© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Der Flaneur
Feierlich eingeschult
Ellen Kositza

Festliche Kleidung erbeten. Als eine der wenigen hält diese Schule noch auf alte Sitten. Das schätzen die Eltern. Gewohnt ist man derlei nicht mehr, aber schön ist es doch: einmal in Würde zu machen, den Alltag zum Festtag erheben.

Zur Einschulung der neuen Schüler singt der Schulchor. Klassische Stücke, auch geistliches Liedgut. Das Niveau ist beachtlich, die Akustik der mittelalterlichen Kirche berauschend. Mütter und Väter, mancher sichtbar ungeübt im Tragen von Kleid oder Anzug, straffen ihre Haltung. Vor Stolz gerötete Gesichter, als die Neuaufgenommenen in langer Reihe vom Portal her nach vorne Schreiten. Großeltern zücken Taschentücher.

Der Rektor spricht wohlabgewogene Worte, eine Abiturientin äußert Besinnliches. Es sei eine Ehre, diese Schule besuchen zu dürfen. Mancher Gast nickt still und ernsten Gesichtes. Dann wird der Toten des vergangenen Jahres gedacht, jener, die vor Jahrzehnten hier zu den Absolventen zählten.

Man erhebt sich. Jüngere Geschwister stellen ihr Zappeln ein, ohne daß es einer Ermahnung bedurfte. Ein Vater beugt sich zum Ohr der Frau neben ihm, die schaut ihn unwillig an, Zeigefinger vor die Lippen. Zum Abschluß eine Kantate von Mendelssohn-Bartholdy.

Der letzte Ton erreicht gerade das Deckengewölbe, da geht er über – in die Erkennungsmelodie einer populären US-Fernsehserie. Ein paar Leute lachen leise, das Telefon wird schnell von einem verlegenen Schüler abgestellt, da hat das befreiende Lachen schon um sich gegriffen, einige Momente nur.

Ende der Anspannung, die Welt ist wieder am Ort. Der Applaus, der vorher zwischen den Stücken ausblieb, setzt nun ein. Man dehnt sich, einer gähnt ohne Scheu und vorgehaltener Hand. Der Bann ist gebrochen.

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