© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Vor dem Scherbenhaufen
Griechenlands Staatspleite rückt näher: Der Kanzlerin laufen bei der Euro-Rettung die Verbündeten weg
Michael Paulwitz

Der Marsch der deutschen Lemminge in die Transferunion scheint unaufhaltsam“, seufzte jüngst der vom Saulus zum Paulus der Euro-Kritik bekehrte Hans-Olaf Henkel in einem pointierten Interview, das der ehemalige Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) an Bord seines Segelbootes gab. Doch je näher die Klippe kommt, über die sie sich stürzen sollen, desto größer wird die Zahl der Deserteure, die sich ungeachtet aller trotzigen „Euro-halten-um-jeden-Preis“-Durchhalteparolen ihrer Anführerin seitlich in die Büsche schlagen. Angela Merkel steht vor den Scherben ihrer Euro-Rettungs-Politik.

Sogar der „nette Herr Rösler“ probt jetzt schon den Absprung. Die Kanzlerin hat den FDP-Vorsitzenden ohne Fortune zwar postwendend in den Senkel gestellt, weil er die Omertà, das Schweigegebot der politischen Klasse, gebrochen und den Elefanten beim Namen genannt hat, der bei allen Euro-Rettungs-Diskussionen unübersehbar im Raum steht: Der Staatsbankrott Griechenlands ist unausweichlich, weil die Athener Regierung die Auflagen für den Verbleib in der Euro-Zone, die sie unter die faktische Fremdherrschaft der Banken und Finanzinvestoren zwingen würden, weder erfüllen will, noch erfüllen kann.

Das ist die harte Realität, an der das autosuggestive Wunschdenken der Euro-Retter früher oder später zerschellen muß. „Die Märkte“ sind eben nicht jener teuflische Dämon, der den edlen Euro-Rittern aus schierer Bosheit ihr so schön gemeintes Einheitswährungsspielzeug kaputtmachen will. Sie sind die unerbittlichen Exekutoren der ökonomischen und fiskalischen Tatsachen, an denen jedes ideologische Wahngebilde scheitern muß. Je später die Einsicht, desto teurer der Absturz.

Daß verschärftes kollektives Gesundbeten den Euro nicht retten wird, dämmert inzwischen auch immer mehr Abgeordneten in der Unionsfraktion. Wolfgang Bosbach, sonst einer der treuesten Merkelianer, machte mit seinen Zweifeln an der Ausweitung des Griechenland-Euro-Rettungsschirms (EFSF) nur den Anfang. Längst ist die Schar der Abweichler so groß geworden, daß Angela Merkel bei der noch in diesem Monat bevorstehenden Abstimmung über das EFSF-Gesetz nicht mehr mit einer eigenen Kanzlermehrheit rechnet. Die Vertrauensfrage kann sie nicht mehr stellen, um die eigenen Reihen zu schließen, weil sie die Stimmen der SPD braucht. Und dann?

Ihren unbedarften Wirtschaftsminister mag Angela Merkel mit einem scharfen Anpfiff noch ruhigstellen können. An der Basis des an die Wand gefahrenen Koalitionspartners FDP bahnt sich ein Erdbeben an. Finanzexperte Frank Schäffler, wegen seines Sachverstandes schon seit längerem ein Außenseiter unter lauter Euro-Lemmingen, hat mit seinem Vorstoß für einen Mitgliederentscheid gegen den ESM und die Euro-Bonds zugleich die Existenzfrage für die Liberalen gestellt: Die FDP muß die Koalition verlassen und im Namen der geprellten und in Geiselhaft genommenen Steuerbürger zur Anti-Euro-Rettungs-Partei werden, oder sie wird mit Pauken und Trompeten als das überflüssigste Anhängsel innerhalb des etablierten Parteiensystems untergehen. Auch ein ehemaliger Förderer wie Hans-Olaf Henkel hat ihr das schon nahegelegt.

Daß die Führungsbürschchen der Liberalen ihre Feigheit überwinden und diesen Sprung wagen, ist zwar kaum zu erwarten. Doch die Atempausen, die sich die Kanzlerin mit ihren Manövern erkauft, werden immer kürzer. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Griechenland-Bürgschaften für rechtens erklärte, war nur ein Etappensieg. Den Marsch der Lemminge konnte das höchste Gericht bisher zwar nicht aufhalten, weil es sich beim Versuch, ohne Exekutive direkt in die Politik einzugreifen, selbst beschädigen würde. Karlsruhe kann Regierungshandeln erst im nachhinein beurteilen. Bleibt es aber seinen am 7. September aufgestellten Leitsätzen treu, muß es das Gesetz über den dauerhaften Rettungsschirm (ESM), das im Dezember vom Bundestag beschlossen werden soll, umgehend wieder kassieren, sobald der erste dagegen klagt. Und an Klägern wird es gewiß nicht mangeln.

Das wäre wahrscheinlich das Ende der Regierung Merkel. Ein Vorbote des nahenden Untergangs war der Rücktritt des Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank Jürgen Stark „aus persönlichen Gründen“ – was aus dem Diplomatischen übersetzt bedeutet: Ihr könnt mich mal, ich decke den fortgesetzten Bruch völkerrechtlicher Verträge nicht länger mit meinem guten Namen. Der Maastricht-Vertrag verbietet schwarz auf weiß den „unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln durch die EZB“ und die Beeinflussung von Mitgliedern der Beschlußorgane durch die Regierungen.

Starks Rücktritt und die ersatzweise Entsendung eines Untergebenen von Euro-Retter Wolfgang Schäuble in das von Südeuropäern dominierte EZB-Direktorium macht auch dem Naivsten klar: Dser Euro ist nicht stark wie die Mark, sondern weich wie die Drachme, und die EZB ist nicht unabhängig wie die Bundesbank, sondern ein Spielball politischer Intrigen.

Stein um Stein fällt das Lügengebäude in sich zusammen, mit dem die politische Klasse Deutschland in die Euro-Falle geführt hat. Angela Merkels Politik der alternativlosen Euro-Rettung ist schon jetzt gescheitert. Wie ein Feldherr, der seine Niederlage nicht einsehen will, sitzt die Kanzlerin im abgedunkelten Bunker, operiert mit Geisterarmeen und hofft auf die Vorsehung. Deutschland kann der Entscheidung nicht länger ausweichen: Entweder es beendet die Währungsunion in ihrer bisherigen Form, oder es haftet gesamtschuldnerisch für sämtliche Euro-Staaten und bezahlt die Verlängerung des Experiments mit der Enteignung des Wohlstands seiner Bürger. Der Zusammenbruch des Euro kommt so oder so, und weder Deutschland noch Europa werden danach noch sein wie bisher.

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