© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Berlin sucht den Steigbügelhalter
Wahlkampf: Wowereit kann auf dritte Amtszeit hoffen
Ronald Berthold

Das ist doch mal ein echter Slogan: „Berlin verstehen“ steht auf den Wahlplakaten der SPD. Dazu ein Bild, wie sich Klaus Wowereit mit einer multikulturellen Jugendgruppe fotografieren läßt. Unser Spitzenkandidat, das ist ein Star zum Anfassen, soll wohl die Botschaft lauten. Mangels politischer Leistungsbilanz nach einem Jahrzehnt rot-roter Koalition muß das als Grund herhalten, dem Regierenden Bürgermeister weitere fünf Jahre zu schenken.

Anders als es der öde Wahlkampf auch der übrigen Parteien vermuten läßt, hat der Urnengang zum Berliner Abgeordnetenhaus durchaus bundespolitische Bedeutung. Denn von der Hauptstadt werden – je nach Ausgang der Wahl – einige Signale ausgehen. Zum Beispiel könnte der Abgesang auf die Linkspartei angestimmt werden und sich von Berlin aus in ein deutschlandweites, hämisches „Auf Wiedersehen“ verwandeln. Umfragen sahen die Partei zuletzt noch bei acht Prozent. Dies wäre mit Abstand das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. 2001 lag die Linke noch bei 22,6 Prozent, vor fünf Jahren war sie auf 13,4 Prozent gefallen. Ein einstelliges Ergebnis in ihrer einstigen Hochburg, der Hauptstadt der DDR, wäre für sie eine Katastrophe.

Schuld daran dürfte die verheerende Bilanz der Linkspartei sein. Entgegen allen Versprechen sind die Mieten unter Rot-Rot drastisch gestiegen, das Straßenausbaubeteiligungsgesetz verpflichtet auch Marzahns Anwohner zum Bezahlen der Infrastruktur, und die Kriminalität in U- und S-Bahnen verschreckt die Klientel erst recht. Letztlich hat sich die Protestpartei durch ihre Senatsbeteiligung aber selbst entzaubert. So kommt es, daß sich Gregor Gysi bei den Betroffenen nur noch lächerlich und unglaubwürdig macht, wenn er sich an die Spitze einer Demonstration gegen die Routen des neuen Großflughafens stellt. Selbst in Köpenick, einem früheren Ost-Bezirk, pfiffen ihn die Demonstranten gnadenlos aus. Man kann nicht zehn Jahre eine Stadt regieren und dann gegen die Folgen der eigenen Politik demonstrieren. Solche Manöver verfangen selbst bei der eigenen Klientel nicht mehr.

Die Linkspartei wird also mangels Masse aus dem Senat ausscheiden. Doch wer folgt ihr nach? Die Grünen unter Renate Künast? Nach dem Stuttgart-21-Bohei und dem Erfolg von Baden-Württemberg führten die Grünen auch in Berlin die Umfragen lange an. Inzwischen sind sie mit 22 Prozent selbst hinter die müde CDU (23 Prozent) auf Rang drei zurückgefallen. Dennoch ist eine Mehrheit für Schwarz-Grün nicht unwahrscheinlich. Beide Parteien könnten gemeinsam mehr Stimmen holen als Rot-Rot. Fiele die FDP aus dem Abgeordnetenhaus, hätten sie eine Machtoption.

Fragt sich nur, ob die Grünen sich im Falle des dritten Platzes nicht doch zum Steigbügelhalter Klaus Wowereits (SPD) machen und dem Regierenden Bürgermeister durch ein rot-grünes Bündnis zur Mehrheit verhelfen. Die CDU des Spitzenkandidaten Frank Henkel dagegen hat schon signalisiert, eine Koalition mit den Grünen auch als Juniorpartner einzugehen. Allerdings würde sie sich auch dem Ruf der SPD nicht verweigern.

Will die Union in die Regierung einziehen, muß sie daher darauf setzen, möglichst hinter den Grünen ins Ziel zu kommen. Entsprechend lahm ist der Wahlkampf der CDU. Obwohl Linksextremisten nicht nur Nacht für Nacht zahlreiche Autos abbrennen, sondern auch durch gezielte Brandstiftung die S-Bahn außer Betrieb setzen, verbietet sich ein typischer Recht-und-Ordnung-Wahlkampf für die CDU. Zu groß ist die Angst, die Grünen zu vergrätzen. Renate Künast hat schon gemahnt, daß der allnächtliche Straßenterror auf keinen Fall ein Wahlkampfthema werden dürfe.

Auch die Verkehrspolitik, ebenfalls ein zugkräftiges Thema, wird von der CDU nicht besetzt. Dabei bieten die Abschaffung der grünen Ampelwellen, die Verengung sehr vieler Hauptstraßen auf eine Fahrspur zugunsten eines Radweges, das von den Grünen angekündigte flächendeckende Tempo 30 sowie die neuen 10-Stundenkilometer-Zonen des Senats hervorragende Vorlagen. Die CDU läßt sie jedoch ungenutzt. Ein solcher Wahlkampf zeigt, daß die Union wohl alle weiteren Grausamkeiten gegen die Berliner Autofahrer in einem Senat mittragen würde. Ganz offenbar tritt die Partei nur noch an, um Macht zu erhalten, nicht aber um Inhalte durchzusetzen. Dies hat sie mit ihrer Bundespartei gemein. Und doch könnte Angela Merkel durch einen Regierungseintritt ihres Berliner Landesverbandes Rückenwind bekommen. Auch dies wäre eine bundespolitische Ausstrahlung, die die Berlin-Wahl für Beobachter spannend macht.

Wahrscheinlicher ist aber etwas anderes: Lachender Dritter des Verweigerns jeglicher Opposition wird wohl der selbsternannte Berlin-Versteher Klaus Wowereit werden. Obwohl Berlin in seiner Amtszeit bei vielen Ländervergleichen auf den letzten Platz zurückgefallen ist und seine Bilanz eher mit Arbeitsverweigerung denn mit Leistung zu tun hat, nehmen ihn die Wähler wohl als das kleinste Übel wahr. Die höchste Arbeitslosigkeit, die schlechtesten Pisa-Ergebnisse und die meisten brennenden Fahrzeuge können ihm – mangels kompetenter Konkurrenz – offenbar nichts anhaben.

Sollten Wowereit und seine Partei die 30 Prozent deutlich übersteigen, würden er und seine Genossen das wohl als glanzvollen Sieg verkaufen. Im Rennen um die Kanzlerkandidatur seiner Partei wäre er dann wieder ein aussichtsreicher Bewerber. In zwei Jahren könnte der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt dann nach dem Schlüssel des Bundeskanzleramtes greifen. Das wäre ebenfalls die Folge eines lahmen Wahlkampfes für eine dennoch richtungweisende Entscheidung, die in Berlin am 18. September ansteht.

Foto: Klaus Wowereit (SPD) und Renate Künast vor dem Brandenburger Tor: Das Kanzleramt im Blick

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen