© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Revolution im Treibsand
Libyen: Im Südosten stehen sich zehn Rebellengruppen gegenüber / Eine zentrale Organisation gibt es nicht
Billy Six / Al Kufra

Das überlebst Du nicht!“ Die Aussage des libyschen Rebellenrats in Bengasi war klar und eindeutig: Kein ausländischer Journalist soll nach Al Kufra, der südlichsten Stadt des Wüstenstaates. Vier Oasen mit nur 40.000 Einwohnern, fast 1.000 Kilometer Luftlinie von der Oppositionshochburg entfernt, umgeben vom endlosen Sandmeer der Sahara – niemand könne hier die Sicherheit eines Reporters garantieren, hieß es.

„Viele verstehen den Sinn der Revolution nicht“

An einem Mangel an Waffen kann es nicht liegen: Es knallt gewaltig. Ein Konvoi aus dreißig Geländewagen rollt durch die Straßen. Mit Kalaschnikows, 14,5-mm-Flugabwehrgeschossen und selbst Panzerfäusten wird wahllos in die Luft geschossen. Die Männer-Gesellschaft jubelt. Sie nennen es „Party“. Andere stehen regungslos am Straßenrand und begutachten das Spektakel. Keine Frage, hier soll Stärke demonstriert werden.

„Über Wochen und Monate war Kufra komplett gespalten, aber mittlerweile hat die Revolution die Oberhand“, sagt ein Englischlehrer der Universität. Tatsächlich werden die Trikoloren des alten Königreichs von Tag zu Tag zahlreicher.

Noch vor kurzem war alles anders: Gerade mal 400 Demonstranten sorgten am 23. Februar für einen Umsturz. Die Polizei ging nach Hause. „Und das Militär ignorierte den Schießbefehl aus Tripolis“, sagt Oberst Suleiman Hamed al Zway (52), der seitdem auf dem Flughafen als selbsternannter Feldherr residiert.

Tote gab es damals keine. Doch ein Mann hielt Muammar Gaddafi die Treue – Oberst Belgassem Labasch al Zway. Wütend über die Tatenlosigkeit der eigenen Armee, nahm er den weiten Weg in den Westen auf sich, um eine Gegentruppe zu organisieren. Mit 40 bis 50 bewaffneten Toyota-Geländewagen sollte dem revolutionären Spuk dann schließlich ein Ende bereitet werden.

Noch heute ist Suleiman Hamed außer sich, daß die Nato seinen Gegenspieler damals nicht ins Visier nahm. Belgassem verhielt sich geschickt – aus seinem langsamen Vormarsch machte er kein Geheimnis. Die zu den Rebellen übergelaufenen Armee-Einheiten und ein bunter Haufen aus neuen Rebellenkämpfern machte sich Hals über Kopf in die Wüste auf. So fiel Al Kufra am 27. April kampflos zurück an die Regierung in Tripolis. Der Gerichtshof, Sitz des örtlichen Revolutionsrats, wurde mit einer Planierraupe niedergewalzt. Grüne Flaggen wehten in den Straßen – die Sache schien erledigt.

„Der Oberst hat diese Stadt aber unterschätzt“, sagt Hassan Barassi al Zway und lacht freundlich. Der 60jährige Nachfahre afrikanischer Sklaven ist einer der schillerndsten Figuren des Wüsten-Theaters. Als Individual-Rebell hat er eine geheime Operation begleitet: einen bisher unbekannten Waffenimport aus dem Ausland. 30 Wüstenfahrzeuge schiffte das Golf-Emirat Katar in den Sudan ein. Mit Duldung des Baschir-Regimes in Khartum deckte sich eine Rebellenabordnung aus Libyen mit dem Munitionsangebot des Bürgerkriegslandes ein – und machte sich schleunigst auf den Rückweg gen Heimat.

Und dann floß doch noch Blut. Am 5. Mai startete eine Gruppe von 150 Bewaffneten den Gegenangriff. Soldaten und Rebellen. Doch ausgerechnet die ausgebildeten Soldaten unter den Angreifern machten einen schnellen Rückzieher – und ließen die Amateure allein. Sechs Rebellen starben. Und eine unbekannte Zahl auf der Gegenseite. Die Gaddafi-treuen Truppen traten daraufhin den Rückzug an.

Jetzt ist ein merkwürdiger Friede eingekehrt im äußersten Südosten Libyens: Mindestens zehn Rebellen-Formationen stehen sich nun gegenüber. Eine zentrale Organisation gibt es nicht. Dafür eine Menge Mißtrauen. „Viele verstehen den Sinn dieser Revolution überhaupt nicht“, gibt Scheich Nasser Bujafuhl al Zway zu bedenken. Der Exilant aus Australien, vor 20 Jahren noch Mitglied einer islamistischen Jugendbewegung, ist vom Revolutionsrat in Bengasi mitsamt einer ganzen Freiwilligenkompanie angerückt. „Wir haben Suleiman Hamed erwischt, wie er zehn Fahrzeuge Richtung Tschad fahren ließ – vollgepackt mit Lebensmitteln und Benzin, das für die Bürger Kufras bestimmt war.“ Ein lukratives Auslandsgeschäft, während die Privatautos stundenlang in einer Hunderte Meter langen Schlange auf Treibstoff warten. In der Wüste sei es zu einer handfesten Auseinandersetzung mit dem Schmuggler-Oberst gekommen – und der Scheich ließ ihn ziehen, um einen offenen Konflikt unter den Rebellen abzuwenden.

„Die Wüstenaraber sind ungläubiger“

Stoppen tun den Handel nun andere: Die Darfur-Rebellengruppe „Gerechtigkeit und Gleichheit“ ist auf libysches Gebiet vorgestoßen und hält wichtige Punkte entlang der Grenzen besetzt. Offenbar handeln sie im Auftrag der Gaddafi-Regierung und sollen weitere Waffenimporte verhindern. So ärgerlich die Lage auch ist, Suleiman Hamed mag sich auf weitere Abenteuer im heißen Wüstensand nicht einlassen – sein Kopf schmerzt, vom ständigen Alkoholkonsum.

Was niemand hören mag: „Kufra“ entstammt dem arabischen Wort „kafir“ für „Ungläubiger“. Ein Zufall? „Al Ahrahb aschadu kufran wanifakan“ – im ganzen Orient ist dieser Satz bekannt. „Die Wüstenaraber sind ungläubiger und heuchlerischer“, lautet die Übersetzung. Diese Deutung kommt nicht von ungefähr, sondern stammt aus der neunten Sure des Koran (9/97).   

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