© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

„Ein glatter Bruch der Verträge“
Er führt den Kampf gegen den Euro und gefährdet die Kanzlermehrheit Angela Merkels. Klaus-Peter Willsch gilt als Kopf des Widerstands gegen den Euro-Rettungsschirm, über den der Bundestag am 29. September abstimmt.
Moritz Schwarz

Herr Willsch, warum wollen Sie Krieg in Europa?

Willsch: Ich kenne keinen, der Krieg in Europa will.

Aber das ist die Konsequenz der von Ihnen im Bundestag geführten Fronde gegen den Euro-Rettungsmechanismus – wenn man manchem Ihrer Kritiker glaubt.

Willsch: Das ist doch Unfug. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß es nichts nützt, ökonomische Fragen derart politisch-moralisch aufzuladen. Was ökonomisch falsch ist, kann nicht politisch richtig sein.

Frau Merkel sagt: „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa.“

Willsch: Es geht hier nicht um ein Scheitern Europas, sondern um den richtigen Zuschnitt unseres gemeinsamen Währungsraumes.

Warum sagt Frau Merkel dann so etwas?

Willsch: Lassen Sie mich die Sachlage klarstellen: Die Euro-Gruppe umfaßt mit dem Beitritt Estlands seit Jahresbeginn 17 Länder, bis Jahresende waren es 16. Insgesamt sind wir aber 27 in der EU, mit Kroatien bald 28. Falls Griechenland ausscheiden sollte, sind halt wieder nur noch 16 im Euro – das ändert doch nichts an der EU.

Die „Bild“-Zeitung hat Sie zu Merkels „Euro-Rebell“ ernannt. Was hat Sie bewogen, sich zunächst fast allein gegen die eigene Fraktion zu stellen?

Willsch: Als die Griechenland-Krise 2010 begann, plädierte ich dafür, daß wir die Stabilitätskriterien von Maastricht hochhalten und ansonsten auf das bewährte Krisen-Management des IWF vertrauen sollten. Doch dann mußte ich ... nun, sagen wir ... einigermaßen erschüttert mit ansehen, wie Anfang Mai die Staats- und Regierungschefs über Nacht das Bail-Out-Verbot abgeschafft haben – ein glatter Bruch der Europäischen Verträge! Das hätte ich mir vorher nicht vorstellen können.

Warum nicht?

Willsch: Ich bitte Sie, das bedeutet nicht weniger, als während des Spiels die Regeln zu ändern.

Euro-Kritiker sprachen gar von „Putsch“.

Willsch: Es war ein klarer Bruch dessen, was wir bei Einführung des Euro versprochen haben: Daß jedes Mitglied selbst für seine Schulden verantwortlich ist.

Die jetzige Abkehr davon läuft doch darauf hinaus, Souveränitätsrechte an Brüssel abzugeben. Also doch ein Putsch?

Willsch: Ich würde sagen: Ein grober Bruch einer Zusage an die Bürger.

Zu Beginn waren es sechs Rettungsschirm-Gegner in der Fraktion. Warum sind ausgerechnet Sie zur Führungsfigur geworden?

Willsch: Das kann ich Ihnen auch nicht erklären.

Warum nicht Peter Gauweiler – der klagte ja sogar gegen den Rettungsschirm?

Willsch: Peter Gauweiler ist Jurist, ich Ökonom. So kämpft jeder auf seinem Feld. Im übrigen: „Führungsfigur“ lediglich in dem Sinne, daß ich, aus welchen Gründen auch immer, offenbar besondere Aufmerksamkeit in den Medien genieße. Es ist nicht so, daß ich der Anführer einer festen Gruppe wäre.

Wie meinen Sie das?

Willsch: Es gibt keine Gruppe.

Wieso? Inzwischen verweigern 19 Abgeordnete Ihrer Fraktion der Kanzlerin in Sachen Rettungsschirm die Gefolgschaft.

Willsch: Richtig ist, daß bei einer Probeabstimmung Anfang September neben mir elf weitere Kollegen gegen die Aufblähung und Kompetenzerweiterung des Rettungsschirms gestimmt, und noch einmal sieben durch Enthaltung ihre Nichtzustimmung deutlich gemacht haben. Aber das ist deshalb noch keine feste Gruppe.

Der „Spiegel“ schreibt: „Die Euro-Gegner sind eine verschworene Gemeinschaft ... die sich im vierten Stock des Paul-Löbe-Haus (trifft) …. Gastgeber sind Frank Schäffler und Klaus-Peter Willsch.“

Willsch: Wir sind keine verschworene Gemeinschaft. Frank Schäffler, der Wortführer der Rettungsschirmkritiker in der FDP-Fraktion, und ich haben es ganz einfach als Nachteil empfunden, daß wir als Abgeordnete in so schwierigen Fragen auf jeglichen ökonomischen Ratschlag von außen verzichtet haben. Wenn das von den Fraktionen nicht organisiert wird, dann machen wir das eben selbst. Dazu haben wir alle Mitglieder der Fraktionen von Union und FDP eingeladen. Angela Merkel, Volker Kauder, Wolfgang Schäuble ... sie alle haben eine Einladung bekommen. Das hat also gar nichts von einer „verschworenen Gemeinschaft“.

Versucht die Kanzlerin, Sie noch umzustimmen?

Willsch: Nein, man hat meine Stimme wohl verloren gegeben. Da wird gelegentlich gefrotzelt, das war’s.

Im Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“ haben Sie gesagt, daß Sie keineswegs nur abwarten, wer zu Ihnen kommt, sondern aktiv „versuchen, die Zahl der Gegner in der Union zu mehren“. Was tun Sie dafür konkret?

Willsch: Ich rede mit Kollegen.

Ist das alles?

Willsch: Ich bin ja nicht auf einem Kreuzzug.

Warum fordern Sie nicht eine Mitgliederbefragung wie sie Frank Schäffler jetzt in der FDP initiert hat?

Willsch: Das prüfe ich derzeit noch. Aber bei der Union ist das nicht so einfach umsetzbar wie bei der FDP. Dafür braucht man ein Drittel der CDU-Landesverbände und eine absolute Mehrheit im Bundesvorstand. Das sehe ich noch in weiter Ferne.

Verärgert es die Kanzlerin nicht, daß Sie versuchen, ihr die Unterstützer abspenstig zu machen?

Willsch: Unser Verhältnis ist ganz normal. Es ist doch legitim, wenn man versucht, für seine Überzeugungen Unterstützung zu finden.

Wenn es um die Macht geht, kennen Regierungen eigentlich kein Pardon.

Willsch: Nochmal: Ich bin kein Anführer eines Aufstandes, sondern jemand, der vom ersten Tag an beim Thema Euro entschieden und klar vorgetragen hat.

Sie sind in der Unterzahl und müßten sich daher um so effektiver organisieren, wenn Sie in Zukunft etwas erreichen wollen. Warum versuchen Sie und Herr Schäffler also nicht, die Abweichler zu einer festen Gruppe zu formieren, um so mehr Schlag- und Durchsetzungskraft zu gewinnen?

Willsch: Es sind ja nicht alle Kollegen mit dem gleichen Engagement dabei. Den einen erfüllt mit größerer Sorge, wenn trotz allem am Ende durch ihn keine Kanzlermehrheit zustande kommen sollte. Der andere will, obwohl in der Sache meiner Meinung, deshalb dennoch nicht das Mehrheitsprinzip in der Fraktion in Frage stellen. Also, es gibt ganz unterschiedliche persönliche Dispositionen.

Umschreiben Sie da nicht lediglich höflich, daß einige Ihrer Kollegen Ärger mit der Kanzlerin mehr fürchten als das eigene Gewissen?

Willsch: Ach was, nein. Sie müssen mal verstehen: Die ganze Dramatik des Euro-Problems sehen wir so klar vor Augen. Aber Sie dürfen nicht davon ausgehen, daß das automatisch bei anderen auch so ist. Währungspolitik ist kein Thema, von dem jeder von Haus aus etwas versteht. Nach einer Umfrage des Deutschlandtrends können sich rund 27 Prozent der Bevölkerung „gut“ oder „in etwa“ vorstellen, was da eigentlich genau vor sich geht. Und das ist im Bundestag nicht viel anders. Politiker sind spezialisiert und nur eine Minderheit zählt Währungs- und Finanzpolitik zu ihrem Fachgebiet.

