© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

CD: Edvard Grieg
Norwegischer Sisyphus
Sebastian Hennig

Die Gesamteinspielung von Edvard Griegs sinfonischen Werken durch das WDR-Sinfonieorchester Köln ist auf fünf Einzel-CDs angelegt, die nacheinander erscheinen. Die ersten beiden Lieferungen enthalten im Kern die Visitenkarten des Norwegers: die Suiten zu Peer Gynt und „Aus Holbergs Zeit“.

Anliegen des Dirigenten Eivind Aaadland ist es, Grieg nicht aus der romantischen Musik seiner Zeit zu deuten, sondern aus jenem nordischen Volkston, den der Komponist in seinem Werk herausstellen wollte. Aadland wuchs in Bergen ganz in der Nähe von Griegs Villa Troldhaugen auf.  Sein Großvater war ein Virtuose auf der Hardanger-Fiedel, jenem volkstümlichen norwegischen Streichinstrument, dessen mehrstimmigen, dissonanzenreichen archaischen Tanzweisen Griegs Musik grundlegende Anregungen verdankt. Dessen Sinfonische Tänze beruhen strenger als zum Beispiel Dvoraks „Slawische Tänze“ auf solchen authentischen Vorlagen.

Der kenntnisreiche Dirigent läßt die Klangbesonderheiten, die auf dem Fiedelcharakter der Originalstücke zurückgehen, mit besonderer Deutlichkeit den Charakter der Stücke bestimmen. So verweist diese Aufnahme auf die originären Quellen dieser überaus populär gewordenen Musik. Eigenarten, die mit der Konzertsaal-Präsenz der sinfonischen Evergreens verschleifen, treten hervor. ohne daß die Stücke dadurch an musikantischem Schwung einbüßen.

Edvard Grieg und Henrik Ibsen lernten sich in Rom kennen. Als der Dichter sein Versdrama „Peer Gynt“ für die Bühne einrichtete, beauftragte er Grieg, eine Bühnenmusik zu schaffen. Keiner ist schließlich dadurch dem anderen für seinen künstlerischen Nachruhm etwas schuldig geblieben. Allerdings hat Grieg lange gerungen mit dieser Aufgabe, die für ihn mit dem sensationellen Erfolg der Uraufführung 1876 nicht abgeschlossen war. Er arbeitete die Partitur immer wieder um, bis viele Jahre später die zwei Orchestersuiten vollendet waren. Das eingängige Motiv der Morgenstimmung aus der ersten Suite ist noch heute ein beliebtes Übungsstück der Schulmusik.

Die Klangkunst Griegs steht am Beginn der Kunst eines jungen selbstbewußten Norwegens, die im Werk des Epikers Hamsun und des Malers Munch ihren Höhepunkt erreichte. Grieg war ein glühender Patriot und ersehnte die Auflösung der Union mit Schweden. Es ging ihm weniger darum, in den tradierten Formen europäischer Orchestermusik zu konkurrieren, als darum, dem norwegischen Ton im Orchester der Weltmusik Gehör zu verschaffen.

Das eine ist ihm um den Preis des anderen gelungen. Es glückte ihm letztlich nicht, die größeren strengen Formen auszufüllen. Gemessen an der Unbedarftheit der heimatlichen Musikszene war es allerdings eine Sisyphusarbeit, die sich Grieg zugemutet hatte. Er wollte den epigonalen Klang des „Mendelsohnvermischten weichlichen Skandinavismus“ eines Gade überflügeln und die neue Musik Norwegens aus dem Geist seiner Volksmelodien erschaffen. Nach dem überraschenden Tod des Gefährten Rikard Nordraak stand er mit dieser Aufgabe vorerst allein da. Dem Gedenken Nordraaks, des Schöpfers der norwegischen Nationalhymne, ist der langsame Trauermarsch gewidmet, der die erste Platte abschließt.

Edvard Grieg, Complete Symphonic Works, Vol. I, The Cologne Broadcasts, 2011   www.audite.de

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