© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

„… und das wird auch so bleiben“
Rechtsbruch: Ein Buch über Agnes Miegel wird vom Verlag nicht vertrieben
Hans-Joachim von Leesen

Kaum eine der nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Anthologien deutscher Lyrik kam und kommt ohne die Gedichte und Balladen der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel aus, sei es „Der ewige Brunnen“ von Ludwig Reiners, die in einer riesigen Auflage verbreitet worden ist, sei es Karl Otto Conradys, „Das große deutsche Gedichtbuch“, seit 1977 in weit über 100.000 Exemplaren verbreitet. Bis ideologisierte Parteipolitiker und folgsame Kulturbürokraten dafür sorgten, daß deutsche Schüler keine Gedichte mehr lesen, geschweige auswendig lernen sollten, gab es wohl kaum einen Gymnasiasten, der nicht wenigstens ein Miegel-Gedicht hersagen konnte. Und niemand nahm daran Anstoß.

Das ging gut, bis sich vor einigen Jahren Krawall-Linke daranmachten, Veranstaltungen zu Ehren der 1965 mit 85 Jahren verstorbenen Dichterin gewaltsam zu stören. Ihr Vorwurf: Miegel habe in Gedichten Adolf Hitler gepriesen und sei 1940 Mitglied der NSDAP geworden, sie habe sogar das Ehrenzeichen der Hitlerjugend angenommen und sei demzufolge eine Faschistin. Die Agnes-Miegel-Gesellschaft, die sich mit hoher Sachkenntnis um die Erschließung ihrer Werke bemüht und die Erinnerung an die Dichterin wachhält, hoffte zunächst, daß Aufklärung über die Zeitumstände und Motive Demonstranten davon überzeugen könnte, ihr Urteil zu überdenken. Denn es sei absurd, Agnes Miegel zu unterstellen, daß sie etwa antisemitische oder andere rassistisch motivierte Verfolgungen gerechtfertigt oder gar unterstützt hätte.

So hatte die Gesellschaft im Jahre 2010 ihre Mitglieder und Freunde zu einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema „Agnes Miegel – Ihr Leben, Denken und Dichten von der Kaiserzeit bis zur NS-Zeit“ eingeladen, auf der Historiker und Germanisten verschiedene Aspekte von Werk und Leben darlegen sollten, und das alles unaufgeregt und auf hohem Niveau. Die Referate wurden von den Teilnehmern gelobt, und so beschloß der Vorstand der Agnes-Miegel-Gesellschaft, diesmal die Jahresgabe in Form eines Buches mit Texten exemplarischer Vorträge nicht nur den Mitgliedern zu dedizieren, sondern einen Verlag zu suchen, der eine zusätzlich gedruckte Anzahl des Buches einer allgemein interessierten Öffentlichkeit etwa über den Sortimentsbuchhandel anbietet.

Man geriet an den weithin unbekannten Ardey-Verlag in Münster, über den wenig mehr bekannt war, als daß er die Monatsschrift Westfalenspiegel verlegte. Nicht bedacht hatte man offenbar, daß der Verlag, wie das Internet ausweist, ein Anhängsel des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (Vorsitzender: Dieter Gebhard, SPD) ist. Die Landschaftsverbände jedoch unterstehen dem nord-rhein-westfälischen Innenministerium, das in Sachen politischer Korrektheit eine unrühmliche Vorreiterrolle spielt. Daß es aber derartige Schwierigkeiten zwischen Ardey-Verlag und Agnes-Miegel-Gesellschaft geben würde, damit konnte niemand rechnen.

Ende April hatte die Gesellschaft dem Vertag das fertiggestellte Manuskript mit Beiträgen wie etwa über Agnes Miegels Haltung im Dritten Reich, ihre Plaudereien über die ostpreußische Küche, ihre Briefe an die befreundete Dichterin Lulu Diederichs und über Miegels frühe Gedichte zu Motiven aus dem Alten Testament übergeben.

Der Verlag akzeptierte das Manuskript, so daß man am 11. Mai dieses Jahres einen Verlagsvertrag schloß. In ihm verpflichtet sich die Vorsitzende der Gesellschaft und Herausgeberin, dem Verlag das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Buches zu übertragen, während der Verlag sich verpflichtet, das Buch zu vervielfältigen und zu vertreiben. Überdies vereinbarte man, daß die Agnes-Miegel-Gesellschaft und der Ardey-Verlag gemeinsam am 7. Juli auf einer Pressekonferenz in Münster das fertige Buch der Öffentlichkeit vorstellen wollten.

