die Wände derzeit zwischen Weischers Papierarbeiten. Diese Stille und Leere ist Ärgernis und Wohltat zugleich. Wenn aus der Ausstellung gleichwohl keine Kräftigung zu ziehen ist, so verärgert sie immerhin nicht. Denn sachte und zart wird hier vorgetragen. Es sind nicht die gewohnten schmerzhaft schrägen Fanfarentöne.

Weischer bläst seine Weisen auf einer verstopften Flöte, aus der sich bei meist trockenem, tonlosen Gepuste gelegentlich ein kurzer beherzter Triller löst. Die Heterogenität in der Güte der Arbeiten ist etwas ganz Natürliches bei einem Lebenden. Der Krawall um große Einzelausstellungen von noch in der Entwicklung stehenden Künstlern veranlaßt sie, zu zeitig ausschließlich zu produzieren anstatt weiter nach ihrem Bild zu forschen. Die intime und ziellos verspielte Ausstellung mit dem harmlosen Titel „Alice, Armin und all die anderen“ erscheint als eine kokette Tändelei vor dem Rachen des monströsen Kunstbetriebs.

Deutlicher wird das Programm am Begleitbuch mit dem programmatischen Titel „Kunstwerkstatt Matthias Weischer“. Darin wird neben den Arbeiten auch die Atmosphäre ihrer Entstehung dokumentiert. An Homogenität und Vollständigkeit übertrifft das Buch die Ausstellung: Hier entspricht die Form dem Inhalt. Ein griffiges starkes Papier und sorgfältige Reproduktion, die alle Eigenheiten der Originale konzentriert wiedergeben, bewirken, daß etwas von der Aura leise anklingt, die im Museum vermißt wird: Kunstschöpfung als in-vitro-Fertilisation, die wohl im Reagenzglas, aber nicht im vitalen Körper aufkeimen kann.

Die Fotos, auf denen sich der Künstler über die Lithographie-Steine aus Solnhofer Schiefer beugt, erinnern an den ehrwürdigen Künstler-Handwerker-Typus des 19. Jahrhunderts. Aber viele der Ergebnisse verharren dann auch in der Sphäre des Kunsthandwerklichen. Im Gespräch schwärmt Weischer von der Verantwortung gegenüber dem Papier, das klare Entscheidungen verlangt, während die Ölmalerei zu Reuestrichen und Übermalungen einlädt: „Wenn ich eine Papierarbeit anlege, die auch Werkcharakter haben soll, findet eine Disziplinierung statt.“

Der Drang zum großen Format als auch die meist unnötige Farbigkeit offenbaren dann doch die nervöse Anfälligkeit für die Regeln des Wettbewerbs. So ganz mutwillig möchte man sich nicht mit baren kleinen Etüden ins Abseits navigieren. Weischer hat bereits eine Marke zu verteidigen, die er durch seine Ölmalerei ausgeprägt hat. Eines seiner Gemälde hängt im Obergeschoß der Sammlung zwischen den anderen Protagonisten der Leipziger Szene.

Die Ölfarbe hat wohl mehr Autorität. Das Papier aber ist geduldiger. Ein Harmoniebedürfnis ist allgegenwärtig. Aber das Vage ist nicht immer auch das Atmende. Mehrere große Malereien sind aus eingefärbtem Papierbrei auf dem Sieb gefügt. Der Bildträger entsteht so zugleich mit der Farbe. Dadurch bleiben die Bilder besonders flach und unentschieden. Kein Setzen von Farbe und Form, sondern zauderndes Anschmiegen von Faser an Faser, in der Faser gefärbt.

Der Vergleich mit der Freskomalerei, den der Künstler zieht, ist allenfalls technologisch begründet. Vielmehr haben diese Blätter etwas von riesigen Illustrationen. So wie Morandi in der Beschränkung einer städtischen Mietwohnung seinen kleinformatigen Gemälden eine fast ozeanischen Weite mitteilte, greift jene uferlose Öde auf Matthias Weischers Bilder über, die in den riesigen Werkhallen nistet, in denen die zeitgenössischen Kreativarbeiter an ihren Erfolgen basteln.

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. August im Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. von 12 bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 41 / 2 16 99 0

Der Band „Kunstwerkstatt Weischer“ mit 72 Seiten ist im Prestel Verlag, München, erschienen und kostet 25 Euro. ww.mdbk.de

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