© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Gezielte Angriffe gegen einen Standhaften
Vatikanisten blicken hinter die Kulissen der Kritiker am Pontifi kat von Papst Benedikt XVI.
Georg Alois Oblinger

Es scheint, als hätte Kardinal Joseph Ratzinger geahnt, was ihn als Papst Benedikt XVI. erwarten wird. In seiner Einführungsmesse am 24. April 2005 rief er den Gläubigen zu: „Betet für mich, daß ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe.“ Tatsächlich konnte auch der kurzfristige „Wir sind Papst“-Jubel nicht darüber hinwegtäuschen, daß der seit langem als konservativer Hardliner apostrophierte Joseph Ratzinger auf dem Stuhl Petri vielen ein Dorn im Auge ist und daß verbale Attacken nicht ausbleiben würden. Schon zu Beginn des Pontifikates versuchten einige Journalisten seine erzwungene Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend stimmungsmäßig auszuschlachten. Andere spielten auf Zeit. Nach dem langen Pontifikat Johannes Pauls II., dem zweitlängsten Pontifikat in der Geschichte, käme ein kurzes Übergangspontifikat ohne große Ereignisse, das man einfach aussitzen müsse. Immerhin war der neue Papst bei seiner Amtsübernahme schon 78 Jahre alt.

Doch dann zeigte sich sehr bald, daß man Benedikt XVI. nicht unterschätzen darf und daß er gezielt wichtige Weichenstellungen vornahm. Seit Herbst 2006 dominiert nun die negative Berichterstattung über diesen Papst. Es scheint, als tappe er von einem Fettnäppchen ins nächste. Kaum ist ein Thema aus den Medien wieder heraus, folgt schon das nächste. Das Urteil, das vermittelt werden soll, lautet: Dieser Papst ist rückständig, peinlich und eine Fehlbesetzung.

Bemerkenswerterweise begannen die Negativ-Schlagzeilen beim Besuch des Papstes in seiner Heimat. Am 12. September 2006 hielt der Papst an der Universität von Regensburg eine Rede vor Vertretern der Wissenschaft. Er sprach über das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Dabei gebrauchte er ein Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologos aus dem 14. Jahrhundert, in dem dieser sich sehr negativ über den Islam äußerte. Sofort wurde das aus dem Kontext gerissene Zitat weltweit über die Medien verbreitet und behauptet, der Papst hätte die Muslime beleidigt. Mit dem Inhalt der päpstlichen Rede beschäftigten sich nur wenige, das politisch unkorrekte Zitat genügte den meisten, um den Papst massiv anzugreifen. Nur mit großer Mühe konnte der Vatikan die Gemüter beruhigen.

Schon bald folgten die nächsten Pannen, die das negative Image des Papstes zementieren sollten. Diesmal waren es zwei unglückliche Bischofsernennungen. Anfang Dezember 2006 gab der Vatikan die Ernennung von Stanislaw Wielgus zum Erzbischof von Warschau bekannt. Durch die Medien wurde Wiel-gus beschuldigt, als Stasi-Spitzel tätig gewesen zu sein. Der Vorwurf bestätigte sich. Nicht einmal drei Tage im Amt und wenige Stunden vor der geplanten feierlichen Einführung wurde der Rücktritt von Wielgus angenommen. Etwas anders gelagert war der Fall Gerhard Wagner, der als Weihbischof für die sehr progressiv ausgerichtete Diözese Linz ernannt wurde. Zahlreiche Pfarrer der Diözese warfen Wagner vor, er sei zu konservativ und könne nicht als Weihbischof akzeptiert werden. Massiver Druck durch die Medien folgte. Auf Bitten Wagners dispensierte ihn der Vatikan davon, das bischöfliche Amt antreten zu müssen.

Im Jahr 2007 folgte die vom Papst ausgesprochene Wiederzulassung der alten Messe, welche das progressive Lager in der katholischen Kirche nun vollends mobilisierte. Im Januar 2009 hat der Papst dann die Exkommunikation der vier von Erzbischof Lefebvre geweihten Bischöfe aufgehoben. Am Tag vor der Bekanntgabe dieses Gnadenaktes wurde vom Magazin Der Spiegel über ein Interview des Bischofs Williamson mit einem schwedischen Fernsehsender berichtet, in dem der Bischof den Holocaust leugnete. Der Medienskandal war perfekt: Papst Benedikt XVI. rehabilitiert einen Holocaust-Leugner.

Als schließlich der Papst im Oktober 2009 den unzufriedenen konservativen Anglikanern das Angebot machte, durch die Errichtung eigener Personalordinariate einen Übertritt in die katholische Kirche zu erleichtern, war es für die Progressiven sonnenklar: Benedikt XVI. fischt am rechten Rand, zunächst bei der Piusbruderschaft und jetzt bei jenen Anglikanern, welche die Frauenordination und die Zulassung praktizierender Homosexueller zum geistlichen Amt ablehnen.

Der Gipfel des medialen Angriffes gegen Benedikt XVI. wurde schließlich durch den Pädophilie-Skandal erreicht, der von Amerika ausgehend über Irland auch Deutschland erreichte und über Monate hinweg das innerkirchliche Klima bestimmte. Ausgerechnet Papst Ratzinger, der schon als Kardinal für eine Null-Toleranz-Richtlinie plädierte und gegenüber seinem Vorgänger die Vorgehensweise gegenüber Mißbrauchstätern verschärfte, wurde jetzt der Vertuschung beschuldigt und von den Medien wiederholt in Zusammenhang mit Mißbrauchsfällen gebracht – auch durch deren Anschuldigungen an seinen Bruder, der lange Zeit die Regensburger Domspatzen leitete.

Wie sind die Angriffe gegen den Papst erklärbar? Ist hier ein Komplott kirchenfeindlicher Kräfte im Gange? Zwei bekannte Vatikanisten, Paolo Rodari und Andrea Tornielli, haben eine umfangreiche Recherche betrieben. Um es vorwegzunehmen: Sie lassen die Antwort offen, bieten aber eine Fülle von Quellenmaterial, Aussagen von Journalisten und Mitarbeitern des Vatikan, damit der Leser sich selbst ein Urteil bilden kann. Dieser Papst ist verschiedenen gesellschaftlichen Kräften ein Dorn im Auge, aber ebenso progressiven Kräften innerhalb der Kirche. Doch darf die Rede vom Komplott nicht leichtfertig als Ausrede dienen. Auch in der vatikanischen Medienpolitik wurden Fehler gemacht. Auf das moderne Medienzeitalter ist man noch zu wenig eingestellt. Denn durch die einseitige Fixierung auf sogenannte Skandale bleiben wichtige Botschaften dieses Papstes unbeachtet.

Paolo Rodari, Andrea Tornielli: Der Papst im Gegenwind. Fe-Medienverlag, Kisslegg 2011, gebunden, 416 Seiten, 14,80 Euro

Foto: Benedikt XVI. während des Weltjugendtages, Madrid am 19. August 2011: Gezielte Versuche, ein negatives Image des Papstes zu zementieren

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