© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Brüchige Fundamente
Schuldenkrise: Nach dem Ende der Sommerpause stehen die Kanzlerin und ihre schwarz-gelbe Koalition vor entscheidenden Wochen
Paul Rosen

Wenn die Mehrheit der Bundesbürger verstehen würde, worum es bei den sich häufenden Euro-Rettungsaktionen eigentlich geht, dann würden sie zu Hunderttausenden nach Berlin marschieren. Noch nie ist eine bundesdeutsche Regierung so hohe Verpflichtungen für die Zukunft eingegangen, die die Einhaltung anderer Garantien gefährden: Die Rede ist von sicheren Renten, einer bezahlbaren Gesundheitsversorgung, einer funktionierenden Infrastruktur und natürlich auch von Hartz IV, der milden Gabe für das Prekariat. Das alles wird derzeit mit Rettungs- und Unterstützungsfonds, mit Staatsanleihenkäufen und europäischen Vertragsänderungen aufs Spiel gesetzt.

Vermutlich wissen auch die meisten Abgeordneten der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP über die Staatsfinanzen nur, daß die regelmäßigen Haushaltslöcher ebenso regelmäßig mit Nettokreditaufnahmen gestopft werden. Und die jetzt wieder als Vorbild beschworene deutsche Schuldenbremse ist so kompliziert gestaltet, daß sie ohne große Schwierigkeiten zum Gaspedal werden kann – wenn man lange genug rechnet.

Noch wittert Kanzlerin Angela Merkel die Gefahren rechtzeitig. „Euro-Bonds“ – also eine gemeinsame Schuldenaufnahme aller Euroländer sind so eine Gefahrenstelle. Merkel begriff schnell, daß Abgeordnete bei ihren Wählern plötzlich unter Druck gerieten: Griechen und anderen jetzt eine neue Finanzierungsmöglichkeit zu schaffen, wäre der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hätte. Wobei dies nur eine Zustandsbeschreibung für den Sommer 2011 ist. Im Frühjahr 2012 mögen „Euro-Bonds“, die von Engländern treffend „Euro-Bombs“ genannt werden, „alternativlos” sein. Vergeblich hatten regierungsnahe Medien Anfang August den Eindruck zu erwecken versucht, in der Unionsfraktion bröckele der Widerstand gegen Euro-Bonds. Doch die Front hält – noch.

Der massive Widerstand in Deutschland ließ sogar den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy von den Euro-Bonds abrücken, die er dringend braucht, da die Konditionen für Frankreich auf dem Kapitalmarkt schlechter werden. So konnten sich Merkel und Sarkozy bei ihrem Treffen nur auf Unverbindlichkeiten verständigen, etwa die Koordinierung der Wirtschaftspolitik und eine gemeinsame Finanztransaktionssteuer.

Die Garantien, die die cleveren Finnen sich von den Griechen für ihre Hilfe geben lassen und die von Deutschland mitfinanziert werden müssen, könnten sich hierzulande zur „Euro-Bombe“ entwickeln. Der Vorgang ist von jedermann zu verstehen. So wie im privaten Leben ein Kreditgeber Sicherheiten verlangt, wollen die Finnen Garantien von den Griechen. Daß Deutschland dagegen ohne Absicherung Milliarden zahlt, versteht die Wählerschar nicht und heizt den Abgeordneten ein, die mit Alarmmeldungen an den Fraktionschef Volker Kauder reagieren. Obwohl die parlamentarische Sommerpause nicht beendet ist, stellte sich Merkel am Dienstag der Fraktion. Spätestens Ende September wird sich zeigen, ob sie im Parlament noch eine eigene Mehrheit für die Griechenlandhilfe zusammenbekommt. Die Zahl der Abweichler in der Union wird auf bis zu 20 Abgeordnete geschätzt.

Ähnlich sieht es bei der FDP aus. Auch aus diesem Grund stemmt sich die taumelnde Partei gegen die von Merkel und Sarkozy vereinbarte Finanztransaktionssteuer. Die Steuer löst die Probleme auf den Finanzmärkten nicht. Die Kursturbulenzen der jüngsten Zeit sind Ausfluß der Staatsschuldenkrise in Europa und Vorzeichen für einen Abschwung. FDP-Chef Philipp Rösler, der immer noch nicht in sein Amt gefunden hat, entdeckte hier ein nur wenig geeignetes Profilierungsinstrument. Gehen die kommenden Wahlen für die FDP verloren, werden die Liberalen ohnehin ihren Vorsitzenden wieder wechseln müssen. Da viel für diese Annahme spricht, werden sie handzahme Regierungspartner für Merkel bleiben, weil sie zuerst ihre eigenen Probleme lösen müssen. Sollte die FDP jedoch implodieren, kann Merkel schnell auf Große Koalition mit der SPD umsatteln. Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück warten schon.

Für Merkel scheint das Terrain also übersichtlich und die Lage vorerst beherrschbar zu bleiben. Daß der Kanzlerin, ja sogar dem ganzen Land darunter die Fundamente wegbrechen, macht die Lage fragil – in Deutschland und in Europa.

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