© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

„Das Ende des Euro“
Stellen Sie sich vor, der Chef etwa des Handelsblatts wagte in einem Buch die Wahrheit über die Zukunft des Euro zu sagen. Undenkbar? In Belgien hat der Chefredakteur des führenden Wirtschaftsmagazins Trends diesen Mut gefunden.
Moritz Schwarz

Herr Dr. Van Overtveldt, Sie sagen: „Das Ende des Euro kommt.“ Wie sicher ist das?

Overtveldt: Zu hundert Prozent. Der Euro, wie wir ihn kennen, wird scheitern.

Weiß das Frau Merkel?

Overtveldt: Zumindest müßte sie es wissen, denn der Punkt ist: So wie der Euro konstruiert ist, kann er überhaupt nicht überleben – es wagen nur zu wenige, das offen auszusprechen.

In Deutschland kann man die namhaften Personen aus dem etablierten Bereich, die das tun, tatsächlich an zwei Händen abzählen.

Overtveldt: Egal ob ich in Deutschland, Belgien oder einem anderen EU-Land unterwegs war, in neun von zehn Fällen hat mein Gegenüber – ob es nun Banker, Unternehmer oder Politiker waren – meinen Thesen stets weitgehend zugestimmt, am Ende aber bemerkt: „Verstehen Sie jedoch bitte, daß ich es mir nicht erlauben kann, diese Dinge ebenfalls öffentlich laut zu sagen.“

Warum trauen Sie es sich nun?

Overtveldt: Ich bin in meinem Leben immer dem Prinzip gefolgt, zu tun, was ich für notwendig gehalten habe.

Kanzlerin Merkel sagt: „Euro-Bonds sind nicht der richtige Weg, um den Euro zu retten.“ Also gibt es doch einen – anderen – Weg?

Overtveldt: Jedenfalls hat sie recht, es wäre verantwortungslos, ja sogar dumm jetzt Euro-Bonds auszugeben. Die würden im Moment den Finanzschlendrian nur anheizen. Euro-Bonds sind erst dann sinnvoll, wenn zuvor eine EU-Wirtschaftsregierung eingeführt wird.

Merkel und Sarkozy wollen genau das. Also wird doch noch alles gut?

Overtveldt: Das darf dennoch bezweifelt werden, denken Sie etwa zurück an den Euro-Stabilitätspakt. Der wurde von Anfang an nicht eingehalten – und zwar nicht einmal von den EU-Führungsstaaten Deutschland und Frankreich.

Also, was müßte gemacht werden, damit eine solche Wirtschaftsregierung funktioniert?

Overtveldt: Eine EU-Wirtschaftsregierung müßte befähigt sein, streng und unnachgiebig über die Einhaltung der Regeln zu wachen. Dazu müßte jedes Mitgliedsland bedingungslos seine Souveränität in Sachen Wirtschaftspolitik an die EU abtreten.

Sind Sie sicher? Merkel und Sarkozy sprachen in Paris nicht von einer übergeordneten Institution, sondern lediglich von einem gemeinsamen Rat zur besseren Steuerung der Euro-Zone.

Overtveldt: Das ist Unsinn, so funktioniert das nicht. Ich erinnere nochmal an das Schicksal des Euro-Stabilitätspakts. Nein, eine Wirtschaftsregierung müßte mit wirklicher Macht ausgestattet sein, sie müßte die Legitimität und die Mittel haben, den Nationalstaaten ihre Politik gegebenenfalls aufzuzwingen.

„Wirtschaftsregierung“ heißt also in Wirklichkeit: Aufgabe der Souveränität?

Overtveldt: Richtig. Und zwar nicht nur in Sachen Wirtschaftspolitik, sondern ebenso in der Finanz- und Sozialpolitik, weil ohne Kontrolle auch über diese das Ganze nichts bringt. Denken Sie etwa an Fragen wie Mindestlohn, Kündigungsschutz beziehungsweise Flexibilität des Arbeitsmarktes.

Also: Tatsächlich sprechen wir von einer Teilentmachtung der Nationalstaaten?

Overtveldt: Ja, im Klartext: Deutschland, Frankreich, Belgien, alle EU-Mitglieder müßten künftig darauf verzichten, eine eigene Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu machen. Darüber sollte man sich schon im klaren sein.

Kaum vorstellbar, daß Merkel und Sarkozy das nicht wissen. Warum sagen sie es den europäischen Völkern nicht offen?

Overtveldt: Tja ... Ich glaube, daß immer mehr Bürger fühlen, daß einiges schiefläuft, daß ihnen nicht mehr die Wahrheit gesagt wird. Deshalb verlieren die verantwortlichen Eliten in vielen EU-Ländern auch immer mehr an Vertrauen, wie Umfragen zeigen.

Keine Regierung, auch keine „Wirtschaftsregierung“, ohne einen Regierungschef.

Overtveldt: So ist es, eine echte Wirtschaftsregierung würde auch die Wahl eines EU-Bundeskanzlers oder EU-Premierministers notwendig machen.

