© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Ablaßhandel gegen Klimawandel
Die fatalen Folgen des „falschen Marktglaubens“ in der Umweltpolitik / Durchrationalisierte Monokulturen
Christoph Keller

Der Markt wird’s schon richten. Mit dieser optimistischen Parole des vor allem von angelsächsischen Denkfabriken propagierten „grünen Kapitalismus“ scheint die Menschheit den drohenden ökologischen Verwerfungen ihrer globalen Zukunft trotzen zu können. Vielleicht ein verhängnisvoller Irrtum – wie Fallbeispiele aus dem dem Zusammenspiel von Ökologie und Ökonomie gewidmeten Schwerpunktheft der linksliberalen Kritischen Justiz (KJ, Heft 2/11) nahelegen. Die Autoren widmen sich dem „Bewirtschaftungsregime“, das sich in der internationalen Politik bei der Bewältigung des Klimawandels abzeichnet, sie registrieren Fehlentwicklungen beim Emissionshandel, sehen die landwirtschaftliche Gentechnik auf falschem Kurs, wollen ein „Chaos der Energiepolitik“ wahrnehmen, das auf dem Wohnungsmarkt beim Eintritt ins regenerative Zeitalter erkennbar sei, zeigen sich besorgt über den Konflikt zwischen Nahrungs- und Biosprit-Produktion und thematisieren die neuerliche Debatte über die Forderung nach einer Entstaatlichung der deutschen Wasserwirtschaft, die sich „neoliberalen“ Begehrlichkeiten bislang entzogen hat.

Wie bei der ideologischen Ausrichtung der KJ-Redaktion nicht anders zu erwarten, vertreten die Verfasser durchgehend sozialdemokratische und grüne Positionen. Zwei Beiträger, der auf das internationale Management des Klimawandels spezialisierte Achim Brunnengräber (Uni Bremen/TU Dresden) und der Bielefelder Staatsrechtler Andreas Fisahn, der sich die Verteidigung der Demokratie gegen „die Märkte“ auf die Fahne schreibt, beraten das globalisierungskritische Attac-Netzwerk.

Ungeachtet dessen geben sich Brunnengräber und Fisahn ebenso wie ihre Mitstreiter, die Juristen Gerd Winter, Peter Derleder, Marcel Raschke, Steffen Kommer und die Kasseler Umweltrechtlerin Silke Ruth Laskowski, selbstredend davon überzeugt, daß der Nationalstaat mit dem Klimawandel, seinen revolutionären Folgen und dem „Ende der Welt, wie wir sie kannten“ (Claus Leggewie), überfordert ist.

Was freilich niemand von ihnen daran hindert, mit den bescheidenen Leistungen einer als Reaktion auf ökologisch induzierte „Sachzwänge“ organisierten supranationalen Krisenbewältigung scharf ins Gericht zu gehen. Dabei lesen sich, wohl unbeabsichtigt, ihre kritischen Interventionen wie eine Warnung vor der „Weltregierung“ („Global Governance“) im allgemeinen, einer in Brüssel zentrierten Umwelt-Diktatur im besonderen.

Am wildesten schlagen Fisahn und Raschke in ihrer Bilanz der „marktgesteuerten Umweltpolitik“ drein, als deren Kernstück Uno und EU den Emissionshandel etabliert haben. Nach diesem Rezept will die EU bis 2012 die Treib­hausgasemission um acht Prozent gegenüber 1990 senken. Am meisten müssen mit einem Fünftel die Deutschen beitragen. Dieser einem „falschen Marktglauben“ huldigende „Ablaßhandel gegen Klimawandel“ (Elmar Altvater) berücksichtige indes nur wenige Treibhausgase (CO2, N2O, perfluorierte Kohlenwasserstoffe) und falle hinter das Kyoto-Protokoll zurück. Zudem halten die beiden Kritiker den Kreis der betroffenen Anlagen für zu eng, obwohl die EU mit der Einbeziehung von Petrochemie und Chemie als auch des Luftverkehrs inzwischen nachgebessert hat.

