© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Ein Außenseiter kehrt zurück
Melodramatisches in Schwarzweiß: Die Filme des Peter Pewas auf DVD
Werner Olles

Alexanderplatz überrumpelt“, sein erster Dokumentarstreifen, 1933/34 mit der Handkamera gedreht: „Von dieser Welt der Straßen, der Nutten, der Arbeitslosen, der dunklen Höfe, der Kinder, die auf den Höfen nackt bebadet wurden, die dann in der Sonne standen, während man hinten die Schatten der zu trocknenden Wäschestücke sah, davon wollte ich berichten. Da gab es einen jüdischen Bettler oder Huren, die sich lausten.“ Bei Außenaufnahmen wird Pewas verhaftet, das Material beschlagnahmt und für unverfänglich befunden. Dennoch legt man ihm nahe, das Filmen auf dem Alex einzustellen. Pewas, der Sohn eines Schuhmachers aus Berlin-Mitte, gelernter Schlosser und in den 1920er Jahren Kunststudent bei Klee, Kandinsky und Moholy-Nagy am Bauhaus, wird kurz darauf ein zweites Mal verhaftet, doch schlüpft er erneut durch die Maschen der Gestapo. Daß er als Graphiker für verbotene Publikationen arbeitet, bleibt unentdeckt.

Die Geschichte des Filmregisseurs Peter Pewas (1904–1984) ist „ein deutscher Bildungsroman, angesiedelt an den Bruchstellen der bürgerlichen Kultur“ (Klaus Kreimeier). Inspiriert von der Arbeiterbewegung der Weimarer Republik, beeindruckt von den revolutionären Filmen der jungen Sowjetunion, holt er sich nach Hitlers Machtergreifung seine Aufträge, wo er sie herbekommt. Er entwirft Filmplakate, etwa für Victor de Kowas „Kopf hoch, Johannes (1941) oder Svend Noldans „Sieg im Westen“ (1941), avanciert schließlich zu Wolfgang Liebeneiners Assistent bei dessen Filmen „Bismarck“ (1940) und „Ich klage an“ (1941).

1943 dreht er seinen ersten Spielfilm: „Der verzauberte Tag“, eine romantisch-melodramatische Liebesgeschichte um zwei Verkäuferinnen des Bahnhofskiosks einer Kleinstadt. Die mit einem tyrannischen Bahnhofsvorsteher verlobte Christine (Winnie Markus) erliegt dem Zauber eines Malerprofessors, der auf Umwegen zu ihr zurückfindet. Derweil begnügt sich die oberflächliche Anni (Eva Maria Meinecke) mit amourösem Amüsement. Wegen seiner „Systemzeit-Bilder“ von halbdunklen Straßen, der emanzipatorisch angelegten Frauenrollen und der „Verunglimpfung der deutschen Kleinbürger“ erregt Pewas’ Film das Mißfallen des Reichsfilmintendanten Fritz Hippler und wird nach mehrfacher Vorlage im Oktober 1944 endgültig verboten. In den letzten Kriegsmonaten schlägt Pewas sich recht und schlecht durch. Sein Entwurf eines Spielfilms um einen bürgerlichen Verleger wird von den Nationalsozialisten abgelehnt: „Haben Sie noch nicht gehört, daß das Bürgertum zum Sterben verurteilt ist?“

Nach Kriegsende wird Pewas zur Gründungsversammlung der Defa eingeladen. Doch die Zusammenarbeit steht von Anfang an unter keinem guten Stern. 1947 bekommt er den Auftrag, einen Film über Prostitution und Geschlechtskrankheiten im Berlin der Nachkriegszeit zu drehen: „Straßenbekanntschaft“. Gisela Trowe spielt das junge Mädchen Erika, das den sexuellen Versuchungen des Großstadtmilieus erliegt. Die Defa beharrt auf einem volkspädagogischen Film, es gibt Auflagen von der Ärztekammer, einige Texte müssen umgeschrieben werden. Sowjetische Dramaturgen stoßen sich an der „Sinnlichkeit“ verschiedener Szenen. Pewas fühlt sich an die Zensurmaßnahmen der Nationalsozialisten erinnert und beschließt, in den Westen zu gehen.

Ein für den jungen Klaus Kinski entwickeltes Projekt über einen Kindermörder zerschlägt sich, ein Sankt-Pauli-Stoff bleibt ebenfalls auf der Strecke. Für „Herbstgedanken“, ein kleines Filmfeuilleton über einen Vers von Rilke, wird er 1951 mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet.

Dann begegnet Pewas dem katholischen Autor und Produzenten Gerhard T. Buchholz, der ihm ein Drehbuch vorlegt, an dem auch nicht ein Komma geändert werden dürfe. Doch Pewas ist entschlossen, „den merkwürdigen Stoff in den Griff zu bekommen“, der zuvor „von allen möglichen Seiten abgelehnt worden war“. „Viele kamen vorbei“ (1955/56) erzählt in Schwarzweißbildern von bizarrer Schönheit und suggestiver Aussagekraft die Geschichte eines Frauenmörders und gleichzeitig die rührende Geschichte einer jungen unschuldigen Liebe zwischen einer Fünfzehnjährigen und ihrem gleichaltrigen Freund.

Es ist ebenso unverständlich wie bedauerlich, daß ausgerechnet dieses nonkonformistische Meisterwerk, das man zu den Vorläufern des späteren „Autorenkinos“ zählen kann, nicht in der sonst hervorragend edierten DVD-Box enthalten ist, die kürzlich – von Cineasten lange erwartet – zum Werk des fast vergessenen Regisseurs erschienen ist. Sie enthält außer dem Dokumentar-Experiment „Alexanderplatz überrumpelt“ und den Spielfilmen „Der verzauberte Tag“ und „Straßenbekanntschaft“ noch den Eisenbahnfilm „Menschen, Städte, Schienen“ (1949), den Studiofilm „Eine Stunde“ (1940/41), den Experimentalfilm „Der nackte Morgen“ (1956), den mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichneten Kurzfilm „Kennzeichen Luftballon“ (1967) sowie ein Gespräch mit der Schauspielerin Gisela Trowe.

DVD-Box: Peter Pewas – Filme 1932–1967. Absolut Medien GmbH, Berlin 2011, Laufzeit insgesamt etwa 330 Minuten, Beiheft,etwa 24,90 Euro

Foto: Eva Maria Meinecke (l.) und Winnie Markus in Peter Pewas’ „Der verzauberte Tag“: Verbotener Film

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