© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Verrückt nach Isabella
Der Anfang vom Ende des Wirtschaftswunders: Der Konkurs des Autofabrikanten Borgward erschütterte die junge Bundesrepublik
Hans-Joachim von Leesen

Zwischen 1955 und 1959 war Bremen, das kleinste Bundesland der Bundesrepublik, „Geberland“ im damals schon praktizierten Länderfinanzausgleich. Während dieses Zeitraums flossen fast eine Milliarde Mark in den Freistaat Bayern, der damals als „Nehmerland“ über zwanzig Prozent der gesamten Aufwendungen der föderalen Strukturhilfen beanspruchte. Ein Beleg dafür, daß der frühere Agrarstaat Bayern noch Lichtjahre von der „Laptop und Lederhose“-Kraftregion späterer Zeiten entfernt war, war beispielsweise die kränkelnde Automobilindustrie: Während die Autounion in Ingolstadt (Vorläufer der Audi AG) kurz vor dem Bankrott stand, stolperte der Münchner Rivale BMW von einer Finanzkrise in die nächste. Ende 1959 stand es in einer dramatischen Hauptversammlung sogar Spitz auf Knopf, daß der Plan von Vorstand und Aufsichtsrat, BMW an die Daimler-Benz AG zu verkaufen, realisiert und damit das Ende der Bayerischen Motorenwerke besiegelt worden wäre.

Ganz anders sah es zunächst an der Weser aus. Carl Friedrich Wilhelm Borgward beschäftigte in den von ihm gegründeten drei Unternehmen in Bremen am Ende über 20.000 Menschen, die in eben diesen Werken die wesentlich von Carl Borgward konstruierten Automodelle bauten. Mitte der fünfziger Jahre boomte das Unternehmen, der Patriarch gönnte sich sogar mit seinen Entwicklungen Auftritte in der teuren Rennsportwelt. Doch der Absturz erfolgte jäh.

Es ist nun gerade fünfzig Jahre her, daß Carl Borgward auf einer Fahrt aus dem Autoradio die Meldung hörte, der Bremer Senat habe die Bürgschaft für die von der Bremer Landesbank gewährten Kredite zurückgezogen, so daß die dritte fällig gewordene Rate nicht ausgezahlt werde. Damit wäre Borgward zahlungsunfähig. Borgward wurde verboten, seine Unternehmen zu betreten. Heute wird in Fachkreisen immer noch darüber diskutiert, ob Borgward wirklich wirtschaftlich am Ende war oder ob die damalige Bremer Landesregierung – eventuell sogar in Zusammenarbeit mit der Konkurrenz – das Ende herbeigeführt hat.

Es war eher ein aufstrebender Handwerksbetrieb, der unter dem Namen „Kühlerfabrik Borgward & Co.“ Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderte in Bremen ein kleines offenes Dreiradfahrzeug konstruiert, gebaut und verkauft hatte. Als ein hinzugekommener Teilhaber 10.000 Reichsmark zuschoß, machte sich Borgward, 1890 als eines von 13 Kindern eines Kohlenhändlers in Altona geboren, an ein leistungsstärkeres Fahrzeug, geeignet für eine höhere Nutzlast.

Der gelernte Schlosser, der mit seinem angeschlossenen Maschinenbaustudium Praxis und Theorie verbinden konnte, entwickelte in seinen neugegründeten Goliath-Werken Borgward den Dreirad-Personenwagen „Goliath Pionier“, einen Zweisitzer mit einem 200-Kubikzentimeter-Zweitaktmotor, der sechzig Kilometer die Stunde schnell fahren konnte und zum meistproduzierten Personenwagen in Deutschland wurde.

Wenige Jahre später erwarb er die Aktienmehrheit der Automobilfabrik Hansa-Lloyd, aus der er 1936 mit fünf Millionen Reichsmark Grundkapital die „Hansa-Lloyd-Goliath-Werke AG, Bremen“ machte. Jetzt wurden die von ihm konstruierten Fahrzeuge immer größer. Einem Sechs-Zylinder-Modell „Hansa 1700“ folgten „Hansa 3500“ und „Borgward 2300“.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Unternehmen ein Hauptlieferant für Halbkettenfahrzeuge, Schützenpanzer, Zugmaschinen. Luftangriffe gegen Kriegsende zerstörten dann große Teile seiner Fabriken. Reichsminister Albert Speer berief ihn ins Rüstungsministerium, in dem er Abteilungsleiter wurde und mit dazu beitrug, daß trotz der alliierten Luftangriffe die Rüstungsproduktion von Jahr zu Jahr stieg. Dafür sperrten ihn die Engländer 1945 für drei Jahre ein.

Nach seiner Entlassung stürzte er sich wieder in die Arbeit und konnte in den Überresten seiner zerstörten Werke wieder die ersten Autos bauen. Seine Firma teilte er in drei Einzelunternehmen auf, in die Carl F. W. Borgward GmbH Bremen, die Goliath-Werk GmbH und die Lloyd-Maschinenfabrik GmbH, alle in Bremen. Sein erfolgreichstes Modell war der Kleinwagen „Lloyd LP 300“ mit einem Zweitaktmotor und einer Sperrholzkarosserie mit Kunstlederbespannung, der als „Leukoplastbomber“ ein Jahrzehnt lang seine Käufer fand. Borgward entwickelte neben Mercedes das einzige dieselgetriebene Fahrzeug, den „Hansa 1800 D“, und war der erste in Deutschland, der ein Automatikgetriebe konstruierte. So wurde er in den fünfziger Jahren der viertgrößte Automobilhersteller mit einer erstaunlich breiten Produktpalette. Größter Verkaufserfolg in der Mittelklasse wurde die 1954 vorgestellte „Borgward Isabella“. Dieses Modell wurde über 200.000 Mal gebaut.