Am Vorabend dieses 7. Juli jedoch teilte der Verlag kurzerhand der Vorsitzenden der Gesellschaft mit, er habe die Pressekonferenz abgesagt und werde das Buch nicht verbreiten. Begründung: Das Buch enthalte rechtsextremistische Tendenzen. Außerdem sei auf einer Seite der Autor des 1926 erschienenen Romanes „Volk ohne Raum“, Hans Grimm, zitiert worden, ohne daß man erläutert habe, Grimm sei für Kolonien und für ein „Herrenmenschentum“ eingetreten und habe damit weitgehend mit dem Nationalsozialismus übereingestimmt.

Einen Tag später kam es noch zu einem Gespräch zwischen der Vorsitzenden der Gesellschaft, Marianne Kopp, und dem Historiker Paul Leidinger einerseits und zwei Vertretern des Verlages andererseits, das ohne befriedigendes Ergebnis endete. Dazu Vertriebsleiter Grabowski: „Der Vertrieb wird eingestellt, und das wird auch so bleiben.“ Eine einleuchtende Begründung wurde nicht gegeben. Auf die seitdem schriftlich erbetene Einlassung wartet die Miegel-Gesellschaft bis heute.

Damit hat der Ardey-Verlag den Verlagsvertrag gebrochen, in dem er sich verpflichtet hatte, das Werk zu vertreiben. Bisher haben lediglich die Mitglieder der Agnes-Miegel-Gesellschaft die von der Gesellschaft dem Verlag abgekauften Exemplare als Jahresgabe erhalten sowie Universitätsbibliotheken. Niemand aber kann das Buch in einer Buchhandlung erwerben, weil der Verlag die Auslieferung blockiert.

Wer das 142 Seiten starke Buch liest, kann über die Vorwürfe nur den Kopf schütteln. Es wird deutlich, daß die Dichterin in erster Linie unpolitisch war. Ihr Werk war längst vor 1933 im ganzen deutschen Sprachraum anerkannt. Schon 1924 verlieh ihr die Universität ihrer Heimatstadt Königsberg die Ehrendoktorwürde. In der Tat hat sie zu Beginn der Kanzlerschaft Adolf Hitlers in dem Gedicht „Dem Führer“ dafür gedankt, daß durch seine Politik das bis dahin niedergeworfene Deutschland wieder gesunde und daß „Neid und Bruderhaß“ schweige. Damit aber hat sie nicht anders empfunden als die große Mehrheit der Deutschen. Ebensowenig wie diese konnte sie den Zweiten Weltkrieg oder die Massenverfolgung der Juden ahnen und hatte sich damit ebenso in Hitler getäuscht wie Winston Churchill, der am 11. November 1937 in einer Rede Hitlers „patriotische Leistung“ bewunderte und fortfuhr: „Wenn unser Land besiegt würde, hoffe ich, daß wir einen ebenso bewunderten Vorkämpfer finden, der uns wieder Mut gibt und uns auf unseren Platz unter den Nationen zurückführt.“

Agnes Miegel mußte bei Kriegsende vor der Roten Armee aus Ostpreußen fliehen und verbrachte lange Zeit in einem Flüchtlingslager in Dänemark, bis sie eine neue Heimat in Bad Nenndorf fand. Ihr Entnazifizierungsverfahren endete mit einer Eingruppierung in die Kategorie„Entlastet“. In diesen Zusammenhang gehört das zitierte, angeblich so belastende Votum des von der Entnazifizierung nicht betroffenen Hans Grimm. Er hatte Agnes Miegel zu deren Entlastung unaufgefordert seine Beurteilung der Dichterin zur Verfügung gestellt.

Die Begründung, die der Verlag für seinen Vertragsbruch liefert, kann also nur auf Unwissen oder Böswilligkeit beruhen. Die Agnes-Miegel-Gesellschaft sollte sich mit diesem Rechtsbruch nicht abfinden.

Agnes-Miegel-Gesellschaft e. V., Agnes-Miegel-Platz 3, 31542 Bad Nenndorf, Telefon: 0 57 23 / 91 73 17

www.agnes-miegel-gesellschaft.de

Foto: Agnes Miegel an ihrem Schreibtisch, 1929: Lange vor 1933 war die Dichterin im ganzen deutschen Sprachraum anerkannt

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