© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Des Pudels unbekannter Kern
Euro-Krise: Der geplante Rettungsfonds ESM bedroht die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank
Wolfgang Philipp

Nach einem Beschluß des Europäischen Rates soll die bisherige Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ihre Tätigkeit zur sogenannten Euro-Rettung 2013 auslaufen lassen. An Stelle der fragwürdigen Luxemburger „Zweckgesellschaft“ (JF 48/10) soll nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder ein „internationales Finanzinstitut“ namens „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ (ESM) gegründet werden.

Träger sind die 17 Euro-Staaten. Das ESM-Eigenkapital beläuft sich auf 700 Milliarden Euro und ist im Laufe der Zeit von den Gesellschafter-Staaten einzuzahlen. Auf Deutschland entfallen 190 Milliarden Euro – das entspricht 62 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes 2011. Der ESM wird geleitet von einem Gouverneursrat, der aus den Finanzministern der Mitgliedsstaaten besteht. Er soll in Schwierigkeiten geratenen Mitgliedsstaaten des Euro-Währungsgebietes ohne Sicherheit finanzielle Hilfen leisten, die er selbst am Kapitalmarkt refinanziert. Das Eigenkapital soll die Rückzahlung dieser Refinanzierung absichern, dient der Verlustfinanzierung und wird dadurch dem Kapitalmarkt dauerhaft entzogen. Das Ganze wird verkauft als „Rettungsaktion für den Euro“ bzw. schwach gewordene Euro-Staaten.

Inzwischen liegt der Entwurf eines „Vertrages zur Einrichtung des europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)“ vor. Daraus läßt sich ableiten, daß es wesentlich auch um mehr Macht für die EU-Zentrale Brüssel geht. Diese Machtergreifung durch die „Nebenregierung der Finanzminister“ liegt in einem Verdrängungseffekt zu Lasten der nicht den Staaten, sondern den bisher unabhängigen Notenbanken gehörenden Europäischen Zentralbank (EZB).

1. Nach dem Lissabon-Vertrag ist es Hauptaufgabe der EZB, Preisstabilität zu gewährleisten. Die gleiche Aufgabe wird jetzt auch dem ESM zugewiesen. Er soll die Finanzhilfen bereitstellen, wenn dies unabdingbar ist, „um die Stabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt zu wahren“. Was geschieht aber, wenn ESM und EZB über den richtigen Weg zur Preisstabilität unterschiedlicher Meinung sind? Staatliche Währungspolitik verträgt nicht „mehrere Köche“.

2. Das Zentralbanksystem mit der EZB an der Spitze räumt Banken, aber auch anderen Marktteilnehmern Refinanzierungsmöglichkeiten ein, es gewährt Kredite gegen Sicherheitsleistung. Für deren Verzinsung setzt die EZB zweimal im Jahr den Basiszins fest. Die Verzinsung der von dem ESM an andere Staaten zu gewährenden Darlehen muß hingegen die Finanzierungskosten des ESM zuzüglich einer Marge decken. Der ESM wird seinen staatlichen Kreditnehmern ganz andere Zinsen berechnen als die EZB ihren Bankenkunden. Wie wirkt sich dieses widerspruchsvolle Nebeneinander auf die Währung aus? Zur Zeit 1,5 Prozent Basiszins und demnächst vier Prozent ESM-Zins?

3. Die EZB kauft Staatsanleihen anderer Staaten auf. Mit Recht hat Bundespräsident Wulff diese Praxis kritisiert, weil sie nach dem Lissabon-Vertrag und auch in Artikel 21 der EZB-Satzung verboten ist. Sowohl die EZB als auch der ESM als Staatsfinanzierer bewegen sich auf dem Gebiet des Vertragsbruches, ihre Tätigkeit ist vergleichbar. Durch diese Staatsfinanzierung droht ein Gelddruck und Geldschöpfungswettlauf.

4. Die EZB hat ein Eigenkapital von 10,6 Milliarden Euro. Dem ESM stehen 700 Milliarden Euro, also 65mal soviel zur Verfügung. Er hat damit enorme finanzielle Möglichkeiten. Der gewaltige Größenunterschied zeigt sich auch darin, daß die Bilanzsumme der EZB per 31. Dezember 2010 nur rund 163 Milliarden Euro beträgt. Ihre Ausleihungen an Ansässige im Euro-Währungsgebiet sowie ihr Bestand an Wertpapieren dieser Gruppe belaufen sich zusammen auf rund 18 Milliarden Euro.

Selbst die Ausleihungen des gesamten Eurosystems (EZB und alle Zentralbanken) an Kreditinstitute im Währungsgebiet betrugen laut Bundesbankbericht vom 1. Juli 2011 nur 455,2 Milliarden Euro, sie lagen also noch unter den beabsichtigten Möglichkeiten des ESM (500 Milliarden Euro). Zum Vergleich: Die Forderungen der Deutschen Bank aus dem Kreditgeschäft beliefen sich per 30. Juni 2011 auf 395 Milliarden Euro. Ihr Eigenkapital betrug 51,6 Milliarden Euro. Der ESM wird eine mit der EZB konkurrierende politisch gelenkte Großbank gewaltigen Ausmaßes an Macht und Geld. Eine Abstimmung der Währungspolitik des ESM mit der EZB ist in dem Vertragsentwurf nicht vorgesehen.

5. Bei dieser Aufgaben- und Machtverteilung ist zu sehen, wer das Sagen haben dürfte: Die Ministerrunde des ESM hat mehr Durchsetzungsmöglichkeiten und kann die Befindlichkeit Europas durch die Beseitigung der Unabhängigkeit seiner Notenbanken nachteilig verändern. Der ESM ist eine Art Super-EZB, die aber allein von der Politik beherrscht wird. Es ist dringend erforderlich, daß vor allem die Bundestagsabgeordneten diesen Zusammenhang erkennen, den bisher auch die Presse nicht diskutiert.

Es geht nicht nur um die künftige Belastung des deutschen Steuerzahlers, sondern auch um den Fortbestand des die Währung schützenden unabhängigen Notenbanksystems. Dessen uneingeschränkte Arbeitsmöglichkeit ist unverzichtbar. Statt eine solche Konkurrenzsituation zu schaffen, wäre es besser gewesen, gewisse Aufgaben der EZB zu übertragen, statt eine selbständige neue juristische Person zu gründen. Harmonie mit der EZB ist dem ESM schwerlich vorauszusagen.

 

Euro-Rettungsfonds ESM

Am 17. Dezember 2010 wurde auf dem EU-Gipfel beschlossen, die bisherige Zweckgesellschaft EFSF auslaufen zu lassen. An ihre Stelle soll 2013 als dauerhafter Euro-Rettungsfonds der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) treten. Er werde „einem Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung gewähren, wenn dessen regulärer Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist“, heißt es im Entwurf. Der ESM übernimmt also die Staatsfinanzierung, wenn der betreffende Staat als eingeschränkt oder völlig kreditunwürdig angesehen wird. Die Ersteinlage des ESM beträgt 80 Milliarden Euro. Entsprechend seines Anteiles von 27,15 Prozent müßte Deutschland eine Einzahlung von mindestens 21,7 Milliarden Euro tätigen. Die ESM-Mitglieder verpflichten sich „bedingungslos und unwiderruflich“, dies zu tun. Der EZB-Gouverneursrat kann das Grundkapital und das Ausleihvolumen jederzeit bei Bedarf erhöhen.

Die nichtamtliche Arbeitsübersetzung des Vertragstextes zum ESM im Internet: www.freiewelt.net

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