© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Pankraz,
Angela Merkel und das Vierte Reich

Willkommen im Vierten Reich!“ Wenn solche Schlagzeilen die erste Seite einer der größten und angesehensten konservativen Zeitungen Englands zieren, der seit 1896 erscheinenden Daily Mail (über zwei Millionen Auflage), kann man hierzulande nicht mehr einfach zur Tagesordnung übergehen. Früher, zu Bismarcks Zeiten, hätte es wahrscheinlich diplomatische Depeschen gegeben. Heute sollte man zumindest öffentlich darüber diskutieren.

Das Deutschland der Angela Merkel, so die Daily Mail, sei im Augenblick gerade dabei, Europa mit wirtschaftlichen und finanziellen Mitteln zu „erobern“ und sich seiner eigenen Mentalität unterzuordnen. Damit werde das vollendet, was einst Adolf Hitler mit seinem „Dritten Reich“ vergeblich versucht habe. Zitat: „Wo Hitler mit seinen militärischen Mitteln versagte, sind die modernen Deutschen erfolgreich, und zwar durch Handel und Finanzdisziplin. Willkommen im Vierten Reich!“

Zuvor hatte es geheißen, daß den übrigen Staaten der Euro-Zone à la longue gar nichts anderes übrigbleibe, als sich am deutschen Vorbild zu orientieren. Politisch gesehen aber laufe diese strikte Orientierung am deutschen Wirtschaftsvorbild auf nichts anderes als auf „Kolonialisierung“ hinaus. Die übrigen Staaten Europas würden zu „Kolonien“ Deutschlands. Irland oder Griechenland seien es faktisch bereits.

Bemerkenswert an dem Daily-Mail-Artikel (Autor: Simon Heffer, 51) ist die völlige Sachlichkeit des Tons. Hier spricht kein Gossenjournalist, der andere mit Negativklischees beleidigen oder sich selber wichtig machen will, sondern ein nüchterner Geopolitiker, der die internationale Lage genau und illusionslos analysiert. Den Begriff des Kolonialismus etwa verwendet er nicht vorrangig als Ausdruck des Bösen, sondern eher als objektive Vokabel zur Kennzeichnung gewisser historischer Tatbestände, mit denen bekanntlich gerade sein eigenes Vaterland, Großbritannien, die ausgiebigsten Erfahrungen gemacht hat.

Um so drastischer der Effekt beim deutschen Leser. Auch Pankraz, obwohl im Einschätzen medialer Tonlagen nicht ganz unerfahren, fragte sich bei der Lektüre streckenweise kopfschüttelnd: Wovon spricht der Mann eigentlich? Was für eine Vorstellung hat er vom „Deutschland der Angela Merkel“? Und wer kolonialisiert eigentlich wen? Die riesige Mehrzahl der Deutschen fühlt sich durch die Entwicklung der Eurozone und durch die Heraufkunft der Transfer-union ja nicht nur kolonialisiert, sondern schlichtweg ausgebeutet und gedemütigt.

Von einem „neuen Versailles“ ist die Rede, das Deutschland nach 1918 zu einem ewigen Tributzahler verurteilte, zum Arbeitssklaven, dessen innere Reserven zugunsten anderer bis auf den Grund ausgeräumt wurden. Wieso soll dieses „Versailles“, so wird gefragt, jetzt mitten im Frieden wiederaufgerichtet werden? Wissen die Verantwortlichen denn nicht, welche schrecklichen Folgen „Versailles“ gehabt hat, daß es die Wurzel aller Übel und aller Verhängnisse im 20. Jahrhundert gewesen ist?

Und wo wären denn die Exekutoren eines „Vierten (Merkel-)Reichs“? Merkel selbst und die gesamte politische Klasse, von der sie aufgebaut worden ist, sind doch nicht einmal willens, die genuin nationalen Interessen des von ihnen dominierten Volkes wahrzunehmen, wie sollen sie dann willens und in der Lage sein, ein ganzes „Reich“, also ein Imperium, zu regieren? Es sind doch Lemuren, die sich hinter leeren Phrasen und anonymen Behörden verstecken müssen, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Aber selbst wenn wir in Deutschland bessere politisch-mediale Eliten hätten – der uns von der Daily Mail offerierte Herrschaftsmantel einer inner-europäischen Kolonialmacht würde uns trotzdem nicht passen. Wir sind eben einfach keine Kolonialisten, trotz der paar Überseegebiete, die wir uns vor dem Ersten Weltkrieg – gegen Bismarcks Rat – angeeignet (und nicht übel verwaltet) hatten. Das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war gar kein richtiges „Reich“, kein Imperium, geschweige denn eine Kolonialmacht.

Es war vielmehr das, was Europa sein könnte, wenn es den verhängnisvollen Euro und seine „Zone“ nicht gäbe: ein freier, aus Tradition und Glaube gespeister Bund souveräner Kulturen und Völker, wo man sich wie von selbst, ohne bürokratischen Zwang, nach dem jeweils Besten richtet, ohne die je eigene Überlieferung preisgeben zu müssen.

Das hat übrigens auch mit Demokratie zu tun. Jonathan Freedland, der fleißige Kolumnist des Londoner Guardian, vertritt schon seit längerem die These: „Imperium oder Demokratie!“ Das britische Empire, schreibt er, habe „mehr oder weniger freiwillig“ auf sein Imperium verzichtet, und nur dadurch habe es Demokratie für Großbritannien gerettet. Das alte Rom seinerseits habe einst unbedingt ein Imperium haben wollen, aber die Republik sei damit verspielt worden, es begann das Zeitalter der Cäsaren, der Diktatoren und „Führer“ (principes), ganz überwiegend ein Zeitalter der Schrecken, des Terrors und der Illiberalität.

Heute ist die Zeit der Kolonialmächte und der Imperien samt ihrer Ideologien und Riesenbürokratien endgültig vorbei. Die Russen haben es zu spüren bekommen, die Amerikaner kriegen es im Augenblick zu spüren, und auch die Chinesen werden es eines Tages zu spüren bekommen. Imperium heißt Herrschaft eines Führungsvolkes über andere, und warum sollten sich die anderen eine solche Herrschaft auf Dauer gefallen lassen? Widerstand der Beherrschten ist vorprogrammiert und damit auch harsche, „undemokratische“ Gewaltmaßnahmen der Herrscher,

Nicht vorbei ist indessen die Zeit der dauerhaften freien Bündnisse, des Voneinanderlernens und nützlichen Zusammengehens. Zusammengehen heißt nie und nimmer, den anderen aussaugen und über den Löffel balbieren. Und es heißt gleich gar nicht, sich freiwillig aussaugen zu lassen, unter welchem Vorzeichen auch immer.

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