Dem „Schwarzwälder Boten“ haben Sie gesagt, daß Sie dennoch mit dreißig bis vierzig Gegenstimmen aus der Fraktion rechnen. Schließlich waren es bei der Test-abstimmung nur 19. Sind sie enttäuscht?

Willsch: Nein. Natürlich habe ich mir mehr gewünscht, aber es hat auch so genug Staub aufgewirbelt.

„Euro-Rebellen blamieren ihre Kanzlerin“ titelte die „Hamburger Morgenpost“.

Willsch: Die Kanzlermehrheit, die bei 19 Stimmen liegt, wurde nicht erreicht, und das war es, was so viel Aufmerksamkeit erregt hat. Nicht ob es nun ein paar Stimmen mehr oder weniger waren. Aber genau das ist es ja auch, was den einen oder anderen, der eigentlich zu uns neigt, bewogen hat, doch für den Rettungsschirm zu stimmen. Motto: „Da wird mit zu hohem Einsatz gespielt!“

Wie hoch schätzen Sie in der Fraktion die Dunkelziffer derer, die eigentlich Ihres Sinnes sind, sich aber nicht trauen, entsprechend abzustimmen?

Willsch: Ich gehe davon aus, daß vierzig bis fünfzig Kollegen erhebliche Bauchschmerzen haben.

Sie sagen: „Ich bin nicht Anführer eines Aufstandes“. Aber sollten Sie das vielleicht sein?

Willsch: Nein. Warum?

Weil, wenn Sie die Politik der Führung – die Sie ja für verhängnisvoll halten – nicht verhindern können, ein Auswechseln der Führung der nächste logische Schritt ist. Abwahl und Neuwahl sind legitime Mittel in demokratischen Parlamenten.

Willsch: Wissen Sie was: Ich lade Sie herzlich ein: Treten Sie der CDU bei und machen Sie das.

Sie haben mit Ihren 19 Mann doch schon genug zusammen, um eine Sperrminorität zu bilden. Sie werden nur ausmanövriert, weil Ihre eigene Regierung gegen Sie mit der Opposition paktiert. Kein Grund, eine alternative Regierung anzustreben?

Willsch: Sie reden, als sei ich ein Heerführer – ich bin aber Abgeordneter des Deutschen Bundestages und als solcher werbe ich für meine Positionen.

Ihr FDP-Kollege Frank Schäffler sagt: „Die große Linie kann man als Abgeordneter nur verändern, wenn man frontal rangeht.“

Willsch: Ich sehe durchaus ermutigende Zeichen. Auch im vorpolitischen Raum: Der Bund der Familienunternehmer etwa argumentiert inzwischen auch gegen das Konzept, Schulden mit noch mehr Schulden zu bekämpfen. Ebenso die Vereinigung der Unternehmerverbände in Hessen, das Bundesland aus dem ich komme.

Herr Schäffler erklärt offen, er sei bereit, für sein Ziel notfalls den Sturz der Regierung zu riskieren. Sind Sie das auch?

Willsch: Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, daß es je so weit kommen könnte, weil es im Parlament eine breite Mehrheit dafür gibt. Und ich bin auch sicher, daß es für die Koalition folgenlos ist, wenn sie die Kanzlermehrheit verfehlt. Für mich ist jedenfalls nicht erkennbar, warum das zum Ende der Regierung führen sollte.

Vize-FDP-Chef Holger Zastrow droht bereits mit dem Bruch der Koalition und für die „Augsburger Allgemeine“ liegt „das Ende förmlich in der Luft“.

Willsch: Nein, das sehe ich anders.

Euro-Kritiker Hans-Olaf Henkel spricht bereits öffentlich von der Notwendigkeit einer „neuen bürgerlichen Partei“ in Deutschland. Viele Wähler würden eine solche unter Ihrer und Herrn Schäfflers Führung zweifellos begrüßen.