Dann würde es je einen Regierungschef in den nationalen Hauptstädten und einen in Brüssel geben. Jedes Land hätte damit zwei halbe souveräne Regierungen gleichzeitig. Kann das funktionieren?

Overtveldt: Wenn man dem Modell konsequent folgt, wäre das im Grunde die Folge. In der Realität ist eine solche Konstruktion aber wohl nicht langfristig vorstellbar.

Also würde auf die Teil- die Vollentmachtung der Nationalstaaten folgen?

Overtveldt: Wenn der Euro gerettet werden soll, führt an einer Konzentration der Souveränität auf EU-Ebene kein Weg mehr vorbei.

Die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ meint: „Jetzt erpressen die Politiker ihre Bürger: ‘Entweder ihr stimmt dem Zentralstaat zu, oder der Euro explodiert.’“

Overtveldt: So könnte man das sagen.

Allerdings wird der Euro dann doch gerettet – müßte Ihr Buch also nicht besser „Das Ende des Nationalstaates“ heißen?

Overtveldt: Theoretisch vielleicht, aber tatsächlich ist es wohl nicht möglich, die Euro-Zone auf demokratischem Wege so weitgehend umzubauen. Denn ich kann mir absolut nicht vorstellen, daß es etwa in Frankreich – das ich außer Belgien am besten kenne – eine demokratische Mehrheit für das dafür notwendige Ende der französischen Souveränität, sprich das Ende des französischen Nationalstaates, gäbe. In meinem Buch prognostiziere ich daher, daß es Deutschland, Österreich, Holland und Finnland sein werden, die schließlich den Euro verlassen.

Warum? Frau Merkel hat betont, den Euro um jeden Preis zu verteidigen. Für den Nationalstaat zeigt sie dagegen kein solches Engagement.

Overtveldt: Nun, die Financial Times sprach unlängst von der „seriellen Inkompetenz der europäischen Entscheidungsträger“ – harte Worte, aber das trifft es sehr gut. Der Punkt ist, daß wir inzwischen nicht mehr die Zeit haben, Weichenstellungen zu verzögern, sonst ist es nämlich zu spät.

Konkret?

Overtveldt: Diese Krise war abzusehen, aber die europäischen Politiker haben die Augen davor verschlossen. Nun ist sie da, und die Politik steht zusätzlich unter dem Druck der Finanzmärkte. Dadurch ist sie gezwungen, strategische Entscheidungen in nur wenigen Tagen zu treffen und durchzupauken. Was einerseits nötig ist, andererseits aber gar nicht zu tauglichen Lösungen führen kann. Tatsächlich erweist sich, daß immer wenn endlich etwas beschlossen wird, sich wenige Tage später herausstellt: Es ist zu wenig und kommt zu spät! Ständig hinken wir der sich verschärfenden Krise hinterher, und das macht unsere Talfahrt immer gefährlicher. Und dazu kommt noch eine weitere Krise, nämlich die der öffentlichen Verschuldung in fast jedem Land der Euro-Zone. Unsere Crash-Fahrt wird einfach immer rasanter.

Wenn die Politiker entschlossen sind, dem Euro den Nationalstaat zu opfern, warum sollte es ihnen nicht gelingen?

Overtveldt: Ihr bisheriges Krisenmanagement läßt einfach nicht den Schluß zu. Ich bin überzeugt, schon in wenigen Wochen werden Spanien, Italien und vielleicht auch Frankreich erneut im Zentrum der Krisen-Zuspitzung stehen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Mittel des Rettungsmechanismus erneut erheblich aufgestockt: Dann wäre statt der jetzt bewilligten 440 Milliarden Euro die unglaubliche Summe von 1,5 bis 2,5 Billionen – also 1.500 bis 2.500 Milliarden Euro – notwendig! Die zweite Möglichkeit wäre, die Europäische Zentralbank zu politisieren und Spanien, Italien und möglicherweise auch Frankreich durch direkte Zahlungen der EZB zu stützen. Das aber wäre natürlich das Ende der Unabhängigkeit der EZB und der Startschuß für eine galoppierende Inflation einige Zeit später. Und spätestens dann wird der Punkt kommen, an dem Deutschland und die genannten drei anderen Nationen sagen: „Es reicht!“ und den Euro verlassen werden.

Warum?

Overtveldt: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sich ein Land wie Ihres, in dem es einen hohen gesellschaftlichen Konsens in puncto Geldwertstabilitätskultur gibt, langfristig auf eine so skrupellose Inflationspolitik einlassen wird. Zumal man in Deutschland historisch weiß, zu was eine Hyperinflation am Ende führt. Im Grunde können wir die Zukunft auf eine ganz einfache Formel bringen: Wenn die nötigen Krisen-Entscheidungen auf Dauer nicht auf der EU-Ebene getroffen werden – dann werden sie am Ende auf der nationalen Ebene entschieden!

