© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

CD: Chopin
Eins mit dem Instrument
Jens Knorr

Im vorigen Jahr wurde Frédéric Chopins 200. Geburtstag von allen und jedem begangen. Der rumänische Pianist Eduard Stan beging ihn mit einem Album „Chopin in Cis und Fis“, sowohl in Dur als auch in Moll, das längst für überwunden geglaubte Klischees mit neuem Scheinleben erfüllt. Wer eine „ungestörte, harmonisch ohne Brüche verlaufende Reise zu Chopins Kunst erleben“ will – so Stan über Stans Intentionen –, der tut vielleicht eine Reise, aber zu Chopins Kunst führt sie ihn nicht, allenfalls nach Hannover. Dort hat Eduard Stan sein Examen abgelegt. Und dort posiert er für das Beiheft vor einer Nana, einer der Plastiken der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle, die in aller Welt und auf der Hannoveraner Skulpturenmeile zu besichtigen sind. Alle Macht den Nanas? Keine Panik: der Mann meint’s nur gut. (Thorofon CTH 2573)

Von ganz anderem Kaliber sind zwei Alben der in Moskau geborenen Pianistin Anna Zassimova, die an der Gnessin-Musikakademie in der Klavierklasse bei Vladimir Tropp studierte. Bereits 2007 hat sie nachdrücklich von ihrem klugen, reflektierenden Spiel, vor allem jedoch von der unabgegoltenen Modernität des Spätwerks Zeugnis gegeben („Late works“, Antes Edition BM 31.9269). Mehr als nur einen Exkurs in die Geschichte des Instrumentenbaus gibt ihre neue CD mit Frühwerken Chopins, die sie im August 2010 auf einem Konzertflügel aus der Werkstatt des Instrumentenbauers Sébastien Érard, gebaut um 1850, eingespielt hat (Antes Edition BM 31.9274)

Chopins Vorliebe für Érard-Flügel ist historisch verbürgt, deren einen er in seiner Pariser Wohnung neben einem Pleyel und einem Broadwood zu stehen hatte: „Wenn ich schlecht disponiert bin, spiele ich auf Érard Clavieren und finde da leicht einen fertigen Ton vor.“ Das von Zassimova gespielte Instrument hatte der Karlsruher Klavier- und Cembalobaumeister Volker Rabus in unbespielbarem Zustand bekommen und gründlich restauriert.

Nun hat es seinen warmen, gedeckten, traurig verhangenen Klang wieder, mit deutlichen Registerdivergenzen und mit Vereinzelungstendenzen der Töne – Eigenschaften, die vom Interpreten zweierlei Einfühlung verlangen, sowohl in die Stücke, als auch in dieses besondere Instrument. Mit den intimen Mazurken, Nocturnes und Walzern kommt ihm Zassimova entgegen, mit der Polonaise cis-Moll op. 26 Nr. 1 und der Ballade g-Moll op. 23 führt sie es an seine Grenzen. Nicht darüber hinaus! Der Ballade ist der Schmerzenslaut neu eingesenkt, den ein brillant-orchestraler Klang moderner Konzertflügel nur allzuoft wegzuspülen droht, nicht Schmerz an sich, sondern Schmerz über ein verlorenes Land, klar und deutlich gefaßt, jede Bindung der Töne die Anstrengung wert.

Man dürfe es nie zu sehr drängen, weiß Zassimova über ihr Instrument und läßt den Hörer mithören, wie sie sich in das Instrument eingehört hat und ihm jeden Ton und jede Phrase so zu geben sich bemüht, wie es sie verlangt. Historisch informierte Aufführungspraxis schlägt das Band von der Interpretin zum Komponisten und Pianisten Chopin. Sie stellt sich den technischen Bedingnissen und bekommt dafür authentischen Ausdruck zurück. So vielleicht hat Chopin seine Musik gehört. Hätte er doch Anna Zassimova hören können!

Chopin. Anna Zassimova, Edition Anres BM 31.9274 www.bella-musica-edition.de

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