Keine meßbaren Effekte beim Kohlendioxid-Ausstoß

Solche Korrekturen ändern für sie jedoch nichts an der Hauptcrux, daß der Handel mit Emissionsrechten zwar dazu führt, daß viele Marktteilnehmer ihre Berechtigungen nicht ausschöpfen, der Weiterverkauf aber verhindert, daß insgesamt weniger Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Tatsächlich hat diese bloße Verlagerung von Emissionen, bei der sich die Interessen der Wirtschaft „vollständig“ durchsetzten, bis heute „keine meßbaren Effekte“ beim CO2-Ausstoß gehabt, so daß auch das Umweltbundesamt einräumte, ökologisch wirke sich das Handelssystem vorerst „noch begrenzt“ aus.

Ähnlich desaströse Folgen einer marktradikalen Klimapolitik präsentiert Steffen Kommers Untersuchung über „Agroenergie und das Recht auf Nahrung“. Da Biomasse sich als nachwachsender Rohstoff empfiehlt, opfert etwa Brasilien riesige Natur- und Kulturräume, um Zuckerrohrfelder für seine Äthanolproduktion zu erschließen. Das geht zu Lasten der kleinbäuerlichen Lebensmittelerzeugung. Dieser Konflikt „Nahrung versus Treibstoff“ gefährde mittelfristig die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung, ohne das Klima zu verbessern.

Der Weltagrarbericht, darauf macht Gerd Winter aufmerksam, habe bereits 2008 das Konzept der industriellen Landwirtschaft für gescheitert erklärt. Für „durchrationalisierte Monokulturen“ werde ein zu hoher ökologischer Preis gezahlt, den weder der Biomasse- noch der Genpflanzenanbau wert sei. Deshalb müsse über eine Rückkehr zur nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft wie über eine strengere Umweltrisikoprüfung gegen die Profit­interessen von Saatgutindustrie und Intensivlandwirtschaft nachgedacht werden.

Von Winters Plädoyer für die staatliche Hegung gentechnologischer Marktmacht ist es dann nicht mehr weit zu dem krassen, fast bismarckischen Etatismus der Umweltrechtlerin Laskowski, die die „Mehr-Wettbewerb“-Agitation in der öffentlichen Wasserversorgung mit dem Fiasko der Weltbank-Experten in den neunziger Jahren konfrontiert, die die Privatisierung des Wassersektors in den Entwicklungsländern initiierten. Wo es um Umwelt- und Gesundheitsschutz gehe, gebe es für Staat und Kommunen eine Letztverantwortung und für Apostel des „freien“ Marktes ultimative „Grenzen der Privatisierung“.

 

Emissionsrechtehandel

Mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 haben sich die unterzeichnenden Industrieländer verpflichtet, von 2008 bis 2012 ihre sogenannten Treibhausgas­emissionen gegenüber 1990 um durchschnittlich 5,2 Prozent zu reduzieren. Die 15 damaligen EU-Staaten haben sogar zugesagt, ihren CO2-Ausstoß um acht Prozent zu verringern. In der EU wurde dafür der CO2-Emissionshandel eingeführt (Richtlinie 2003/87/EG). In Deutschland trat 2004 das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) in Kraft. Die Emissionen TEHG-pflichtiger Anlagen werden dabei auf eine Gesamtmenge (Cap) begrenzt. Wer die Luft mit TEHG-Gasen belastet, benötigt Rechte. Beim Emissionshandel geht es darum, für Rechte zum Ausstoß von Schadstoffen einen künstlichen Preis in einem regulierten Markt festzulegen und so einen Anreiz zu schaffen, Berechtigungen nicht voll auszunutzen, um nicht verwertete Ansprüche mit Gewinn verkaufen zu können.

Informationen des Bundesumweltministeriums zum Emissionsrechtehandel: www.bmu.de

Foto: Emissionszertifikate im Sonderangebot: In Deutschland nahmen im vergangenen Jahr die Betreiber von 1.665 Energie- und Industrieanlagen am EU-verordneten Emissionshandel teil

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