© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Sind wir noch Papst?
Visite Benedikts XVI.: Um die katholische Kirche in Deutschland steht es nicht zum Besten. Mitgliederrückgang und Richtungsstreit dominieren die Berichterstattung.
Michael Martin

Es ist keine wirklich neue Erkenntnis, daß den beiden großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland die Mitglieder weglaufen. Auch wenn manche Katholiken gerne darauf verweisen, daß ihre Kirche seit einigen Jahren zahlenmäßig stärker sei als die protestantische „Konkurrenz“ – wenige Tage vor dem Besuch von Papst Benedikt XVI. ist die Situation der Glaubensgemeinschaft alles andere als rosig.

Ein Blick auf die Statistik verdeutlicht dies. Alleine in den vergangenen zwölf Monaten hat die katholische Kirche in Deutschland erneut über 400.000 Mitglieder verloren. Mehr als 180.000 Personen haben die Kirche durch Austritt verlassen, 250.000 Katholiken sind verstorben. Dem stehen lediglich gut 10.000 Neu- beziehungsweise Wiedereintritte sowie 170.000 Taufen gegenüber. Insgesamt haben die katholischen Gemeinden in den vergangenen zwanzig Jahren einen Nettoverlust von rund 3,5 Millionen Mitgliedern beklagen müssen.

Noch alarmierender ist freilich die Tatsache, daß sich auch die Zahl der aktiven Kirchgänger im freien Fall befindet. Gingen 1990 immerhin noch 21,9 Prozent der Katholiken in den Gottesdienst, so konnten sich dafür im vergangenen Jahr nur noch rund zwölf Prozent begeistern: Tendenz weiter fallend. In vielen Gemeinden macht sich Resignation breit, zahlreiche Pfarreien sprechen von einer generellen Überalterung. Dies trifft nicht nur für die Kirchenbesucher zu, auch die Pfarrer und Seelsorger klagen über Nachwuchsmangel.

So ist das prozentuale Verhältnis von pensionierten zu noch aktiven Geistlichen in den vergangenen zwanzig Jahren dramatisch angestiegen. Die deutschen Bischöfe haben vor einiger Zeit aus diesem Grund ganz offiziell einen mehrjährigen sogenannten Dialogprozeß innerhalb der katholischen Kirche initiiert, der im Juli in Mannheim begann und viele innerkirchlich umstrittene Fragen aufgreifen soll. Angesichts des bevorstehenden Papstbesuchs spricht die katholische Nachrichtenagentur KNA davon, daß das Oberhaupt „auf eine Kirche im Umbruch“ treffe. „Seien es die noch immer nicht ausgestandenen Mißbrauchsskandale, die ‘Dialoginitiative’ der Bischöfe, die Debatte um eine angebliche ‘Kirchenspaltung’, die Forderung von CDU-Politikern nach einem Überdenken des Zölibats, die mittlerweile beruhigte ‘Causa Mixa’ oder das Theologen-Memorandum: Anlässe zu nervösen Reaktionen und auch internen Streitigkeiten gab es im Vorlauf zum Besuch von Papst Benedikt XVI. in seiner Heimat zur Genüge“, heißt es dort. In der Tat haben vor allem die Mißbrauchsfälle und der Vorwurf, die Verantwortlichen würden eher vertuschen, denn aufklären, die katholische Kirche in eine massive Glaubwürdigkeitskrise gebracht.

Auch intern ist die Motivation offenkundig gering. Die für Juli angesetzte Dialog-Offensive in Mannheim wurde so zu einem Fiasko. Nur ein Bruchteil der 27 deutschen Bischöfe haben die Reise in die Kurpfalz angetreten, obwohl sogar der Heilige Vater persönlich sie zur Teilnahme eingeladen hatte. Doch schon im Vorfeld war durchgesickert, daß einige Bischöfe die Tagung in Mannheim für eine Alibiveranstaltung hielten, da gewisse heikle Fragen nicht auf der Tagesordnung standen. Für Unruhe sorgte außerdem ein zu Jahresbeginn veröffentlichtes Thesenpapier von acht CDU-Politikern, darunter Bundestagspräsident Norbert Lammert, die früheren Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, Erwin Teufel und Dieter Althaus sowie Bundesbildungsministerin Annette Schavan. In dem Papier forderten sie Bischöfe und Vatikan auf, angesichts des akuten Priestermangels die Zölibatspraxis zu ändern und „viri probati“ – verheiratete, bewährte Männer – zum Priesteramt zuzulassen. Für die konservativen Kirchenvertreter war dies ein Skandal. „Gewisse Positionen sind nicht verhandelbar“, sagte beispielsweise der Essener Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Andere reagierten noch gereizter, verbaten sich eine Einmischung von Politikern in den innerkirchlichen Dialog.

Weiteres Sprengpotential brachte das sogenannte Theologen-Memorandum. Aus Anlaß des Mißbrauchsskandals und der hohen Kirchenaustrittszahlen hatten rund 300 Theologieprofessoren aus dem gesamten deutschen Sprachraum im Februar ein Thesenpapier veröffentlicht, in dem sie für einen intensiven Reformkurs eintraten. Sie forderten darin unter anderem eine stärkere Beteiligung der Gläubigen an der Bestellung von Amtsträgern, die Priesterweihe auch von Verheirateten, eine verbesserte kirchliche Rechtskultur und mehr Respekt vor individuellen Lebensentscheidungen. Einige Priester riefen Gläubige gar dazu auf, in jedem Gottesdienst Fürbitten zugunsten einer Kirchenreform zu verlesen. Angesichts des akuten Mangels an jungen Priestern ist die Debatte über einen „Einkauf“ von Geistlichen aus dem Ausland wieder stärker in den Fokus gerückt.

Die links-katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ sieht dies allerdings kritisch, weist darauf hin, daß Sprach- und Mentalitätsunterschiede kaum zu einer höheren Attraktivität führen dürften. Im Vorgriff auf den Papstbesuch setzt die Organisation eindeutig auf die Rekrutierung von verheirateten Männern: „Die Bindung des Priesteramtes an die ehelose Lebensform ist biblisch und dogmatisch nicht zwingend, sondern geschichtlich gewachsen und daher auch veränderbar. Das Recht der Gemeinden auf Eucharistiefeier und Leitung ist wichtiger als eine kirchenrechtliche Regelung“, heißt es in einer Erklärung.

Demgegenüber steht die konservativ ausgerichtete „Generation Benedikt“, die 2008 von jungen Katholiken ins Leben gerufen wurde. Sie hält nichts von überstürzter Aufgabe von Traditionen. „Die Kirche ist erfahren“, erklärt sie und: „Der Kirche geht es nicht um Macht und Einfluß. Sie muß folglich nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen.“ Angesichts der tiefgreifenden Diskussionen stellt sich die Frage, ob die Tageszeitung Die Welt nicht danebenliegt, wenn sie dieser Tage schreibt: „Die Krise war gestern, morgen kommt der Papst.“

Foto: Hirte und Schäfchen unter dem Kreuz: Der Papst trifft beim Besuch seiner deutschen Heimat auf eine katholische „Kirche im Umbruch“.

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