© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Gepeinigt von Angst, Mißtrauen und Hunger
Eindrücke von einer Reise nach Nordkorea: Während die Reiseleiterin ihre Propagandasätze herunterspult, o enbart sich dem Blick Beklemmendes
Johanna Eden

Die alte sowjetische Tupolew hebt ab. In zwei Stunden wird die Maschine der staatlichen nordkoreanischen Fluggesellschaft Air Koryo in Pjöngjang sein, der Hauptstadt Nordkoreas, dem Land, das als eine der schlimmsten Diktaturen der Welt gilt.

Der Personenkult um den – seit 17 Jahren verstorbenen – Führer und Gründer der Volksrepublik Nordkorea verlangt von den Untertanen grenzenlose Unterwerfung und Verehrung. Ein Gesetz schreibt vor, daß in jeder Wohnung ein Porträt von ihm zu hängen hat. Leiseste Kritik, selbst Scherze über den Führer können zu jahrelangem Arbeitslager führen.

Während sich die Maschine dem Luftraum über Nordkorea nähert, wandern die Gedanken. Bleiben hängen. Erinnerungen an grausame Nachrichten, die nordkoreanische Christen nach ihrer Flucht berichteten. Viele solcher Berichte erreichen Hilfsorganisationen wie „HMK – Hilfe für verfolgte Christen“.

Jetzt geht es darum, das Land kennenzulernen, seine Atmosphäre. Es geht um die Frage: Was kann man tun? Ist es überhaupt möglich, nordkoreanischen Christen zu helfen? Ist es möglich, etwas zu tun in einem Land, das drakonische Strafen vorsieht für den Besitz einer Bibel; das die gesamte Familie interniert, wenn jemand aus dieser Familie Christ geworden ist? Jäh wird der Gedankenfluß unterbrochen – die Stewardessen in der Tupolew, deren Uniformen an die 1960er Jahre erinnern, bereiten die Passagiere auf die Landung vor.

Jeder trägt einen Anstecker mit dem Porträt des Führers

Vor einiger Zeit berichtete Kim, ein nordkoreanischer Flüchtling, der fünf Jahre lang in einem der schlimmsten Arbeitslager in Nordkorea interniert war: „Wenn es auf der Erde eine Hölle gibt, dann ist es ein Arbeitslager in Nordkorea“. Kim hat fünf Jahre in Yodok verbracht: eine zwanzig Kilometer lange verbotene Zone, gesichert mit vier Meter hohem Stacheldraht und einer Mauer, die mit einem elektrisch geladenen Draht abschließt. Kim schätzt, daß im Arbeitslager mehr als 30.000 Häftlinge leben.

Die Verhältnisse: unvorstellbar. In Holzbaracken ohne Heizung bei Temperaturen von minus 20 Grad absolvieren die Gefangenen 13 Stunden täglich Schwerstarbeit in Fabriken und Steinbrüchen. Die Mahlzeit: dünne Maissuppe. Neben standrechtlichen Erschießungen aus nichtigem Anlaß zählt Verhungern zu den häufigsten Todesursachen in Yodok. Daß Kim diese fünf Jahre überlebt hat, ist ein Wunder. 1997 wurde er freigelassen, konnte nach China fliehen und von dort aus nach Südkorea.

24 Millionen Nordkoreaner leben in einem System aus Unfreiheit, Angst, Mißtrauen und Hunger. Das Land ist durchzogen mit einem Netz von Spitzeln, niemand traut sich, offen zu sagen, was er denkt, sein Gegenüber könnte ja ein Spitzel sein. Wer zu fliehen versucht oder sich abfällig über Kim Jong Il äußert, riskiert, für Jahre weggesperrt zu werden. 200.000 bis 300.000 Nordkoreaner sind in Lagern interniert, schätzungsweise ein Drittel von ihnen aus religiösen Gründen. Sie haben die Bibel gelesen oder sind als Christen identifiziert worden.

In Pjöngjang empfängt den Besucher ein sozialistisch schmuckloser Flughafen. Die Passagiere drängen durch die enge Tür in den Empfangsbereich. „Willkommen in der Demokratischen Volksrepublik Korea“. Vor dem Flughafen angenehm frische, kühle Luft. Jetzt heißt es warten auf den Rest der deutschen Reisegruppe. Individualreisen sind in Nordkorea undenkbar. Männer begrüßen sich, schütteln die Hände. Bieten sich gegenseitig Zigaretten an. Keiner scheint in Eile, schon gar nicht die Mitarbeiter der Paß- und Zollkontrolle. Wer nur Handgepäck hat, kann zügig durchgehen. Während reihenweise Mobiltelefone abgenommen werden, ist ein iPod kein Problem. Einige Deutsche protestieren erfolglos. Bei der Ausreise, so wird ihnen versichert, bekämen sie die Telefone zurück. Alle Koreaner tragen am Revers einen kleinen Anstecker mit dem Konterfei des Führers, manche mehrere übereinander, am Sakko, am Hemd.

Die Reiseleiterin stellt sich vor. Wenig später trifft eine zweite Reiseleitung ein. Wahrscheinlich, um die erste zu überwachen. Dann gesellt sich noch jemand hinzu, der als Kameramann vorgestellt wird. Jeder wird von einem anderen bewacht, der Spitzel wiederum von einem dritten kontrolliert. Diese Mischung aus Angst, Mißtrauen und totaler Kontrolle liegt, das spürt man, bleischwer über allem und lähmt jede Initiative. Klar ist, in diesem Land wird man nie allein sein.

