© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Pankraz,
Theo Waigel und das böse Schmiergeld

Mit einer bis oben hin mit wohlfeilen Phrasen gefüllten Sonntagspredigt hat sich Theo Waigel aus dem Fenster gehängt, seines Zeichens Ex-Bundesfinanzminister und zur Zeit im Sold der amerikanischen Regierung „Compliance Monitor“ („Antikorruptionswächter“) bei der deutschen Firma Siemens. Im Magazin Cicero wettert er gegen die deutschen Unternehmen, weil sie nicht einsehen wollen, warum sie als einzige in der Welt bei lukrativen internationalen Aufträgen keine Schmiergelder mehr zahlen dürfen sollen. Das, so donnert er, sei ein Skandal, eine moralische Bankrotterklärung, ja ein Verbrechen.

„Als ein mittelständischer Unternehmer“, so Waigel, „in einem Zeitungsinterview freimütig Märkte benannte, in denen seiner Erfahrung nach ohne Korruption kein Geschäft zu machen sei, wurde zwar die Staatsanwaltschaft gegen ihn aktiv, doch die deutsche Öffentlichkei hat den Vorgang kaum beachtet. Solche Apathie ist unverantwortlich denjenigen gegenüber, die in Schwellenländern und in Ländern der Dritten Welt von Korruption betroffen sind. Dort verursacht Korruption katastrophale Schäden: Sie beraubt ganze Generationen ihrer ökonomischen Chancen und zerstört ihre Hoffnung auf ein erfülltes Leben.“

Pankraz wäre beinahe in Tränen ausgebrochen. Als er – lange ist’s her – zum ersten Mal in Bombay war, herrschte dort gerade staatliches Alkoholverbot für alle Inder, und man mußte als Ausländer im Hotel seinen Paß vorzeigen, wenn man zum Dinner ein Bier bestellen wollte. Pankraz zeigte seinen Paß, aber der Sommelier blätterte ihn durch und gab mit einem höflichen Wortschwall sein Bedauern kund, daß er momentan nicht in er Lage sei, Bier auszuschenken. „Sie hätten“, sagte später ein Engländer zu Pankraz, „einen 100-Rupien-Schein in den Paß legen sollen, dann hätten Sie Ihr Bier bekommen.“

Der „Mißbrauch anvertrauter Macht zur privaten Bereicherung“ (so die Definition von Korruption durch die Korruptionsbekämpfer von „Transparency International“, TI) ist in den von Waigel angesprochenen Ländern derart allgemein und so tief verwurzelt, daß man sich schon scheut, von einem Verbrechen oder auch nur von einem Delikt zu sprechen. Daran dürfte auch die derzeitige Aufregung in Indien über den Antikorruptionspropheten und Hungerkünstler Ânna Hazare kaum etwas ändern. Korruption gilt dort ja fast als eine Art Menschenrecht.

Nach Schätzungen der Weltbank fließen alljährlich über eine Billion Dollar allein in Schmiergelder, die von Industrieunternehmen an staatliche Stellen abgeführt werden müssen, damit sie Lieferaufträge erhalten. Diese Summe muß man mehrere Male mit sich selbst multiplizieren, um an das wahre Ausmaß der tatsächlich fließenden weltweiten Schmiergeldsumme heranzukommen, inklusive all der „Geschenke“, die der kleine Mann in Indien oder Indonesien, Kenia oder Nigeria, Weißrußland oder Bulgarien tagtäglich an Polizisten, Richter, Dorfschulzen usw. abführt, um über die Runden zu kommen.

Kein Wunder also, daß sich  – zum größten Ärger des Com-pliance Monitors Waigel – immer mehr deutsche Unternehmen dagegen sträuben, über die bereits jetzt hierzulande geltenden Antikorruptionsgesetze hinaus weitere Wettbewebseinschränkungen beim Handel mit dem Ausland hinzunehmen. Seit 1999 dürfen in Deutschland „nützliche Aufwendungen beim Umgang mit ausländischen Amtsträgern“ nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Das ist – so die übereinstimmende Meinung in Wirtschaftskreisen – das Äußerste, was eine genuine  Exportnation noch hinnehmen kann, ohne schwersten strukturellen Schaden zu erleiden.

Wovon sollen denn die Deutschen künftig die Eurobonds und Rettungsschirme ihrer Transferunion bezahlen, wenn man sie nun auch noch beim Welthandel à la Waigel gleichsam am moralischen Portepee faßt und sie zu wirtschaftspolitischen Musterknaben aufrüsten will, die keinem einzigen arabischen Ölprinzen und keinem einzigen indonesischen Großplantagenbesitzer auch nur das kleinste Zubrot zukommen lassen dürfen, auch wenn die Gründe dafür noch so sehr im Interesse unseres eigenen Landes liegen?

Wer den Mißbrauch anvertrauter Macht zur privaten Bereicherung im internationalen Maßstab unterbinden will, der darf nicht mit nationalen Gesetzen kommen, da helfen nur UN- und OECD-Beschlüsse, wenn überhaupt etwas helfen kann. Macht und Geld hängen ganz eng miteinander zusammen. Wer Macht hat (und sei sie noch so klein), der will üblicherweise auch, daß sie sich irgendwie auszahlt. Man muß nicht nach Indien oder nach Indonesien gehen, um dieser anthropologischen Konstante gewahr zu werden. Auch der Parteienstaat unserer Breiten liefert dafür so manchen Beleg.

Der Compliance Monitor Waigel wäre schwerlich zu seinem hochdotierten Posten gekommen, wenn er nicht seinerzeit deutscher Finanzminister und CSU-Chef gewesen wäre. Es ist dies ein äußerst interessanter, vielfältig schimmernder Posten. Waigel handelt im Auftrag der US-Justizbehörde, die ihm auch das Gehalt zahlt, und soll für diese mehrere Jahre lang kontrollieren, ob der Münchner Siemens-Konzern, der im Jahre 2006 (zur Freude seiner vielen amerikanischen Konkurrenten) in einen schweren Korruptionsskandal verwickelt wurde, sich heute gebessert hat und „auf dem rechten Weg hält“.

Siemens seinerseits war sehr mit der Regelung einverstanden, denn der Konzern betreibt Geschäfte größten Ausmaßes in den USA und möchte dort auf keinen Fall in juristische Schwierigkeiten geraten. Deshalb akzeptierte er die Demütigung, öffnete dem US-„Monitor“ sämtliche Bücher und tröstete sich mit dem Gedanken, daß dieser Monitor ja immerhin renommiertes bayerisches CSU-Mitglied ist, zu dem man in seiner aktiven Ministerzeit die besten Beziehungen pflegte. Mag sein, man hofft auch, daß er chancenreiche auswärtige Verkaufsstrategien für moralisch einwandfrei hält und gnädig durchwinkt.

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