© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Auf zwei Seiten der Mauer
Bilder eines deutschen Traumas
Christian Vollradt

Die DDR war ein Massenknast“, urteilte jener anonyme Schreiber, der am 17. Juli 1982 diese Aussage auf der Herrentoilette des Notaufnahmelagers Gießen hinterließ. Er mußte an diesem (stillen) Ort nicht mit Widerspruch rechnen, im Gegensatz zu demjenigen, der schrieb: „Wählt SPD, sie hat eure Einreise ermöglicht“; ihm wurde trotzig „...aber nicht meine Flucht!“ entgegnet. Solche Zitate gehören zum zeitgenössischen „Plankton“ (Walter Kempowski), das Uwe Gerig für seine „Bösen Nachrufe“ über das Trauma der deutschen Teilung passend zum 50. Jahrestag des Mauerbaus aufgefischt hat.

Entstanden ist eine Collage mit vielen autobiographischen Berichten und vor allem Bildern, die auch unter dem Titel „Tatort – Fotos eines Verbrechens“ als Ausstellung laufen. Gerig hat die Mauer von beiden Seiten kennengelernt – und sie hat ihn in seinem Beruf als Reporter gewissermaßen begleitet.

Er saß als Praktikant 1963 bei der DDR-Frauenzeitschrift in unmittelbarer Nähe zum „antifaschistischen Schutzwall“ – mit Blick in den unerreichbaren Westen. Danach arbeitete er als Diplomjournalist für die SED-Zeitung Das Volk und resümiert: „Wir waren schon tolle Schönfärber und Opportunisten.“ Wegen einer denunzierten abfälligen Bemerkung erhält Gerig fünf Jahre Berufsverbot, später arbeitet er als Fotoreporter für die Neue Berliner Illustrierte. Er erlebt eine DDR, die nichts mit der von oben propagierten heilen Welt des Sozialismus zu tun hat. 1983 schließlich gelingt ihm mit seiner Familie die Flucht via Jugoslawien. Auch im Westen ist Gerig als Journalist tätig, bereist immer wieder die innerdeutsche Grenze mit Notizbuch und Kamera. Für seine Ausstellungen interessieren sich nicht nur Schulklassen, sondern auch die Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Den besonderen Reiz des Buches machen seine Bildmotive aus. Sie zeigen die gegensätzlichen Facetten einer Grenze und ihrer Umgebung: mörderisch, tragikomisch, manchmal fast idyllisch – aber in jedem Fall widernatürlich. Gerigs „Tatort“-Fotos sind noch bis zum 16. September im Thüringer Landtag zu besichtigen, danach werden sie dauerhaft in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn ausgestellt.

Uwe Gerig: Böse Nachrufe. Trauma deutsche Mauer 1961–1989. Books on Demand, 2011, broschiert, 134 Seiten, zahreiche Abbildungen, 19 Euro

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