© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Sklaven der Moderne
Literarischer Höllenritt: Mit seinem Roman „Subs“ liefert Thor Kunkel eine tolle Drehbuchvorlage
Ellen Kositza

Allem Anschein nach hat Thor Kunkel über Jahre Zeitungsschnipsel, Kurzmeldungen, Statistiken, Studien und Umfrageergebnisse zu einem Thema – der Sklaverei – gesammelt, um daraus und drumherum einen Roman zu zimmern. Nun hat er diese zig Theorien und verbrieften Geschehnisse zu einem (letztlich fiktionalen) Guß, einem 450-Seiten-Wälzer gar, gefügt.

Kunkels literarischer Höllenritt „Subs“ ist im Präsens verfaßt. Das liest sich ungewohnt, dürfte aber eines tieferen Sinns nicht entbehren: Die Zeitform beschreibt ausdrücklich unmittelbare Gegenwart (und kontrastiert damit die Epoche, der wir Sklavenarbeit üblicherweise zuordnen), zudem prägt ein strikt gegenwartsbezogenes Denken die Lebensauffassung des hedonistischen Protagonisten-Pärchens.

Willkommen in der Welt der „Subs“, wie sie überseeisch genannt werden, der subalternen Klasse, des modernen Sklaventums!

Evelyn und Claus, beide Anfang Dreißig, zählen sich zum Rande der Berliner In-Crowd. Das heißt, sie bestimmen nicht eben die Agenda dessen, was angesagt ist, doch sie verfügen über die Mittel, den verschwenderischen Lebensstil der gehobenen Klassen mitzuvollziehen. Er, belesener Zyniker, saugt als Schönheitschirurg den Ehefrauen der Schwerreichen das Fett ab (Leitbild jener Ladies: „sich vom Rohmaterial Mensch wohltuend unterscheiden“), sie führt als Anwältin Vollstreckungsbefehle in Mietsachen aus und ist aktives Mitglied eines Lach-Clubs, in dessen Trainingseinheiten das in diesen elitären Kreisen rar gewordene laute Lachen als Selbstbefreiungsmanagement eingeübt wird. Beizeiten sind sich Claus und Evelyn einig geworden: Sie sind zu intelligent, um sich zu vermehren wie andere Säugetiere. Ein Familienleben würden sie als rüden „Eingriff in ihre Privatsphäre“ empfinden.

Claus hält sich im Keller Racker ganz anderer Art: einen passablen Zoo an mehr oder minder giftigen oder auf andere Art lebensgefährlichen Reptilien. Da sich ihre osteuropäische Perle, die den Grunewalder Villenhaushalt in Schuß hielt, über Nacht abgesetzt hat, schaltet Claus eine kecke Anzeige: „Sklavin gesucht! Möchten Sie zu klassischer Musik bügeln, kleine Botengänge erledigen und danach in der hauseigenen Sauna entspannen?“

Unter einer Vielzahl sexuell konnotierter Bewerbungen finden sich zwei ernsthafte Aspiranten: die blutjunge, schöne Slawin Lana und der Altphilologe Bartos. Claus heuert – gegen Evelyns moralisch begründeten Einspruch – beide an. Die Sklaven (beide sind intellektuell kompatibel) dürfen gegen Kost, Logis und ein kleines Taschengeld in die Einliegerwohnung einziehen. Obwohl sie sich getrennt beworben hatten, scheinen sie ein Paar zu sein. Lana besorgt künftig die Raumpflege und verwöhnt Herr und Herrin mit ausgetüftelten Wellness-Programmen sowie luxuriösen Mahlzeiten, Bartos nimmt sich der Buchhaltung und des Privatzoos an, er chauffiert zudem die Herrschaften. Zum Zwecke eines mutmaßlich wertsteigernden Ausbaus der Villa besorgt er zudem eine größere Gruppe osteuropäischer Wanderarbeiter. Diese Subsklaven sollen einen Pool mit Terrassendeck und kleinem Thermalbad bauen, nachts lagern sie unter Entbehrung jeglichen Komforts auf dem großzügigen Grundstück.

Evelyn widerstrebt bereits die Illegalität des Unternehmens – das Verbot der Sklaverei gilt als zwingender Rechtsgrundsatz im Völkerrecht aller Staaten der Erde, weiß die Juristin –, sie wähnt sich zudem bald an einem menschlichen Abgrund: Die flotte Etikettierung „Subs“, sie könnte man ebensogut als „subhumans“ lesen, als „Untermenschen“ also, und damit wäre man Nutznießer barbarischer Zustände – eine klare Grenzüberschreitung.

Durch diese Erkenntnis sowie die Befürchtung, daß Lana es in erotischer Hinsicht auf Claus abgesehen habe (nicht, daß die beiden außerehelichen Eskapaden grundsätzlich intolerant gegenüberstünden!), beginnt die Entzweiung des Paars. Denn Claus folgt stur den beredten Theorien seines rätselhaften Sklaven Bartos: „Ich für meinen Teil empfinde nichts Erniedrigendes dabei, mich offen einen Sklaven zu nennen. Den alten Römern galten Sklaven als bewegliche Waren. Wir würden sie heute wohl dem Maschinenpark zurechnen, den teuren Dingen also, die gut gepflegt werden müssen. Wer jemals im Prekariat dieser Republik für einen Euro am Tag vor sich hin krampfen mußte, wird sich nichts sehnlicher wünschen.“ Gegenüber der existierenden „demokratisch abgesicherten“ Würdelosigkeit, in der Arbeitslose heute lebten, sei die Integration dieses Subproletariats in Herrenhäuser ein klarer Fortschritt – und eine ehrliche Maßnahme.

Die zweite Hälfte des Romans ist vom wortspielverliebten Autor „Dekadance“ überschrieben und wird durch ein Zitat von Ernst Jünger eingeleitet: „Die Sklaverei läßt sich bedeutend steigern, indem man ihr den Anschein von Freiheit gewährt.“ Die Handlung spielt nun zu großen Teilen in Monaco. Dorthin ist Claus zu einem Chirurgie-Kongreß gereist – mit Lana im Schlepptau. Was bis hierhin in Form einer hochtourigen Realsatire geschildert wurde, gerät nun zur aberwitzigen Groteske. Unterm Strich haben wir am Ende Alkoholleichen, eine Wasserleiche, ein Alligatorenopfer und einen Halbtoten. Allein: Totgesagte leben länger. Dies ist das Paradigma und Motto, das über der ganzen Geschichte steht. Die Sklaverei ist tot – lang lebe die Sklaverei!

Thor Kunkel, Jahrgang 1963, ist zu sehr hellwacher und, ja, engagierter Beobachter seiner urbanen Mitwelt und zu wenig Dichter sui generis, als daß er hier ein literarisches Meisterwerk liefern würde. Wie er theoretische Steilvorlagen zugunsten eines offenen Sklavenstaats dem stilsicheren Sklaven Bartos in den Mund legt, wie er die Testosterongetriebenheit mittelalter Männer (Hormonsklaven!), die Banalität durchtriebener Weibchen (Konsumsklaven!), die Dominanz unterhaltungssüchtiger „Sklavenseelen“ und die Verlogenheit öffentlicher Rede in Worte faßt und dies alles bildhaft unterlegt: das changiert durchgehend zwischen Brillanz und Verstiegenheit.

Kunkels neuer Roman ist ein tobwütiges Pamphlet, schillernd zwischen Polit-Essay und gleichsam gebrauchsfertiger Drehbuchvorlage. Dieser Film, das jedenfalls ist klar, wäre ein Kassenschlager.

Thor Kunkel: Subs. Roman. Heyne, München 2011, gebunden, 448 Seiten,19,99 Euro

Foto: „Sklavin gesucht!“: „Möchten Sie zu klassischer Musik bügeln, kleine Botengänge erledigen und danach in der hauseigenen Sauna entspannen?“

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