© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

„Der wahre Querdenker“
Den Medien gilt er als das „publizistische Sprachrohr des Papstes auf Erden“. Drei Bücher haben die beiden gemeinsam gemacht. Kein deutscher Journalist kennt Benedikt XVI. so gut wie der ehemalige Kommunist und Berufsrevolutionär Peter Seewald.
Moritz Schwarz

Herr Seewald, ärgern Sie sich über die geplanten Anti-Papstproteste?

Seewald: Am Papst scheiden sich die Geister, das ist nun mal so. Manche versuchen es mit Verschweigen, andere springen albern herum wie Rumpelstilzchen.

Was steckt dahinter?

Seewald: Der Papst ist eine Provokation für den Lifestyle. Und daß die Gegner ihm nicht das Wasser reichen können, macht sie doppelt aggressiv. Sie bauen einen Popanz, ein Falschbild auf, es muß ein imaginärer, „gefährlicher“ Feind herhalten, um eine kriegerische Polemik und offene Demagogie zu rechtfertigen. Hier zeigt sich dann auch die „Toleranz“ der „Toleranten“, die für sich alle Freiheiten einfordern, aber jegliche Toleranz verweigern, wenn es um Dinge geht, die ihnen nicht in den Kram passen.

Die Politik des Papstes sei „menschenrechtswidrig“ und „vormodern“, so die Kritiker.

Seewald: Mir sind solche Vorwürfe inhaltlich schleierhaft. Erst recht, wenn sie von Leuten kommen, die gleichzeitig einem Diktator in Kuba zu einem System gratulieren, das die Menschen in Armut und Rechtlosigkeit führte. Oder die gleichgültig hinnehmen, daß Abermillionen von Frauen rund um den Globus durch Sexismus herabgewürdigt und ausgebeutet werden. Letztendlich aber kommt solche Raserei und Volksverdummung dem Papst zugute.

Inwiefern?

Seewald: Die Menschen sehen: Der ist ja ganz anders als das Zerrbild, das von ihm gezeichnet wird. Das war bei seinem Besuch in England so, und das wird in Deutschland nicht anders sein. Die Probleme dieser Gesellschaft sind riesig geworden ist. Der ganze Planet ist in Konfusion und Aufruhr geraten. Die Frage ist: Was ist es eigentlich, was uns in diese Schieflage, in diesen Wahnsinn, gebracht hat? Das heißt, wir brauchen endlich Antworten, die nicht auf Trends und Moden beruhen, sondern Substanz haben. Es muß jemanden geben, der den Mut hat, uns die Wahrheit zu sagen – auch wenn sie unbequem ist. Baut nicht auf Sand, hat Jesus gemahnt, baut auf den Fels. Und was eigentlich bedeutet der Vorwurf „vormodern“ zu sein? Ist es „vormodern“, wenn eine Kirche nicht müde wird, darauf hinzuweisen, daß wir Dinge tun, die man besser nicht tun sollte? Die nicht müde wird, Gleichheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Friede einzufordern? Niemand anderer als der Papst ist es doch, der die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich geißelt, die verheerenden Kriege des Westens, die Verelendung der armen Länder. Aber eben auch das Unrecht, das an den Menschen geschieht, die gar nicht erst auf die Welt kommen dürfen.

Sie waren einst selbst Aktivist einer kommunistischen Gruppe.

Seewald: Deshalb verstehe ich diese Weltanschauung auch. Keine Frage, daß es in der Kirchengeschichte Fehler, Verengungen und Verbrechen gab. Aber die meisten Protestler wissen so gut wie nichts vom christlichen Glauben, nichts von dieser Kirche, aber sie wissen in jedem Fall, daß das alles von Übel ist.

Eine Gesellschaft ohne Gott – vor allem ohne Kirche – ist freier, selbstbestimmter und glücklicher.

