© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Deutsche Befindlichkeiten
Weltinnenpolitik
Herbert Ammon

Nach 1945, nachdem ein Schulabbrecher, an der Kunstakademie und als Putschist gescheitert, ins Reichskanzleramt gelangt, Deutschland und die Welt ins Unheil gestürzt hatte, hatten wir fünfundvierzig Jahre Zeit, aus der Geschichte zu lernen. Als erstes: Nie wieder Krieg! Ab 1955 hieß das Lernziel etwas anders: Nie wieder Angriffskrieg, nur noch Verteidigung im Rahmen des Bündnisses. Jedenfalls nie wieder Krieg von deutschem Boden aus. Und Frauen waren vom Dienst an der Waffe ausgeschlossen, bis der Europäische Gerichtshof in der deutsch-national verengten Verfassung das Recht auf gleiche Kriegsteilnahme verletzt sah. So reiften die Deutschen nach und nach zu Demokraten.

Die pazifistische Grundströmung im Volke war so groß, daß dieses dereinst im Gefolge gefühlter Atomkriegsgefahr die Partei der Grünen in den Bundestag brachte. Aus deren Reihen ging 1998 ein Außenminister hervor, dessen Bildungsweg an erwähnten Schulabbrecher erinnert. Aus profunder Geschichtskenntnis heraus (Risiko Deutschland; Gründungsmythos Auschwitz) extemporierte er über Notwendigkeit und Ethos des Krieges, nicht nur auf dem Balkan. Im Amt betrieb er nichts als Weltinnenpolitik, sorgte für die Einhaltung zivilisatorischer Werte im Verkehr der universalen Staatengemeinschaft.

Seither dient er dem Wohle der Menschheit als Wirtschaftsexperte beim Energiekonzern RWE, der über „Nabucco“ demokratisches Gas aus Aserbaidschan in den Westen pumpt. Auch Nachfolger Steinmeier hatte unsere Geschichtslektion begriffen, weshalb ihm der EU-Beitritt der Türkei am Herzen lag, aus historischen Gründen: Steht nicht der ältere Moltke, Urheber türkisch-deutscher Verbundenheit, sinnend am Großen Stern? Warum aber fällt plötzlich alle Welt über Westerwelle her? Tat der von Anbeginn nicht sein Bestes, aus Geschichtsverantwortung? Nein! Beim gerechten Krieg um Öl und Demokratie, auf geheimen Nato-Ratschluß (?) inszeniert von Sarkozy, Cameron und Berlusconi, wollte er uns nicht mitmachen lassen. Jetzt wird er aus dem Amt gejagt, zu Recht!

Wie aber den Schaden gutmachen? Wie konnte Merkel beim Pariser Libyen-Gipfel weltpolitische Deutschlands Verantwortung  zur Geltung bringen? Nun, Deutschland hilft beim Brunnenbau. Dazu gibt es keine Alternative.

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen