© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wodka oder Zyankali
Tilmann Wiesner

Es regnet am Berliner Tiergarten. Das Gartenfest der Konrad-Adenauer-Stiftung drohte in der vergangenen Woche ins Wasser zu fallen. Titanic-Stimmung auf dem Akademiegelände. Das Motto des Tages lautet „Vielfalt leben – Integration gestalten: In Deutschland zu Hause“. Die Podiumsdiskussion mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, plätschert vor sich hin. „Integration geschieht nicht von selbst. Sie erfordert den Einsatz aller Beteiligten“, stanzt die Staatsministerin. Mit Vorzeigemigranten wie dem in Bayern geborenen Schauspieler Charles M. Huber lassen sich keine Integrationsprobleme erörtern. Später lobt Angela Merkel im überfüllten Forum die Integrationspolitik der Regierung: Man rede nicht über, sondern mit Migranten. Und man fördere und fordere gleichzeitig. Im gewohnt sachlich-nüchternen Tonfall referiert die Kapitänin des untergehenden Volksparteidampfers die Fakten: Jedes dritte Kind unter fünf Jahren stamme aus Zuwanderungsfamilien, in westdeutschen Großstädten wie Frankfurt am Main sogar zwei Drittel.

Dennoch habe man nicht zuviel Islam in Deutschland, vielleicht aber zu wenig Bewußtsein über die eigenen christlichen Wurzeln. Als sich die Physikerin dann auf metapolitisches Terrain begibt, beginnt der Sumpf. Zur Identität der Deutschen fällt Merkel nur eine platte Tautologie ein: „Selbstbewußtsein heißt, sich selbst bewußt sein.“ Vollends versinkt die 57 Jahre alte „Mutti der Nation“ zum Schluß ihrer Rede im Morast der Integration-ist-immer-auch-Bereicherung-Platitüden: „Die Hugenotten haben uns beigebracht, daß man nicht nur in Sackleinen rumlaufen muß.“

Ein Jazz-Quartett soll die 1.500 Gäste, darunter wohl viele CDU-Wähler, aufmuntern. Trotz Sprühregens dudeln die tapferen Musiker bis in die schwarze Nacht. Am Bierwagen hat sich unterdessen eine große Menschentraube gebildet. Unter ihnen ein kleiner, rundbebrillter Bundestagsabgeordneter mit sächsischem Akzent. Nach dem zweiten „Köstritzer“ sprudelt es aus ihm heraus: Ein Drittel der CDU/CSU-Abgeordneten hadere mit dem Euro-Rettungskurs der „lieben Angela“.

Griechenland hält der Sachse gleich für einen hoffnungslosen Fall. Am Mittelmeer fehle es an einer Stabilitätskultur. Der Grieche, der sich früher über die Abwertung der Drachme finanziert habe, sei heute wie ein Alkoholiker nicht von der Euro-Transfer-Pulle zu lösen. Die therapeutische Alternative bestünde in der Wahl zwischen „Wodka und Zyankali“ (Euro-Bonds). Er werde sich bei der kommenden Abstimmung im Deutschen Bundestag daher für Wodka entscheiden und den Europäischen Stabilitätsmechanismus befürworten.

„Vielfalt leben – Integration gestalten“ spiegelt sich nicht nur am Sponsoren-Büfett wider: Drinnen Tiefkühlpizza und Donuts, draußen Pfälzer Weine, Steaks und Reis-Curry. Auf der Dachterrasse des Stiftungsgebäudes präsentiert die Schwarzafrikanerin Adwoa Ode-Dombrowe selbstdesignte Mode. Eine deutsche Sandmalerin zaubert eine Palmenidylle auf die Projektionsfläche. Ihre Botschaft: Alles wird gut.

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