Seewald: Tja, eben, das dachten wir einmal, das war der Traum. Und plötzlich mußten wir beobachten, daß mit dem Verschwinden des Glaubens und der Kirche, unserer Bildung und Bindung, der Grundwasserspiegel unserer Kultur immer stärker zu sinken begann. Heute ist daraus ein bedrohlicher Zustand geworden. Wir sind gewissermaßen geistlich am Verdursten. Im Gegensatz zu den Protestlern sehe ich heute die dramatischen Folgen einer Gesellschaft, in der sich der Mensch selbst zum Maß aller Dinge macht, die in ihrer Hybris alles als ausbeutbar betrachtet und in der es vor allem darum geht, das eigene Ego auszuleben.

Konservative Katholiken haben Sie einmal als die „wahren Modernen“ bezeichnet. Das müssen Sie erklären.

Seewald: Zeiten ändern sich. Manchmal ist es wichtig, gegen Strukturen zu kämpfen, und manchmal ist es wichtig, für Strukturen zu kämpfen. Wenn alle das Gesetz brechen, ist der letzte Gesetzes-treue womöglich ein Revolutionär, mit Sicherheit ein Outsider, der sich einem gefährlichen Mainstream entgegenstellt. Die innerkirchliche „Reform“-Diskussion hat vor allem eines gebracht: Sie hat die katholische Kirche buchstäblich lahmgelegt und kaltgestellt. Kalt auch im Sinne eines kalten, lauen Glaubens. Und während man Tag und Nacht relativ untergeordnete Themen diskutierte, brach darüber ein ganzes Glaubensgebäude ein. Nehmen Sie die Dauerbrenner Zölibat und Frauenordination. Es glaubt doch niemand im Ernst, daß die Menschen in Massen die Kirchen stürmten, wenn unsere Priester verheiratet wären und am Altar Frauen stünden. Die evangelische Kirche hat dies alles, und sie hat weit weniger Meßbesucher als die katholische, und im übrigen auch eine weit geringere Kirchenbindung. Nein, mit der abgegriffenen Pastoral der siebziger Jahre können sie heute auch keine jungen Menschen begeistern. Die suchen das Echte, das Unverfälschte. Hier sind die wirklich Unangepaßten, die wahren Querdenker. Die dann auch wieder diese ansteckende Freude und die ganze Kraft verspüren lassen, die aus einem authentischen Glauben kommen.

Als Sie erstmals von der „Süddeutschen Zeitung“ beauftragt wurden, für einen Artikel über Joseph Kardinal Ratzinger zu recherchieren, sollen Sie festgestellt haben: „Der ist ja gar nicht so, wie alle schreiben.“

Seewald: Es gibt hier festgefahrene journalistische Litaneien. Motto: Bloß nicht genauer hinsehen, das könnte uns ja unser Feindbild kosten. Man hat sich ein Vorurteil gebildet, und damit basta.

Die „Zeit“ schreibt, der feindselige Blick, vor allem der Kommentatoren, in Deutschland auf den Papst mache Sie wütend.

Seewald: Ja, wir haben hierzulande ein ausgeprägtes unkritisches Denken gerade von Leuten, die sich für kritisch halten. Journalistische Ethik wird dann gerne zugunsten ideologischer Kampfberichterstattung über Bord geworfen. Aber das Problem in Deutschland ist sehr vielschichtig. Es hat auch mit unserer Spaltung zu tun, mit unserer Schuld als Nation, mit fehlender Identität. Und mit eingespielten antirömischen, antikatholischen Komplexen. Katholiken wurden in diesem Land immer wieder verfolgt. Sie verloren im Bismarckschen Kulturkampf zahlreiche Rechte und galten unter den Nazis als „feindliche Elemente“. Natürlich ist Kritik am Papst, am römisch-katholischen Glauben nicht verboten. Ratzinger selbst fordert die Auseinandersetzung geradezu ein. Aber sie muß redlich sein. Wenn Politiker und Medienmacher jedoch im Stil der Jakobiner und ihres Guillotine-Regimes agieren, ist das kein Spaß.

Zum Beispiel?

