© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Grüße aus Moskau
Geduldete Männerwelt
Thomas Fasbender

Die Kastanienblätter am Gogolevsky Boulevard neigen ihre Spitzen, immer ein sicheres Zeichen, daß es mit dem Sommer zu Ende geht. Er war heiß und bis zur Börsenkrise ereignislos, wie es sich für einen Moskauer Sommer gehört. Ohne Rauchschwaden, Attentate, Putsch und Grenzscharmützel. Und bis zu den Wahlen vergeht noch viel Zeit.

In der Metro, der Moskauer Untergrundbahn, sind die Werbetafeln entlang der bis zu 120 Meter langen Rolltreppen verschwunden. Sie brachten Abwechslung in die minutenlange Fahrt; jetzt hat eine neue Agentur die Rechte erworben und es dauert, bis alles umgestellt ist. Die Agentur gehört einer Frau, die bislang mit Autos handelt, und registriert ist sie erst seit Ende Januar. Selbst der Bürgermeister kann sich nicht erklären, wieso Irina Tarasowa die Ausschreibung gewonnen hat.

„Emanzipation? Die meisten Russinnen lachen bei diesem Kampfbegriff nur laut auf.“

Vielleicht weil sie eine Frau ist? Niemand wird so oft mißverstanden wie die russischen Frauen, nicht einmal der Präsident. Ausländische Männer bei ihrem ersten Besuch trauen ihren Augen nicht. Die Straßen voller ranker, schlanker, langbeiniger Prinzessinnen. Und hübsch sind sie in der Tat, der eurasische Mix bewirkt Wunder. Prinzessinnen? Sicher, da hat schon schon mancher Lehrgeld zahlen müssen.

Ein russisches Sprichwort sagt: „Der Mann ist der Kopf, und die Frau ist der Hals.“ Die Frauen halten die Welt im Lot, die Männer halten sich für wichtig.

Emanzipation? Die meisten Russinnen würden laut auflachen. Mit Spott in den Augen blicken sie auf ihre lieblos zurechtgemachten Geschlechtsgenossinnen in Westeuropa. Männer dienen als Ernährer und Erzeuger; darüber hinaus sind sie geduldet, nicht sonderlich geschätzt. Es ihnen gleichzutun hieße für viele Frauen nur, sich unter Wert zu verkaufen.

Dabei sind die Bedingungen hart, alleinerziehende Mittzwanzigerinnen ohne Alimente keine Seltenheit. Doch Not macht erfinderisch, und Selbständigkeit ist gerade für Frauen ein Ziel. Wie etwa für Sulfira Italmasowa aus Baschkirien, die heute im sibirischen Surgut eine Kaffeehauskette betreibt und nebenher einen Kulturfonds leitet. Unternehmerinnen wie sie, zupackende und intelligente Frauen aus dem Mittelstand, stellen Rußland vom Kopf wieder auf die Füße – nicht die Präsidenten und Premiers in Herrscherpose. Frauen, die alles andere als „Promis“ sind, aber Beispiele dafür, wie es aufwärts geht. Auch und gerade in der russischen Provinz.

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