© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Immer mit der Ruhe
Mecklenburg-Vorpommern: Bei der Landtagswahl an der Ostseeküste zeichnet sich eine Bestätigung der SPD-geführten Landesregierung ab
Christian Schwiesselmann

Politische Erdbeben sind in Mecklenburg-Vorpommern nicht zu erwarten. Im Lande Fritz Reuters dürfte es für die großen drei Parteien CDU, SPD und Linkspartei nach den Landtagswahlen am Sonntag heißen: „alln bliwwt bi’n ollen“ – Alles bleibt beim alten. Bei der letzten Forsa-Umfrage vor der Wahl konnte die SPD mit 34 Prozent ihre Stellung als stärkste Partei (30,2) ausbauen. Die Sozialdemokraten im Land scheinen alles richtig gemacht zu haben, nachdem der ebenso bräsige wie beliebte Landesvater Harald Ringstorff (SPD) 2008 in den Ruhestand ging und den Staffelstab an den bisherigen Sozialminister Erwin Sellering weitergab.

Der Verwaltungsrichter aus dem Ruhrpott ist zwar kein plattsprechender Charakterkopf, seinem CDU-Herausforderer an Ausstrahlung und Eloquenz jedoch weit überlegen. Während Sellering das Wahlvolk mit anerkennenden Worten über die „Lebensleistung“ der DDR-Bürger umgarnte, konzentrierte sich der SPD-Wahlkampf auf die mageren Bekanntheitswerte: Auf den Plakaten lächelte der 61jährige teilweise mit doppeltem Konterfei zum SPD-Slogan „Gut, wie das Land“.

Die Union kann sich nach der Umfrage auf 27 Prozent einstellen. Das wäre nach den 28,8 Prozent 2006 das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Küstenunion, die 1990 auf 38,3 Prozent kam. Die Gründe sind – abgesehen vom Berliner Gegenwind – hausgemacht. Die CDU hob mit Lorenz Caffier einen Politiker auf den Schild, der hinter vorgehaltener Hand „zum letzten Aufgebot“ rechnet. Der 56jährige Sohn eines SED-Pfarrers (JF 20/11) hatte sich einst selbstironisch als „Blockflöte“ bezeichnet. Der Ingenieur für Land- und Forsttechnik wirkt rhetorisch unbeholfen, das agrammatische Wortspiel mit seinem Namen „C wie Zukunft“ auf den Wahlplakaten verstärkte diesen Eindruck noch. Bundesweit machte Caffier vor allem mit Forderungen nach einem NPD-Verbot von sich reden. Dabei stand er als Innenminister in den vergangenen fünf Jahren vor dem Dilemma, die Kreisgebietsreform der rot-roten Vorgängerregierung umsetzen zu müssen, gegen die sich die CDU-Opposition bis 2006 sogar vor dem Landesverfassungsgericht wehrte.

Dem starken kommunalen Unterbau der Union schmeckt die Reform – sechs Landkreise statt bisher zwölf, nur Rostock und Schwerin bleiben kreisfreie Städte – bis heute nicht. Mit ihr reagiert das auf 1,6 Millionen Einwohner geschrumpfte Land auf anhaltende Abwanderung und niedrige Geburtenzahlen.

Die im Bundesvergleich überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit lastet mit 11,7 Prozent wie Mehltau auf dem Bindestrich-Land zwischen Elbe und Oder. Dennoch kann die Linke daraus kein politisches Kapital schlagen. Laut Forsa-Umfrage dürfen die Postkommunisten allenfalls darauf hoffen, ihr Wahlergebnis von 2006 (16,8 Prozent) bei 17 Prozent zu stabilisieren. Der alternde Apparat bröckelt, junge Genossen wie der 32 Jahre alte Landesvorsitzende Steffen Bockhahn sind nur zur Stelle, wenn sie eine Karrierechance wittern. Der Genosse „Trend“ marschiert indessen auch in Mecklenburg-Vorpommern bei Bündnis 90/Die Grünen mit. Fukushima und Merkels Energiewende haben aus der Splittergruppe mit landesweit 550 Mitgliedern eine Acht-Prozent-Partei (2006: 3,4 Prozent) gemacht.

Daß der Sonntag trotzdem einen spannenden Wahlabend verspricht, liegt an der Prognose für die FDP (2006: 9,6 Prozent) und die NPD (2006: 7,3 Prozent): Beide Parteien pendeln bei verschiedenen Umfragen um die Fünf-Prozent-Hürde und müssen um ihren Wiedereinzug in den Landtag bangen. Die Liberalen kämpfen dabei auch gegen die Nachwehen des öffentlich ausgetragenen Machtkampfes zwischen Fraktionschef Michael Roolfs und Landeschef Christian Ahrendt.
Ein Totalausfall ist wahrscheinlich. Für die NPD ist die Wahl an der „Waterkant“ ebenfalls eine richtungweisende Schicksalswahl (JF 35/11).

Der plötzliche Tod des Rüganer CDU-Direktkandidaten Udo Timm birgt eine letzte Unwägbarkeit. Seinetwegen steht das gesamte Wahlergebnis bis zur Nachwahl im Westteil Rügens am 18. September unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit. Ein Wahlkrimi scheint möglich.

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