Seewald: Etwa bei der Affäre um Bischof Williamson, aber auch beim Thema Mißbrauch, ging zugunsten eines brutalstmöglichen Kampagnenjournalismus jegliches Maß verloren. Deshalb ist es inzwischen auch so schwer, ein Bild von der wirklichen Stimmungslage im Land zu bekommen. Glaubte man der veröffentlichten Meinung, dürfte sich doch eigentlich niemand mehr in Deutschland für diesen Papst interessieren. Tatsache ist jedoch, daß seine Bücher jeweils auf den ersten Plätzen der Bestsellerliste landen.

Die Papst-Berichterstattung in Deutschland haben Sie einmal „gleichgeschaltet“ im Stile des „Neuen Deutschland“ genannt. Geht das nicht zu weit?

Seewald: Das ist zugespitzt, aber es trifft die Tendenz. Wir sind in diesem Bereich auf dem Weg zu einer subtilen Meinungsdiktatur, in der Verfälschung und Unterdrückung von Nachrichten als Normalität hingenommen wird. Ich bin sicher, jede wissenschaftliche Studie könnte das belegen. Selbst die Katholische Nachrichtenagentur will sich ja heute nicht darin überbieten lassen, stramm kirchenkritisch und antirömisch zu berichten. In den sogenannten Leitmedien ist inzwischen eine so ungeheure Schieflage entstanden, daß man von Manipulation sprechen muß. Von der oft schon haßerfüllten Tonart, in der Papstanhänger als „Dunkelkatholiken“ und „Hurrakatholiken“ diskriminiert werden, erst gar nicht zu reden.

Ein konkretes Beispiel bitte.

Seewald: Die Schieflage beginnt, wenn dem Vertreter von „Wir sind Kirche“, einer papstfeindlichen Splittergruppe, die es in fünfzehn Jahren nicht geschafft hat, mehr als ein kleines Fähnlein von Anhängern hinter sich zu bringen, in deutschen Medien mehr Präsenz eingeräumt wird als allen Bischöfen zusammengenommen. Umgekehrt erfahren die deutschen Leser von Großereignissen wie dem Weltjugendtag in Madrid mit weit über einer Million Teilnehmern in erster Linie, daß es Gegendemonstranten gab, nämlich eine Gruppe von einmal 5.000 und ein andermal 150 Menschen. Im Laufe des Hypes um Kirche und Mißbrauch hatte der Spiegel noch nicht einmal Scheu, Zitate aus Papst-Predigten aus dem Zusammenhang zu reißen, um ihnen eine andere Aussage zu geben.

Wenn Sie damals feststellen mußten, „der ist ja gar nicht so, wie all schreiben“, wie ist „er“ denn dann wirklich?

Seewald: Ja, wie ist er? Der Begriff „Panzerkardinal“ hatte jedenfalls nie wirklich etwas mit der Person Ratzingers gemein. Er trifft weder auf seine Arbeit zu, die auf Dialog ausgerichtet ist, und erst recht nicht auf sein Wesen. Ich denke, Papst Benedikt XVI. ist nicht nur einer der bedeutendsten Denker unserer Zeit und ein Theologe von der Statur der Kirchenväter, sondern auch ein spiritueller Meister von hohen Gnaden. Ein feinsinniger, poetischer, aufrichtiger und völlig uneitler, herzensgebildeter Mensch, der sich, gescheit und fromm zugleich, in seinem Dienst völlig verausgabt. Dabei macht er deutlich, daß Glaube mit Vernunft und Denken zu tun hat – und daß umgekehrt ein Denken ohne Glaube immer eine Verkürzung der Wahrheit bedeutet. Was den Deutschland-Besuch angeht, haben wir wichtige Impulse zu erwarten. Wir sind nicht mehr in der Frühphase des Pontifikates. Vielleicht wird man sogar von einer Art Testament Benedikts sprechen, einer besonderen Hinterlassenschaft für seine Landsleute.

Drei Bücher haben Sie gemeinsam mit Kardinal Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. gemacht – kein anderer deutscher Journalist kann ähnliches vorweisen. Warum hat der Papst gerade Sie „ausgesucht“?

Seewald: Von „ausgesucht“ kann keine Rede sein. Ich habe den damaligen Kardinal gefragt – und er hat ja gesagt. Alles hat irgendwie gepaßt.