Willsch: Ich bin Abgeordneter der CDU und bleibe das auch.

Da Sie genau wissen, daß Sie sich in der Union nicht durchsetzen werden, heißt das im Klartext: Sie tragen letztlich eine Politik mit, die Sie für verhängnisvoll halten.

Willsch: Moment mal, gerade durch das Urteil aus Karlsruhe sind wir nun zumindest in der Situation, daß das Parlament das Ganze noch stoppen könnte. Das ist schon mal ein wichtiger Teilerfolg!

Nein, weil keine der Parteien im Parlament von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird.

Willsch: Das ist ja eben das, was ich ändern will. Denn wenn der Bundestag am 29. September dem erweiterten Rettungsschirm zustimmen sollte, wächst das Garantievolumen auf 211 Milliarden Euro, also mehr als zwei Drittel eines Bundeshaushaltes! Ökonomisch ist es so, daß wir mit dem Rettungsschirm eine zusätzliche Verschuldungsmöglichkeit für Staaten schaffen, die sowieso schon übermäßig verschuldet sind. Und die Erfahrung lehrt, daß diese immer bis zum Anschlag ausgeschöpft werden.

Letztlich geht es gar nicht nur um die Gefahr eines Schulden-Kollapses, sondern wegen des dann nötigen Souveränitätstransfers um die Abschaffung des Nationalstaates.

Willsch: Ich kann mir auch andere Formen vorstellen. Es gibt Möglichkeiten, in supranationalen Geflechten zusammenzuarbeiten, wie etwa wir in der Nato oder der EU. Den Nationalstaat abzuschaffen ist auf Grundlage der bestehenden Verträge gar nicht möglich, und ich kenne auch niemanden, der das fordert.

Die deutsche Diskussion habe, stellt „Le Figaro“ fest, inzwischen einen anderen Ton angenommen: Es „erheben sich immer mehr Stimmen“ für eine „verstärkte Integration“ , die „die einzig wirkliche Lösung der Schuldenkrise ist.“ Und die „Süddeutsche Zeitung“ findet, daß „mehr Europa nötig ist“, wofür es endlich „eine Verfassungsgrundlage braucht“. Das sind doch deutliche Worte.

Willsch: Sicher liegt das Thema Souveränitätstransfer auf dem Tisch. Zum Beispiel, was die Griechen angeht. Und Sie haben sicherlich insofern recht, als man sich schwer vorstellen kann, daß am Ende die einen, etwa die Griechen, gezwungen werden, Souveränität abzutreten, die anderen aber beharren: „Bei uns nicht!“ Insofern muß man das in der Tat immer mitbedenken.

Also bitte, dann liegt die Abschaffung Deutschlands als Nationalstaat früher oder später doch in der Logik der Transferunion?

Willsch: Und in der Logik eines Interviews, lieber Herr Schwarz, liegt es, daß Sie die Fragen stellen und ich die Antworten gebe – und wenn Ihnen das nicht gefällt, sollten wir es sein lassen.

 

Klaus-Peter Willsch Der Haushaltsexperte führt die Fronde gegen den erweiterten Euro-Rettungsschirm „European Financial Stability Facility“ (EFSF) sowie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in der CDU/CSU-Fraktion. Der Vize-Vorsitzende der hessischen Landesgruppe und Beisitzer im Vorstand der Bundestagsfraktion ist auch Mitglied im Landesvorstand der Hessen-CDU. Geboren wurde der Volkswirt und Herausgeber des Rheingau-Taunus Monatsanzeigers 1961 in Bad Schwalbach/Hessen.

Bei einer Testabstimmung am 5. September votierten 25 Abgeordnete der Regierungsfraktionen gegen den erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF: 19 von CDU/CSU (zwölf dagegen, sieben Enthaltungen) und sechs der FDP (zwei dagegen, vier Enthaltungen). Die Mehrheit der Regierung, die sogenannte „Kanzlermehrheit“, beträgt 19 Stimmen. Am 29. September stimmt der Bundestag endgültig über den EFSF ab. Die Abstimmung über den ESM wurde von Dezember auf Anfang 2012 verschoben.

www.klaus-peter-willsch.de

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen