© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

„Rainer Brüderle wäre der bessere Vorsitzende gewesen“
FDP: Der Berliner Abgeordnete Kai Gersch über das Debakel seiner Partei bei der Wahl in der Hauptstadt, die Kritik am Euro-Kurs und die neue Führungsspitze
Marcus Schmidt

Nach der Wahlniederlage der FDP in Berlin ist eine Debatte über den Kurs der Partei entbrannt. Die stellvertretende FDP-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnte davor, auf eine Anti-Euro-Stimmung zu setzen. „Es waren FDP-Außenminister, die die Europäische Union und den Euro geschaffen haben – dieses Erbe setzen wir nicht aufs Spiel“, sagte sie der Rheinischen Post.

Sie reagierte damit auch auf Plakate der Berliner FDP, die im Wahlkampf-endspurt Euro-kritische Plakate geklebt hatte. Indirekt zielte Leutheusser-Schnarrenberger mit ihrer Aussage auch auf Parteichef Philipp Rösler, der in der vergangenen Woche in der Debatte um die Euro-Rettung eine Insolvenz Griechenlands ins Gespräch gebracht hatte.

Unterdessen haben die Euro-Rebellen um den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler rund zwei Drittel der notwendigen 3.400 Unterschriften für ihren Antrag auf eine Mitgliederbefragung über den Euro-Rettungsmechanismus zusammen. Nach Angaben aus der Partei versucht die Führung hinter den Kulissen fieberhaft, das FDP-interne Referendum doch noch zu stoppen.

Der Berliner FDP-Abgeordnete Kai Gersch versucht unterdessen, die Ursachen für das Wahldesaster seiner Partei zu ergründen.

Herr Gersch, was bedeutet das Wahlergebnis von 1,8 Prozent für Ihre Partei?

Gersch: Das ist ein absolutes Debakel für die FDP. Wir hatten zwar mit einem schlechten Ergebnis gerechnet, aber nicht, daß es so schlimm wird. Der Niedergang ist wirklich rasant, wenn man bedenkt, daß wir bei der Bundestagswahl in Berlin noch 11,5 Prozent hatten. Dieser Absturz ist existenzbedrohend.

Wo sehen Sie die Ursachen für den Einbruch?

Gersch: Das Debakel ist eindeutig hausgemacht. Die FDP hat in den vergangenen zwei Jahren seit der Bundestagswahl so ziemlich alles falsch gemacht. So haben wir etwa unsere Forderungen nach Steuersenkungen und -vereinfachungen nicht durchgesetzt. Der größte Fehler der FDP aber war, daß Hermann Otto Solms nicht Bundesfinanzminister geworden ist. Dafür hätte man auch auf ein oder zwei Ministerien verzichten sollen.

Welchen Anteil an der Niederlage hat die Euro-Krise?

Gersch: Bei vielen Parteimitgliedern wächst der Eindruck, daß alles falsch ist, was da läuft. Dennoch stimmt die Bundespartei einem Euro-Rettungspaket nach dem anderen zu. Das macht viele an der Basis fassungslos.

Allerdings will Parteichef Philipp Rösler nun eine Insolvenz Griechenlands nicht mehr ausschließen, und auch im Berliner Wahlkampf wurde in den letzten Tagen vor der Wahl noch Euro-kritisch plakatiert.

Gersch: Die Euro-Kritik hätte viel früher kommen müssen, um uns im Wahlkampf zu helfen. Ich glaube jedenfalls nicht, daß wir von den Wählern für die Kritik an der Euro-Rettung abgestraft worden sind, wie jetzt vielfach behauptet wird.

Glauben Sie, daß die Parteiführung nun einen Kurswechsel in der Euro-Krise einleiten wird?

Gersch: Entscheidend ist in dieser Frage die Haltung der Bundestagsfraktion. Angesichts des Umfragetiefs können sich derzeit mindestens sechzig FDP-Abgeordnete ausrechnen, daß sie dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören werden. Das könnte einige von ihnen mit Blick auf die anstehenden Abstimmungen über die Euro-Rettungspakete zum Nachdenken bewegen.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die vom Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler angestoßene Mitgliederbefragung?

Gersch: Schäffler, der aus Nordrhein-Westfalen stammt und dort an der Basis großen Rückhalt genießt, hat damit eine interessante Bewegung angestoßen. Der Ausgang ist völlig offen. Jedenfalls wird es der Parteiführung um Rösler nicht gelingen, das Thema so einfach unter den Teppich zu kehren.

Wie bewerten Sie die Leistung der neuen Parteiführung?

Gersch: Meiner Ansicht nach war die Ablösung von Guido Westerwelle als Parteichef richtig. Die Wandlung Westerwelles von der liberalen Lichtgestalt zum absoluten Verlierer ist sinnbildlich für den Niedergang der FDP seit der Bundestagswahl. Aber die neue Führungsriege ist zu jung und unerfahren. Wer möchte sich schon von einem Mittdreißiger wie Philipp Rösler die Welt erklären lassen? Rainer Brüderle wäre als Parteivorsitzender die bessere Wahl gewesen.

In den vergangenen Monaten lag die FDP deutschlandweit ständig unter der Fünf-Prozent-Hürde. Wird es 2013 noch für einen erneuten Einzug in den Bundestag reichen?

Gersch: Ich glaube nicht, daß es der FDP in den verbleibenden zwei Jahren gelingen wird, die verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Sollte die Partei tatsächlich aus dem Bundestag herausfliegen, wäre das aber angesichts der langen Tradition der Liberalen nicht das Ende. Die FDP könnte die Zeit nutzen, um in sich zu gehen und sich daran zu erinnern, daß es in der Politik nicht immer nur um den kleinsten politischen Nenner geht, sondern auch um Grundüberzeugungen.

Und wie geht es jetzt für die Berliner FDP weiter?

Gersch: Jetzt werden die Messer gewetzt und wir werden vermutlich Verhältnisse wie in den neunziger Jahren bekommen, als die Partei in Berlin tief zerstritten war. Sicherlich wird es auch beim Personal Veränderungen geben. Ich fürchte, die Partei wird wieder linker werden und beispielsweise die von mir und anderen eingebrachten Forderungen nach einem härteren Kurs in der Integrationspolitik wieder abräumen.

 

Kai Gersch ist seit 2006 Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus und Sprecher der FDP-Fraktion für Gesundheit, Verbraucherschutz und Integration.

 

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