„Salz der Erde“ hieß Ihr erstes gemeinsames Buch, nun ist „Licht der Welt“ erschienen – für manchen mag das allerdings nach den abgegriffenen Motti einer einfältigen Frömmigkeit klingen.

Seewald: Na ja, Hemingway blätterte, wenn er besonders kräftige Buchtitel suchte, zuallererst in der Bibel, wo sonst. Aber im Ernst: „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ sind in dieser vielfach so schal gewordenen und gottvergessenen Welt auch programmatische Titel.

Inwiefern?

Seewald: Die Christen sind berufen, das „Salz der Erde“ zu sein, heute mehr denn je. Und daß das „Licht der Welt“ ganz neu aufstrahlen wird, wissen wir aus dem Schlußakkord des Evangeliums. In Wahrheit leben wir nicht mehr nur in einer Zeit nach, sondern mehr und mehr auch wieder in der Zeit vor Christus, der in der größten Prophezeiung aller Zeiten seine sichtbare Wiederkehr angekündigt hat.

Die Weltkirche wächst – aber in Europa, besonders in Deutschland schrumpft sie.

Seewald: Ja, aber das ist auch etwa bei Gewerkschaften und Parteien so. Aber noch immer gehen Sonntag für Sonntag 3,3 Millionen Katholiken in den Gottesdienst. Bekämen sie soviel Aufmerksamkeit wie zum Beispiel die knapp 500.000 aktiven Nutzer von Twitter hierzulande, immerhin nach Facebook das zweitgrößte deutsche Social Network, hätten wir ein ganz anderes Bild von der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Land.

Abt Gregor Henckel von Donnersmarck warnte unlängst in einem Interview in dieser Zeitung: „Europa schafft sich ab!“

Seewald: Diese Entwicklung ist offenkundig. Aber Europa geht nicht unter, wenn der Euro scheitert, wie Frau Merkel verkündet, sondern wenn das Christentum untergeht. Das ist das Entscheidende an diesem Papst: Er rückt, in dieser neu vom Atheismus bedrohten Welt, die Gottesfrage ins Zentrum – und zeigt uns, wie es kein anderer kann, in dieser Zeit Christus als den wahren Sohn Gottes, den Herrscher des Weltalls. Das ist heute eine ungeheure Provokation, selbst für Leute, die sich als Christen bezeichnen. Aber wenn Gott wegfällt, verlieren wir die Grundlagen eines zivilisierten Daseins. „Die Glaubensverkündung“, so Ratzinger, sei deshalb „das wertvollste Geschenk, das die Kirche der Menschheit machen kann.“ Das ist dann auch der Unterschied zu den „Reformern“. Hier ist jemand, der dem Übel auf den Grund geht, der das Schwierigste vom Schwierigen wagt: nämlich eine Art Grundreinigung, die Rückkehr zum Ursprung.

 

Peter Seewald, der „Papst-Intimus“ (Focus) ist laut Zeit der „erste Journalist überhaupt, der ein offenes Interview mit Benedikt XVI. geführt hat“. Der ehemalige Redakteur bei Spiegel, Stern und Süddeutscher Zeitung schreibt bereits seit 1993 über Joseph Ratzinger. Zuletzt weilte der 1954 in Bochum geborene, in Bayern aufgewachsene Seewald eine Woche bei Benedikt XVI. in Castel Gandolfo. Drei Bücher hat er über ihn verfaßt, drei weitere zusammen mit ihm: 1996 „Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche im 21. Jahrhundert“, 2000 „Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit“ und 2010 „Licht der Welt. Ein Gespräch mit Papst Benedikt XVI.“ (Herder), das bei Erscheinen im November 2010 ob der darin enthaltenen Aussagen des Papstes zur Lockerung des Kondom-Verbots weltweit für eine Sensation sorgte.

Foto: Benedikt XVI. auf dem Weltjugendtag in Köln 2005: „Der Papst ist eine Provokation für den Lifestyle ... und sogar für solche Leute, die sich als Christen bezeichnen ... Daß seine Gegner ihm nicht das Wasser reichen können, macht diese doppelt aggressiv.“

 

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