© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Plötzlich ein Thema
Brennende Autos: Eine beispiellose Brandserie befeuert seit Tagen den Berliner Wahlkampf
Lion Edler

Viele Berliner reiben sich derzeit verwundert die Augen: Das mittlerweile zur Gewohnheit gewordene Niederbrennen von Autos in der Hauptstadt sorgt plötzlich bei Politikern und Medien für große Aufregung. Allerdings womöglich nur vorübergehend, denn am 18. September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.

Während im vergangenen Jahr in Berlin 130 Fahrzeuge den Flammen zum Opfer fielen, wurden bis Dienstag innerhalb von nur sieben Tagen mehr als 90 Fahrzeuge durch Brandstiftung zerstört oder beschädigt. Als Täter werden zumeist Linksextremisten vermutet, auch wenn die Polizei von einigen Trittbrettfahrern ausgeht. 2011 wurden bislang 88 politisch motivierte Brandanschläge gezählt, dabei wurden 143 Fahrzeuge direkt angegriffen und 86 beschädigt, teilte die Berliner Polizei auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Bislang wurde nur ein Täter vor Gericht zur Rechenschaft gezogen: Ein 43jähriger arbeitsloser Berliner wurde kürzlich wegen Brandstiftung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.

Auffallend ist, wie stark das Thema nun von den Politikern aufgegriffen wird. Dabei leidet Berlin bereits seit Jahren unter den Brandstiftungen. Allein 2009 wurden 300 Fahrzeuge in Brand gesteckt. Doch erst jetzt melden sich auch reihenweise Bundespolitiker zu Wort. Mit „großer Sorge“ schaue sie auf mutwillig angezündete Autos in Berlin, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche wissen. „Was ist das für ein Verhalten?“ fragte Merkel, „Menschenleben werden kaltblütig aufs Spiel gesetzt.“ Dennoch sei sie zuversichtlich, daß Deutschland von Londoner Zuständen verschont werde. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bot die Hilfe der Bundespolizei an, „wenn Not am Mann ist“. Diese könnte Berlin dann nicht nur personell unterstützen, sondern auch vom Hubschrauber aus mit Suchscheinwerfern und Wärmebildkameras nach den Brandstiftern suchen. Nachdem Berlin dieses Angebot zunächst abgelehnt hatte, stimmte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit der Amtshilfe nun doch zu. In der Nacht zum Dienstag waren erstmals auch 100 Bundespolizisten an der Jagd auf die Brandstifter beteiligt.

Ungewöhnlich harte Töne kamen unterdessen aus der Bundes-SPD. Der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte der Bild, auch die RAF habe mit Brandanschlägen begonnen. „Wenn solche Täter das Gefühl haben, sie werden nicht erwischt und wenn, dann nur leicht bestraft, werden sie zu schlimmeren Taten geradezu animiert“, warnte Wiefelspütz. Nicht nur die Politik, auch die Medien widmen sich nun intensiv den Brandstiftungen. Das Berliner Boulevardblatt B.Z. veröffentlichte zwei Titelgeschichten über einen 18jährigen, der sechs Jahre lang für sein Auto gespart hatte, das nun den Brandstiftern zum Opfer fiel. Und in der Berliner Morgenpost wird plötzlich in einer Pro-Contra-Debatte über die Einführung von Bürgerwehren diskutiert. Eine Idee, die sich unter den frustrierten Berlinern offenbar immer größerer Beliebtheit erfreut. Der Berliner CDU-Innenpolitiker Burkhard Dregger fordert bereits seit längerem Bürgerwehren. Nach seinen Vorstellungen sollen zunächst 1.000 freiwillige Hilfspolizisten eingestellt werden, die mit Uniformen, Schlagstöcken und Handschellen ausgestattet werden sollen.

Unterdessen hat der Streit um die Bekämpfung der Brandserie längst den Berliner Wahlkampf erreicht. Nachdem die CDU Plakate mit brennenden Autos kleben läßt, erhielt Spitzenkandidat Frank Henkel vermutlich von Linksextremisten einen Drohbrief. Der Umschlag enthielt eine geringe Menge Pulver aus Feuerwerkskörpern. Das linksextreme Internetportal „Indymedia“ veröffentlichte daraufhin ein Bekennerschreiben, in dem die Verfasser Henkel als „geistigen Brandstifter“ bezeichnen, dessen „Affinität zu rechtsextremen Positionen“ sich auch in seinen aktuellen Äußerungen zu den Auto-Brandstiftungen in Berlin zeige. Mit seiner „Hetze“ ermutige er andere dazu, „Rassismus, Sozialdarwinismus und militanten Antikommunismus in brutaler Weise auszuleben“.

Gleichzeitig mußte Henkel sich von Innensenator Körting den Vorwurf anhören, die CDU betreibe mit ihren Plakaten gegen die Brandanschläge „einen billigen Wahlkampf auf dem Rücken der Polizisten“. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Renate Künast, äußerte sich ähnlich. Sie bezeichnete die Thematisierung der Brandserie durch die CDU als „unanständig“. Die Polizei leiste dagegen eine gute Arbeit.

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