© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Ein Sieg, der keiner ist
Wahl in Berlin I: Klaus Wowereits fragile Machtbasis
Ronald Berthold

Sehen so Sieger aus? Obwohl vier von fünf Parteien im neuen Berliner Abgeordnetenhaus linksgerichtet sind, kann der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nur unter zwei Optionen für die Regierungsbildung wählen. Und eine davon heißt auch noch CDU, die einzige nichtlinke Formation im Hauptstadt-Parlament.

Dies verdeutlicht, wie schlecht das Ergebnis des allseits hochgejubelten Sozialdemokraten tatsächlich ist. 28,3 Prozent sind wahrlich kein berauschendes Resultat für einen Mann, der sich für wahnsinnig populär hält und der sein alles andere als gutes Ergebnis von 2005 noch einmal um 2,5 Prozent unterbot. Bezieht man die Wahlbeteiligung mit ein, dann sind Wowereit und seine Partei sogar nur von 17 Prozent der Berliner gewählt worden.

Wowereits Koalition wurde zudem am Sonntag abgewählt. Rot-Rot erreichte gemeinsam nur 40 Prozent der Stimmen. Der ungelenke Jubeltanz des „Partymeisters“ Wowereit am Wahl-abend vor laufenden Kameras bedeutete daher entweder einen ungeheuerlichen Realitätsverlust oder den Versuch einer massiven Täuschung der Öffentlichkeit.

Denn das Wahlergebnis macht es Wowereit, der übrigens sein Abgeordnetenmandat verloren hat, wahrlich nicht leichter. Der Möglichkeit einer Koalition mit der CDU steht nur ein Bündnis mit den Grünen gegenüber. Und daß diese nicht zum Nulltarif zu haben sein werden, machte die Spitzenkandidatin Renate Künast schon nach den ersten Hochrechnungen klar. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion gilt als schlechte Verliererin. Daß sie sich nicht sofort wieder in die Bundespolitik zurückzieht, sondern die Sondierungsgespräche leiten möchte, ist eine Kampfansage an Wowereit, mit der sie ihre Eitelkeit pflegen will. Die Frau, die sich vor einigen Monaten aufgrund hoher Umfragewerte schon als kommende Regierende Bürgermeisterin wähnte, wird versuchen, ihre Niederlage bei den Verhandlungen mit den Sozialdemokraten in einen Sieg umzuwandeln.

Aber auch in diesem Zusammenhang muß etwas zurechtgerückt werden: Von einem Wahlsieg für Rot-Grün, der für Berlin ausgerufen wurde, kann nicht wirklich die Rede sein. Denn beide Parteien zusammen erreichen auch nur 45,9 Prozent. Die absolute Mehrheit der Stimmen haben sie deutlich verfehlt. Daß sie regieren könnten, wenn sie denn wollten, verdanken sie allein der Tatsache, daß 10,1 Prozent der Wählerstimmen nicht berücksichtigt werden, weil sie auf Parteien entfielen, die an der Sperrklausel scheiterten. Darunter auch die völlig abgestürzte FDP (siehe Seite 4). Auch das Gerede von der breiten gesellschaftlichen Basis für Rot-Grün kommt deutlich ins Wanken, wenn man denn alle Wahlberechtigten, also auch die Nichtwähler, berücksichtigt. Lediglich 27,6 Prozent der Berliner stimmten für SPD und Grüne. Der ehemaligen Alternativ-Partei mach zudem der Erfolg der Piratenpartei (siehe Seite 6) zu schaffen.

Dennoch deutet vieles darauf hin, daß Rot-Grün in den kommenden fünf Jahren die Geschicke der Hauptstadt bestimmen wird. Die Koalitionsverhandlungen hatten praktisch schon vor der Wahl begonnen, als sich die Grünen zunächst Wowereit an den Hals warfen, um dann zu betonen, daß der Ausbau der Stadtautobahn nach Osten mit ihnen nicht zu machen sein wird. Ohne jegliches Gespür für den demokratischen Prozeß einer Wahl diskutierten die beiden Parteien noch vor dem Urnengang in aller Öffentlichkeit weitere Details eines Koalitionsvertrages. Die von Wowereit ebenfalls angekündigten Sondierungen mit der CDU dürften lediglich die Funktion erfüllen, die Grünen auf Normalmaß zurechtzustutzen. Merkels Berliner Landesverband dient Wowereit also letztlich nur dazu, die Grünen zu domestizieren.

Daß die Union gegen den Bundes-trend zulegen konnte, verdeutlicht die Schwäche der SPD, ist aber dennoch beachtlich. CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel hat Grund zur Freude. Daß er nun allerdings überall umherläuft und behauptet, sein erstes Wahlziel erreicht zu haben, nämlich daß Rot-Rot abgewählt wird, wirkt lächerlich. Denn was nützt es der CDU und ihren Wählern, wenn die Stadt stattdessen von Rot-Grün regiert wird? Im Gegenteil: Die Unionsklientel dürfte – genau wie Wowereit – in einigen Punkten noch der eher pragmatisch ausgerichteten Linkspartei hinterhertrauern. Denn die Grünen werden an viele zukunftsweisende Fragen weitaus ideologischer herangehen. Der Individualverkehr soll durch flächendeckendes Tempo 30 sowie 10-Stundenkilometer-Zonen noch mehr behindert werden. Und der notwendige Ausbau der Stadtautobahn wird ohnehin beerdigt.

Hinzu kommt der angebliche Klimaschutz, den die Grünen verbohrt betreiben wollen. Berliner Einfamilienhausbesitzer werden zum Dämmen ihrer Dächer und Wände per Gesetz verdonnert werden. Auf die bürgerliche Klientel, die sich in nicht unerheblichem Maße auch unter den Wählern der
Grünen findet, kommen harte Zeiten zu.

Foto: Klaus Wowereit (SPD) am Wahlabend: Keine breite gesellschaftliche Mehrheit für Rot-Grün

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen