© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Schwere Suche nach dem Befreiungsschlag
Lettland: Ein Jahr nach den letzten Wahlen müssen die Letten erneut an die Wahlurnen
Bruno Pakalns

Vor knapp einem Jahr gingen die Wahlberechtigen Lettlands an die Urnen, um die Saeima, ihr Parlament zu wählen. Das Wahlbündnis dreier liberal-konservativer Parteien, Vienotība (Einigkeit), das sechs Monate vor der Parlamentswahl gegründet wurde, trug einen eindeutigen Sieg davon und stellte wider Erwarten zusammen mit dem Bündnis der Grünen und Bauern (ZZS) eine handlungsfähige Mehrheitsregierung. Wenigstens Stabilität in dem nur knapp am Staatsbankrott vorbeigeschlitterten Land — so dachten viele, aber nichts desgleichen! Am 17. September wird das Wahlvolk erneut votieren müssen, diesmal außerordentlich, denn das Parlament wurde am 23. Juli per Volksentscheid mit 95 Prozent der Stimmen abgewählt. Im Fokus hierbei: Ex-Präsident Valdis Zatlers. Er hatte aufgrund mangelhafter Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung – genauer gesagt, nachdem das Parlament mehrheitlich dagegen votiert hatte, die Immunität eines Abgeordneten, der im Visier der Korruptionsfahnder war, aufzuheben – den Volksentscheid auf den Weg gebracht.

Zatlers ist es auch, der nun seit Wochen mit seiner neu gegründeten Reformpartei (Zatlera Reformu partija, ZRP) die politische Szenerie beherrscht. Die ZRP geriert sich als Anwalt des durch die etablierten Parteien und durch deren rigide Sparprogramme geschröpften kleinen Mannes, plakatiert populistisch „Nieder mit den Plutokraten!“ und denkt dabei nicht so sehr an sich selbst, sondern an die Konkurrenzparteien, die bis auf das prorussische Saskaņas centrs (Zentrum der Harmonie) allesamt im Ruch des Plutokrateneinflußes stehen.

Fraglich ist nur ob die ZRP den Elan der ersten Stunde, der an den Volksentscheid anknüpfte, bis zum Wahltag beibehalten kann oder ob sie im Wirrwarr der lettischen Politik, das die Begriffe „neu“, „national“, „sozialdemokratisch“, „rechts“ und „rechtsliberal“ immer wieder neu definiert, versinkt. Aktuellen Umfragen zufolge ist sie innerhalb einer Woche von 17, 3 Prozent auf 11,4 Prozent gesunken. Sie liegt somit hinter dem prorussischen Harmoniezentrum (20,3 Prozent) und dem noch regierenden Einigkeitsbündnis Vienotība unter Premier Valdis Dombrovskis (13,6 Prozent), aber noch vor dem Bündnis der Grünen und Bauern (8,4 Prozent) und der nationalkonservativen Nationalen Vereinigung („Für Vaterland und Freiheit/Lettische Nationale Unabhängigkeitsbewegung“ mit 6, 9 Prozent.

Doch auch wenig Tage vor der Wahl ist das Rennen völlig offen. Fast ein Drittel der 1,5 Millionen Wahlberechtigten hat sich oder will sich nicht entscheiden. Die Frage, ob die Letten im Sinn des eindrucksvollen Referendums für einen Neuanfang stimmen, oder doch wieder auf eine fragile „Stabilität“ setzen, bleibt also spannend.

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