Als Ende der fünfziger Jahre der Autoverkauf nachließ, erwies sich der geniale Konstrukteur als weniger erfolgreicher Unternehmer. Statt die Produktion zu drosseln und gegebenenfalls die Unternehmen zu verschlanken, produzierte Borgward auf Halde. Die Eigenkapitaldecke schmolz dahin, schließlich beantragte er 1960 bei den Banken einen Kredit von 30 Millionen Mark, zu zahlen in drei Monatsraten. Der von dem langjährigen sozialdemokratischen Bürgermeister Wilhelm Kaisen geführte Bremer Senat mußte bewegt werden, dafür die Bürgschaft zu übernehmen. Durch den umfangreichen Grundstücksbesitz Borgwards war der Betrag gedeckt.

Nachdem in der Öffentlichkeit Gerüchte aufgetaucht waren, nicht zuletzt durch eine diskriminierende Spiegel-Geschichte, den Borgward-Unternehmen gehe es finanziell schlecht, zog der Bremer Senat 1960 seine Bürgschaft für die letzten zehn Millionen Mark zurück, so daß die Bremer Landesbank keine Gelder mehr freigab. Im Bremer Senat, vor allem bei SPD-Senatoren, genossen es nicht wenige, den Unternehmens-Patriarchen und „Konsul Dr. h. c. Borgward“, der zudem Umgangsformen an den Tag legte, die als arrogant und unangenehm empfunden wurden, fallen zu sehen und setzten ihm schließlich die Pistole auf die Brust. So mußte er seine Unternehmen dem Land Bremen entschädigungslos übereignen. Als besondere Demütigung, für Bremen jedoch mit fatalen Auswirkungen, beriefen die Verantwortlichen ausgerechnet den süddeutschen Wirtschaftsprüfer Johannes Semler, der zur selben Zeit als Aufsichtsratsvorsitzender von BMW tätig war, als Sanierer. Borgward mußte zustimmen.

Dessen Sanierungsversuche waren, wie damals schon Beobachter feststellten, völlig unzureichend. Daraufhin betrieb Semler die Eröffnung des Vergleichsverfahrens, dem bald der Anschlußkonkurs folgte. Er wurde 1960 abgeschlossen mit dem erstaunlichen Ergebnis, daß alle Gläubigeransprüche vollständig befriedigt werden konnten. Sanierer Semler konnte mit dem stolzen Honorar von 650.000 Mark zu BWM zurückkehren, im Schlepptau die besten und qualifiziertesten Mitarbeiter aus der Entwicklungsabteilung von Borgward. Die einzelnen Teile des ehemaligen Konzerns wurden schrittweise verkauft, die knapp 18.000 Bremer Arbeitsplätze in Borgwards Werken gingen endgültig verloren. Verbittert überlebte der privat haftende Unternehmer Carl Friedrich Wilhelm Borgward den schmählichen Niedergang seines Lebenswerkes nur um zwei Jahre.

Der Borgward-Konkurs erschütterte die damals junge Bundesrepublik. Man sah sie als Anfang vom Ende des Wirtschaftswunders an, zumal andere Zusammenbrüche folgten. So scheiterte ein Jahr später die Wirtschaftsgruppe Schlieker. Während des Krieges gehörte der 1914 in Hamburg geborene Willy Schlieker zum Rüstungsministerium; er war Chef der Eisen- und Stahlproduktion. In wenigen Jahren baute er nach der Entlassung aus der Gefangenschaft einen Konzern aus Eisenverarbeitung, Eisenhandel und zeitweilig 15 Werften auf.

1952 krönte er sein Imperium durch die Übernahme der Ottensener Eisenwerke, zu der eine Gießerei und eine Werft gehörten. 1961 erreichte seine Unternehmensgruppe einen Jahresumsatz von 200 Millionen US-Dollar. Als der vom Hamburger Senat und der hanseatischen Nomenklatur als Emporkömmling beargwöhnte Sohn eines Werftarbeiters, der über eine nur dünne Eigenkapitaldecke verfügte, in eine Liquiditätskrise geriet, entzogen ihm, dem „Wirtschaftswunderknaben“, die Banken 1962 alle laufende Kredite. Schlieker mußte Konkurs anmelden.

Der Strukturwandel der deutschen Wirtschaft vollzog sich ab den sechziger Jahren unaufhaltsam, wobei sich die Wirtschaftskraft vom Norden in den Süden verlagerte. Für die Stadt Bremen war das Ende von Borgward der Beginn einer ganzen Serie von Pleiten traditionalistischer Betriebe an der Weser mit dem Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen. Die Großbetriebe Hansa Waggonbau (1975), der Unterhaltungselektronikhersteller Nordmende (1978) oder die Werften AG Weser (1983) und Bremer Vulkan (1996) stehen als Synonym für den Niedergang. Aus den Mitteln des Länderfinanzausgleichs flossen allein im Jahr 2010 444 Millionen Euro an das kleinste Bundesland an der Weser. Der Freistaat Bayern war gleichzeitig mit 3,5 Milliarden Euro das größte Geberland.

Foto: Konsul Borgward und Direktor Tagtmeyer präsentieren am 6. September 1959 in Bremen den neuen viersitzigen Personenwagen „Arabella“ der Bremer Lloyd-Motorenwerke: Der Wagen hatte einen 900 Kubikzentimeter-Motor mit 38 PS und kostete 5.250 Mark

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