Mal angenommen, es würde zu einer funktionierenden Wirtschaftsregierung kommen – auch dann müßte jemand die Schulden bezahlen. Wie hoch wäre der Preis für Deutschland?

Overtveldt: Das hängt davon ab, ob es den Deutschen gelänge, die Wirtschaftsregierung nach ihren Vorstellungen zu gestalten oder nicht: Könnten sie sich weitgehend durchsetzen, wären die Nachteile für Sie eher gering. In der EU stehen allerdings den etwa achtzig Millionen Deutschen rund 300 Millionen sonstige Europäer gegenüber. Von daher können Sie realistischerweise vielleicht mit einem Einfluß von 25 Prozent rechnen. Das reicht zahlenmäßig aber nicht, um die Politik zu bestimmen.

Der Wirtschaftsexperte Wilhelm Hankel schrieb jüngst in dieser Zeitung: Mit der gegenwärtigen Euro-Rettungspolitik „öffnet Europa sich selbst das Tor für Sozialunruhen wie in Athen oder London“.

Overtveldt: Lassen Sie mich dazu ein zugegebenermaßen zugespitztes Beispiel geben – das aber sehr gut deutlich macht, was drohen kann: Angenommen die Euro-Krise geht so weiter wie bisher und der Rettungsmechanismus schwillt tatsächlich auf um die 2.000 Milliarden Euro an. Dann würde dessen Finanzierung schließlich fast vollständig auf den Schultern der „Trippel-A“-EU-Länder ruhen – sprich vor allem auf denen Deutschlands, das Land mit den „tiefen Taschen“ in Europa. In der Folge würde Deutschland aber natürlich sein „AAA“-Prädikat verlieren, weil man zu Recht davon ausgehen muß, daß das auch für Sie einfach zuviel ist: Ihr Defizit und Ihre Schulden würden wachsen. Folglich würde Ihre Regierung natürlich versuchen, das Defizit zu bekämpfen. Und wie? Indem sie Ausgaben kürzt, sprich Sozialausgaben. Es würde also schließlich viele deutsche Bürger treffen. Und es ist natürlich absolut vorstellbar, daß dann eintritt, was Professor Hankel prophezeit, nämlich daß es zu einer Art „Revolte“, zu „Aufständen“ auch in Deutschland kommt.

Die Euro-Befürworter sagen: Deutschlands Wirtschaft nützt der Euro so sehr, daß wir trotz Krise unterm Strich davon profitieren.

Overtveldt: Für den gegenwärtigen Zeitpunkt haben sie damit auch recht: Noch verdient Deutschland mehr am Euro, als er Deutschland kostet. Und in der Tat, wenn Sie jetzt die D-Mark wiedereinführen würden, dann könnte die deutsche Wirtschaft weit weniger günstig exportieren. Aber was ist in Zukunft? In dem Moment, wo der erste große Krisenkandidat, wie Spanien oder Italien, gerettet werden muß, dreht sich das Verhältnis um und ab da werden die Kosten für die Deutschen ihre Gewinne immer weiter übersteigen. Und dann würde Deutschland auch mit einer neuen D-Mark weit besser fahren. Die Kosten werden schließlich so sehr steigen, daß ein Ausstieg aus dem Euro beizeiten, also jetzt, trotz allem billiger wäre als die Fortsetzung des Euro bis zum bitteren Ende.

Also hat Hans-Olaf Henkel recht, der in Deutschland als erster Prominenter vorgeschlagen hat, den Euro in einen Nord- und einen Süd-Euro aufzuteilen?

Overtveldt: Ja, das ist das Szenario, das auch ich sehe. Und es wäre sicher besser, dies jetzt kontrolliert zu tun, als daß es sich später im Chaos vollzieht. Denn das Schlimme ist doch, daß die Politiker keinen Plan B in der Schublade haben. Das ist der Grund, warum sie versuchen, den Euro zu retten, koste es was es wolle. Aber das wird grandios schiefgehen, und wir Bürger werden die Zeche zahlen müssen.

 

Dr. Johan Van Overtveldt ist Chefredakteur des führenden belgischen Wirtschaftsmagazins Trends. Sein neues Buch „The End of the Euro. The uneasy future of the European Union“ (Das Ende des Euro. Die unsicher Zukunft der EU), eine Analyse des künftigen Schicksals der Gemeinschaftswährung, erscheint im Oktober auf englisch, spanisch, chinesisch und holländisch. Der Wirtschaftswissenschaftler und Autor zahlreicher Gastbeiträge für namhafte Publikationen, darunter etwa die Chicago Tribune oder das Wall Street Journal, war zuvor Direktor der Denkfabrik für Wirtschaftsfragen VKW Metena in Antwerpen. Overtveldt veröffentlichte außerdem den Titel: „Bernanke‘s Test. Ben Bernanke, Alan Greenspan, and the Drama of the Central Banker“ und die Studie: „The Chicago School. How the University of Chicago Assembled the Thinkers Who Revolutionized Economics“. Geboren wurde er 1955 bei Amsterdam.

 

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