© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

An einem Tag im Zweiten
Sehenswert an der ZDF-Dokumentation über den Angriff von Kundus sind vor allem die haarsträubenden Politikeraussagen
Toni Roidl

Am 3. September 2009 wird Oberst Klein im deutschen Feldlager Kundus in Afghanistan gemeldet, daß unweit zwei Tanklastzüge entführt wurden. Als Klein dies erfährt, weiß er, womit er zu rechnen hat: Zwei Wochen zuvor hatten die Taliban erstmals Tanklastwagen als rollende Bomben eingesetzt. Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff auf das Bundeswehrlager nach diesem Muster hatten sich bereits verdichtet. Zudem war es den Taliban wenige Tage vorher gelungen, deutsche und afghanische Uniformen zu erbeuten, die sich trefflich als Tarnung verwenden ließen.

Doch die Gotteskrieger machen einen Fehler: Sie wählen eine Sandpiste, in der die LKWs steckenbleiben. Ein Bomber erspäht die Fahrzeuge an der Rahman Bay. Von dort sind es nur zwanzig Minuten zum deutschen Stützpunkt. Klein will nicht erst warten, bis die Taliban die Wagen wieder flottgemacht haben!

Der Oberst steckt im Zwiespalt: Er entschließt sich zunächst, den Bomber abzuziehen. Doch dann wird ihm die Sache zu heiß – der Luftbeobachter meldet, daß sich die Personengruppe um die Fahrzeuge stark vermehrt. Klein fordert Kampfflieger an. Um die Dringlichkeit klarzumachen, daß bewaffnete Taliban mit gekaperten Tanklastern wenige Kilometer vor seinem Lager mobil machen, meldet er den Fall „TIC“ (troops in contact). Der Rest ist bekannt: Bei dem Luftangriff werden mehr als 100 Afghanen getötet, deren Angehörigen Deutschland 400.000 Euro Entschädigung zahlt.

Klein hingegen muß sich vor einem Untersuchungsausschuß verantworten. Seine Situation vor dem Gremium schildert nun eine TV-Dokumentation in typischer Fernsehspiel-Manier: „Der tödliche Befehl – an einem Tag in Kunduz“. Ursprünglich sollte der Film schon Anfang August gesendet werden; doch stattdessen lief auf dem vorgesehenen Sendeplatz „Die Traumhochzeit“. Offizielle Begründung: Man wolle den Beitrag näher am Jahrestag der Geschehnisse ausstrahlen.

Die Macher versichern, daß die Dialoge authentisch sind. Falls das stimmt, so kann sich der Zuschauer nur die Haare raufen – angesichts der grotesken Kreuzverhöre! „Konnten Sie ausschließen, daß dort Zivilisten sind?“ „Warum gingen Sie davon aus, daß die bewaffnet sind?“ Imponierend, daß Klein bei diesem realitätsfernen Blödsinn während seines Verhörs die Ruhe bewahrte!

Franz-Josef Jung, damals Verteidigungsminister, fragt: Was wäre eigentlich gewesen, wenn es den Taliban gelungen wäre, die über 20 Tonnen Benzin als rollende Bomben nutzbar zu machen? Die Frage hat im Ausschuß niemand gestellt.

Der Film war bereits vor seiner Ausstrahlung bei Youtube verfügbar. Die Online-Zuschauer, die sich dort äußern, stehen klar auf Kleins Seite: „Diese Diskussion ist nur in Deutschland möglich!“ Der Ausschußteilnehmer Omid Nouripur (Die Grünen) berichtet, das Tribunal sei von Oberst Kleins authentischer und gradliniger Persönlichkeit sehr beeindruckt gewesen und habe nach seinen Einlassungen anerkennend auf die Tische geklopft – um sich gleich danach gegenseitig darauf einzuschwören, das nie wieder zu tun. Schließlich habe man es mit einem „Belasteten“ zu tun.

An einem Tag in Kundus (Dokumentation), ZDF, 7. September, 21.00 Uhr

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