Ein Bus wartet. Die Reisebegleiter sind sympathisch, eifrig, beflissen. Während die Reiseleiterin auswendig gelernte Propagandasätze, Daten und Zahlen über Bauwerke herunterschnurrt, bleibt viel Zeit, sich umzuschauen, die Eindrücke aus einer sehr fremden Welt aufzusaugen.

Über einer halben Million droht der Hungertot

Straßenbaumaschinen aus einer anderen Zeit. Fußgänger, überall Fußgänger. Und immer wieder dieses Bild: Koreaner, die stehen bleiben, in die Hocke gehen und den kargen Boden absuchen. Nach Kräutern? Löwenzahn? „Unsere Menschen lieben die Kaninchenzucht“, beeilt sich die Reiseleitung zu erklären. Aber man wird den Eindruck nicht los, daß diese Menschen verzweifelt nach Eßbarem suchen. Und tatsächlich steht dem Land, wie in internationalen Nachrichten zu lesen ist, eine neue Hungersnot bevor.

Derzeit liegt die tägliche Essensration bei 150 Gramm Getreide pro Person, das ist ein Fünftel der empfohlenen Tageszufuhr. Mehr als eine halbe Million Menschen drohen in den nächsten Monaten an Unterernährung zu sterben. Dabei sind die Erinnerungen an die letzte Hungersnot noch lebendig. Und sichtbar. Das Land ist übersät mit Gräberhügeln: die Hungertoten aus den Jahren 1995 bis 2003. Zwischen drei und fünf Millionen Nordkoreaner, so die Schätzungen, sind damals verhungert.

Das Koryo Hotel mit seinen durch eine Brücke verbundenen Türmen ist von vielen Stellen der Stadt auszumachen. Es liegt zentral, wenige Schritte vom Hauptbahnhof. Der ist aber unerreichbar. Die unsichtbare Grenze ist – der Hotelparkplatz. Der wirkt genauso aufgeräumt wie die Straßen mitten in der Hauptstadt.

Wo sind die Menschen? Es ist Samstag nachmittag, die Stadt wirkt gespenstisch ruhig und leer. Nach drängendem Bitten ist der höfliche Reiseleiter bereit, einen Spaziergang zu organisieren. Nicht bis zum Bahnhof, aber immerhin zwei Straßenblöcke weit. Koreanische Arbeiter pflegen eine Grünfläche, hingegeben, als würde das Gras „gefegt“. Der Spaziergang führt unter anderem durch einen dunklen, aber sauberen Fußgängertunnel. Keine Graffitis, kein Dreck, kein Uringestank.

Die wenigen Menschen auf der Straße sind unauffällig dunkel gekleidet: olivfarben, schwarz, dunkelblau. Eine Mutter, die mit ihrem Kind aus dem U-Bahnschacht kommt, ist ein Farbtupfer in der Trostlosigkeit. Dann ein Kinderspielplatz. Schnell ein Foto im Vorbeigehen gemacht – aber das wird höflich verhindert. Es gibt eine unsichtbare Linie, die nicht überschritten werden darf. Wenige Schritte weiter ein Lokal. Erstaunlich viele Menschen sind zu sehen. Nur noch wenige Schritte bis zum Eingang – wieder gebietet der immer freundliche Reisebegleiter Einhalt. Es fehlten nur noch einige wenige Meter, um dem Volk der Demokratischen Volksrepublik Korea zu begegnen. Vergeblich.

Den Rückweg zum Hotel begleitet ein Lächeln des großen Führers Kim Il Sung – von einem überdimensional großen Porträt an der Stirnseite des Bahnhofs. Er ist auch heute noch – 17 Jahre nach seinem Tod – „ewiger Präsident“ Nordkoreas. Die echten Menschen in Nordkorea lächeln nicht, sie wirken apathisch, ohne Freude. Niemand schaut auf, kein Blickkontakt, nicht ein einziger.

Später, als der Zug nach Peking sich langsam in Bewegung setzt, drehen sich die Menschen nach ihm um. Ihre wehmütigen Blicke gehen die Gleise entlang dem Zug in die Freiheit hinterher. Diese Blicke brennen sich tief in das Gedächtnis ein.

 

Nordkoreas Familiendynastie

Nach Ende des Koreakrieges 1953 formte Staatsgründer Kim Il Sung (1912-1994) im Norden des Landes eine Diktatur, die das stalinistische Vorbild in ihrer Brutalität übertraf. Mit Führerkult und Abschottung führte Kim Il Sung Nordkorea in die Isolation. Seit langem gilt das Land als schlimmste Diktatur der Welt. Nach seinem Tod wurde Il Sung zum „Ewigen Präsidenten“ ernannt. Mit der Inthronisierung des Sohnes Kim Jong Il als Nachfolger wurde dann die erste kommunistische Familiendynastie befestigt. Doch der Generalsekretär der Partei der Arbeit Koreas und Vorsitzende der Verteidigungskommission ist kränklich, und es heißt, daß sein 30jähriger Sohn Kim Jong Un im April 2012 das Zepter übernehmen wird. Für das Hilfswerk für verfolgte Christen „Open Doors“ ist es jedoch fraglich, ob sich die Lage für die Menschen und speziell für die Christen dadurch ändern wird. Zum neunten Mal in Folge belegt Nordkorea den ersten Platz auf dem „Open Doors“-Weltverfolgungsindex (2011). Demnach wird jede religiöse Aktivität als Angriff auf die sozialistischen Prinzipien wahrgenommen.

Foto: Einer der speziellen Imbißstände in Pjöngjang: Ausreichend zu essen gibt es nur für die Besuchergruppen aus dem Ausland

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